Abräumen!
Der Kegelsport leidet an Schwindsucht: Viele Bahnen sind schon verschwunden, die verbliebenen stehen zu oft leer
Es sieht nicht gut aus für den deutschen Kegelsport: Seit Jahren werden Bahnen geschlossen, Clubs machen dicht, die Verbände haben mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Am düstersten sieht es im Hobbykeglerbereich aus: Die Gastwirte investieren nicht mehr, die Bahnen stehen zu oft leer, die Kundschaft ist überaltert. Und den Jungen erscheint Kegeln nicht mehr zeitgemäß.
- Ecke Lernen nimmt sich eine Kugel aus dem Rücklauf, wiegt sie in den Händen und richtet sich aus. Man spürt: Es ist ein in jahrelanger Praxis ausgeprägtes Ritual. Dann nimmt Lernen Anlauf, beugt das linke Knie und setzt die Kugel sanft auf der Bahn auf. Es rumpelt, die Kugel schlägt ein, sieben Kegel fallen.
Lernen ist 69 Jahre alt und damit der Benjamin der kleinen Rentnerbande, die sich an diesem Abend im Hasen in Berg bei Ravensburg zum Kegeln zusammengefunden hat, dieser „deutschesten aller Sportarten“, wie die „Bild“Zeitung mal schrieb. Seit 1986 schon treffen sie sich hier alle 14 Tage, um ein paar Stunden Spaß zu haben, von 20 bis 23 Uhr. „Wir waren acht“, erzählt Horst Gauggel, mit 82 der Alterspräsident der Gruppe, „aber jetzt haben wir ein wenig die Schwindsucht.“Einer der Kameraden ist krankheitshalber ausgeschieden, zwei sind kurzfristig erkrankt. Mit von der Partie sind außer Lernen und Gauggel noch Hans Reder, Sepp Krucker und Hans Michel. Früher haben sie auch Tennis zusammen gespielt – beim TC Berg. Lange her.
Das Bild, das die fünf gesetzten Herren allein in dem tristen Kegelkeller abgeben, ist prototypisch für einen Sport, der sich seit Jahren im Sinkflug befindet. Wohl auch, weil viele Bahnen aussehen, als sei die Zeit stehen geblieben. Die Jungen, aufgewachsen im digitalen Zeitalter der Reizüberflutung, können mit dem betulichen Kugelschieben im patinasatten Ambiente der Holztäfelungen und schweren Vorhänge nichts mehr anfangen. Noch in den 90er-Jahren waren die Bahnen oft ausgebucht, „da haben wir uns schon Jahre vorher angemeldet“, scherzt einer der fünf Alten. Jetzt steht die Bahn nebenan leer, und einen Stock tiefer spielen an diesem Abend zwei andere Gruppen neben zwei weiteren leeren Bahnen.
Zwei Bahnen kommen bald weg
Achim Staudacher hat sich längst daran gewöhnt. Der 49-jährige Koch und Gastwirt führt in vierter Generation den Hasen, die einzig verbliebene Speisegaststätte in der 4000-Einwohner-Gemeinde. Ein Familienbetrieb, in exponierter Lage hoch über dem Schussental wohnen drei Generationen unter einem Dach. Kegelbahnen zählen im Hause Staudacher schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Inventar. Seit 1985, als der Kegelsport noch in voller Blüte stand, verfügt der Hasen über sechs Bahnen. Die vier Kunststoffbahnen im zweiten Untergeschoss dienen seit Jahrzehnten dem Sportkegelclub Berg als Heimstatt. Die zwei älteren Bahnen ein Stockwerk höher wird Staudacher demnächst stilllegen und den Raum für die Erweiterung der Gastronomie nutzen. Der Grund: Die Auslastung ist im Vergleich zur Boomphase in den 80ern, als die Keglerei das „Hauptgeschäft“war, wie Staudacher sagt, um die Hälfte zurückgegangen. „Bis 2005 war’s noch gut, aber seit zehn, fünfzehn Jahren wird’s weniger und weniger. Dabei ist uns noch zugutegekommen, dass anderswo Bahnen geschlossen wurden und die Clubs zu uns kommen mussten.“Heute, sagt Staudacher, würde er sicher keine Kegelbahn mehr bauen. „Das rechnet sich nicht mehr. Es kommt schon auch vor, dass die Bedienung am Abend mit nur 100 Euro Umsatz wieder hochkommt.“Auch das hat sich geändert: Während früher beim Kegeln ausgiebig Alkohol konsumiert wurde, achtet heute jeder darauf, dass er fahrtüchtig bleibt. „Manchmal konsumieren die Kegler nur ein Getränk und gehen dann sofort wieder“, sagt Staudacher.
Noch halten die Sportkegler den Bahnbetrieb am Leben: Sie kommen regelmäßig, aber das Ende ist dennoch absehbar. „Die Altersklasse bei den Sportkeglern beginnt bei 55“, sagt Staudacher. Von unten rücke niemand nach. Bei den Hobbykeglern sieht’s noch düsterer aus. „Erst gestern hat ein Kegelclub angekündigt, dass sie sich nächstes Jahr auflösen wollen“, erzählt Seniorchef Karl Staudacher, nachdem er mit einer Poliermaschine die Bahnen gepflegt hat. Junge Leute verirren sich nur noch sporadisch zum Kegeln in den HasenKeller, Werbung für seine Bahnen macht Achim Staudacher nicht. „Die Kegelbahnen laufen halt noch mit, leben tut man vom Restaurant.“
Ein strategischer Fehler
So ist das inzwischen in vielen Gaststätten. Dass man sich nach dem Krieg auf die bestehenden Bahnen in den Wirtshäusern verlassen habe, sei ein strategischer Fehler gewesen, bekennt Siegfried Schweikardt, der Vorsitzende des Württembergischen Kegler- und Bowlingverbandes (WKBV). „Wir hätten die Kommunen einbinden müssen und neue, vereinseigene Bahnen bauen.“Heute gebe es Mütter, die ihre Kinder schon deswegen nicht zum Kegeln schicken wollten, weil sie die Verbindung mit dem Wirtshaus störe. Und die Wirte hätten wenig Interesse daran, in die Bahnen zu investieren, erzählt Schweikardt im Café Zoller in Vilsingen, wo Verbandslehrwart Thorsten Mack an diesem Morgen auf vier „topgepflegten Bahnen in modernster Ausführung“Trainer ausbildet, darunter auch junge Leute und Frauen, die Zielgruppen, die dem Verband die meisten Sorgen bereiten.
Der 79-jährige Schweikardt, ein ehemaliger Berufssoldat aus Sigmaringen-Laiz, steht seit 1996 an der Spitze des Verbandes und war auch schon Präsident des deutschen, europäischen und des Weltverbands. Seit 50 Jahren nimmt der Kegelsport breiten Raum ein in seinem Leben, sein Engagement hat ihm das Bundesverdienstkreuz eingebracht. In den vergangenen Jahren musste er erleben, wie es stetig bergab ging. Noch 1998 zählte der WKBV 163 Vereine mit rund 12 000 Mitgliedern. Heute sind es noch 117 Vereine und knapp 4000 Mitglieder. Ein bundesweiter Trend: 1980 hatte der Deutsche Kegler- und Bowlingbund mal fast 200 000 Mitglieder, jetzt sind es nur noch um die 80 000. „Am schlimmsten war es vor drei Jahren, da haben wir zehn Prozent verloren“, sagt Schweikardt. „Heuer steigen die Zahlen erstmals wieder an.“
Für den Hobbybereich gilt das nicht. „Kegeln ist stark rückläufig, die Hobbykegler sterben alle weg, und da kommt nichts nach“, sagt die 35-jährige Manda Stanic, die am Stadtrand von Tuttlingen mit ihren Eltern Rafael und Stefica und ihren zwei Brüdern das Sommerau betreibt. 1991 übernahm die Familie die Speisegaststätte mit 55 Plätzen und langer Kegeltradition. Aus vier von ursprünglich acht Kegelbahnen haben die Stanic’ Bowlingbahnen gemacht. Die amerikanisierte Variante des Kegelns kommt bei den Hobbysportlern meist besser an. Die Bahnen sind mit Lichtstrahlern besetzt, aufgemalte Killerwale verzieren die Wände.
Aber das Kegeln liegt den Stanics am Herzen, da triumphiert die Leidenschaft über die Rentabilität. „Wir haben langjährige Stammgäste“, sagt Manda Stanic. Und sie ist selbst Sportkeglerin bei der SKG Tuttlingen, die zwei Herrenmannschaften und ein Damenteam im Spielbetrieb hat. „Aber auch der Sportkegelbereich ist stark rückläufig“, erzählt Manda Stanic. „In den 90er-Jahren war Kegeln das Nonplusultra, da hatten wir hier noch vier Kegelclubs.“Jetzt sorgt nur noch die SKG dafür, dass die Bahnen einigermaßen ausgelastet sind. „Kegeln rentiert sich nicht mehr in dem Sinn, dass man damit wirtschaften kann. Die Bahnen stehen oft leer. Die Jungen kommen eher zum Bowlen, da ist Musik dabei, wir bieten Disco-Bowling, das spricht sie eher an.“Und noch gebe es Tage, an denen man sehr zufrieden sein könne. Insgesamt aber bestätigt auch Manda Stanic den 50-prozentigen Rückgang, den der Kollege Staudacher in Berg beklagt hat.
Auch in Bad Saulgau, im „Paradies“, ist Kegeln schon lange keine Hauptsache mehr. Das Haus wurde 1898 gebaut, weil „es den Männern nicht zumutbar ist, zum Biertrinken das Bahngleis zu überqueren“, wie es im Bauantrag heißt. Es war dann aber trotzdem nicht einfach am Anfang, in 21 Jahren gab es 13 verschiedene Pächter. Das änderte sich erst, als die Familie Hildenbrand 1919 die Gaststätte übernahm. Schon 1926 wurde eine Freilichtkegelbahn eröffnet.
Leichte Einschläge
1969 entstanden die zwei Kegelbahnen, die heute noch in Betrieb sind. Die guten Zeiten mit voller Auslastung kennt Frank Selbherr, 38, der das Haus 2013 übernommen hat, nur aus den Erzählungen der Hildenbrands. In seiner Speisegaststätte, die auf 113 Plätzen „klassische, sehr regionale Wirtshausküche mit bayerischem Einschlag“bietet, laufen die Kegelbahnen „halt noch so mit“. Im Paradies wird auf Parkett gekegelt, was bedeutet, dass die Lauftreue der Kugeln nicht mehr hundertprozentig ist. „Da gibt’s ab und zu ein paar leichte Einschläge“, meint Selbherr. Weil die Bahnen außerdem zu kurz sind, kommen sie für Sportkegler nicht infrage und sind den Hobbysportlern vorbehalten. Einer aussterbenden Spezies, auch in Bad Saulgau. „Die privaten Kegelclubs werden immer weniger“, erzählt Frank Selbherr. „Das macht nur noch die ältere Generation, die schon früher gekegelt hat – im klassischen Rentneralter zwischen 65 und 75. Aus gesundheitlichen Gründen werden die Gruppen dann immer kleiner, bis sie schließlich ganz aufhören. Seit wir hier sind, haben wir auch schon wieder ein paar Kegler verloren.“
Andererseits kann sich Selbherr über „recht guten Zuspruch an den Wochenenden“freuen, auch weil er den Kindergeburtstag als Kegel-Alternativprogramm entdeckt hat. „Das kommt gut an bei den Kindern. Als Event ist Kegeln auch für die junge Generation mal interessant.“Und am Jahresende funktioniere Kegeln auch noch leidlich, zum Aufpeppen der Weihnachtsfeiern. „Da hat man ein bisschen Gaudi.“Am Exitus des klassischen Hobbykegelns ändert das nichts. „Das stirbt aus – kein Nachwuchs“, stellt Selbherr fest. „Die jüngste Truppe, die wir haben, ist zwischen 40 und 50.“
Rein wirtschaftlich ist das Treiben auf den Kegelbahnen im „Paradies“eine zu vernachlässigende Größe. „Die Stunde kostet bei uns elf Euro, ein billiges Vergnügen. Natürlich investieren wir kein Geld mehr. Wir lassen’s laufen, so lange es geht, so lange die Technik durchhält.“Schon jetzt kommt Selbherr mit einem Kundendienst im Jahr nicht mehr hin, es müssen schon zwei sein. „Sollte ein größerer Schaden kommen, dann wird auch hier im Paradies mal Ende sein.“
Was das Sportkegeln betrifft, gibt es noch Hoffnung. Jedenfalls bei Siegfried Schweikardt. Sein Fazit: „Der Kegelsport hat Probleme, aber er wird nicht sterben.“Irgendjemand wird doch immer auf die Idee kommen, mit einer Kugel ein paar Kegel umzufegen. Macht schließlich Spaß und ist gesundheitlich unbedenklich.
„Bis 2005 war’s noch gut, aber seit zehn, fünfzehn Jahren wird’s weniger und weniger.“
Achim Staudacher, Gastwirt im Hasen in Berg „Kegeln ist stark rückläufig, die Hobbykegler sterben alle weg.“
Manda Stanic, Wirtstochter im Tuttlinger Sommerau