Fallende Pegel, steigende Preise
Warum Treibstoff und andere Güter bei Niedrigwasser teurer sind, ist derzeit nirgends so sichtbar wie im Karlsruher Hafen
Die Spritpreise im Südwesten, hier die aktuellen vom Donnerstag in Ravensburg (Foto: Michael Scheyer), sind dieser Tage wahrlich kein Quell der Freude. Dass im Süden der Republik mehr für den Treibstoff bezahlt werden muss, hat sehr viel mit der Trockenheit in diesem Jahr zu tun: Die Pegel der Flüsse sind gefallen, der Gütertransport, vor allem auf dem Rhein, ist schwieriger und teurer geworden. Die Probleme der Binnenschifffahrt zeigen sich derzeit besonders drastisch im Karlsruher Ölhafen. Ein Ortsbesuch bei Gestrandeten.
- Draußen vor den großflächigen Fenstern wabert eine milchige Suppe aus feuchtkalter Luft um die Hafenmeisterei. Drinnen steht Bernd Ertel am Herd im Aufenthaltsraum und rührt in einem kleinen Edelstahlpott Linseneintopf mit Spätzle und Wursträdle. Den hat der 57-Jährige von zu Hause mitgebracht. Wie er das seit 1983 schon so macht, als er damals den Job bekommen hat. Die Aufgabe als Hafenmeister, die Ertel sehr ernst nimmt, hier im Karlsruher Ölhafen – wo jeder fünfte Liter Sprit umgeschlagen wird, der irgendwo in Deutschland aus einem Zapfhahn fließt. Ertels tägliche Mission ist es, dafür zu sorgen, dass alles ordnungsgemäß läuft. Mit dem Betanken der Schiffe, die hier anlanden, um den Treibstoff aus der Raffinerie Miro weiter über den Rhein zu transportieren. Benzin, Flüssiggas, Heizöl und Diesel in der Hauptsache.
Ertel mag Ordnung. Das legt schon sein penibel rasiertes Gesicht nahe. Die akkurate Kurzhaarfrisur und die aufrechte Sitzhaltung. Das mit dem Essen von daheim hat einen sehr einfachen Grund: Hier draußen am Ölhafen gibt es weit und breit keinen Laden oder auch nur einen Imbiss, in dem man den mittäglichen Hunger stillen könnte. „Und da weiß ich, was drin ist“, sagt Ertel über seine Mahlzeit im Pfälzer Dialekt, der seine Herkunft verrät. Was drin ist im Hafen, das weiß Ertel natürlich auch: ziemlich wenig Wasser.
Die große Dürre
Hinter der breiten Fensterfront des Aufenthaltsraums stehen draußen mächtige Tanks, die wie riesige Dampfkochtöpfe an diesem trüben Tag wirken. Schon bei der Fahrt vorbei an der Raffinerie, die einen merkwürdigen Geruch zwischen Heizölkeller und Mundwasser am Rheinufer verbreitet, waren diese Tanks allgegenwärtig. Sie tragen fortlaufende Nummern. Hinter Ertels Rücken steht einer mit der Ziffer 571. Der Hafenmeister rückt den Kragen seines blauen Pullovers ein bisschen zurecht, bevor er sagt: „So niedrig, das hatten wir schon. Aber so lange so niedrig – an das kann ich mich nicht erinnern.“Bernd Ertel ist an diesem Tag nicht der Erste, der das über den Rhein sagt. Und er wird nicht der Letzte sein. Aus einem Buch mit handschriftlichen Eintragungen sucht er ein paar Zahlen zusammen. „Heute haben wir 3,20 Meter Pegelstand.“Sehr niedrig. Alles unterhalb von vier Metern sei schwierig. „Manche Schiffe können jetzt nicht mal mehr leer fahren. Geschweige denn mit Ladung.“
Etwa 300 Meter von der Hafenmeisterei entfernt liegt so ein Tankschiff im niedrigen Wasser, die Gilla. Es ist leer und wartet darauf, dass der Regen kommt. Oder irgendein anderes Nass – etwa von den Rheinzuflüssen –, damit die Trockenzeit des Ewald Hellwig ein Ende hat. Damit die Gilla bald wieder das tun kann, wofür sie gebaut worden ist: Kraftstoff nach Basel oder Straßburg zu schippern. Im 24-Stunden-Betrieb. Mit zehn Mann Besatzung, die jetzt endlich mal Gelegenheit hat, all die kleinen Reparaturen, all die Ausbesserungs- und Wartungsarbeiten anzupacken, die beim regulären Fahrbetrieb liegen bleiben. Jetzt wo das Schiff selber liegen geblieben ist, gibt’s keine Ausreden mehr. Ewald Hellwig ist sozusagen Kapitän in der Warteschleife. Und wie im Takt eines von Rauch angetriebenen Uhrwerks zündet er sich etwa alle zehn Minuten eine neue Zigarette an, wodurch sich eine Patina aus Teer auf das Mobiliar, die Monitore und tausend Schalter und Anzeigen auf der Brücke gelegt hat. Aus den Privatgemächern unter Deck dröhnt der Fernseher herauf. „Wir können hier eigentlich 2100 Tonnen Ladung aufnehmen“, sagt Hellwig durch den Dampf seiner Zigarette. Doch im Moment würde es ihm schon reichen, einfach nur leer aus dem Hafen auszulaufen. „Aber das geht nicht wegen dem Kleinwasser“, wie Profis den niedrigen Pegelstand nennen. Die Gilla hat einen Tiefgang von 1,40 Meter. Zwischen Rumpf und Flussgrund ist zu wenig Abstand, als dass der Kahn noch sicher zu manövrieren wäre. Ewald Hellwig zuckt mit den Schultern, auf denen sein strähniges, graues Haar liegt. Der 63-Jährige, der aus Duisburg stammt, ist seit 38 Jahren auf dem Wasser unterwegs. Und auch er sagt: „So lange und so niedrig – das habe ich noch nicht erlebt.“Er sei bloß froh, dass die Gilla ihm inzwischen nicht mehr gehöre. Vor Jahren hat der Binnenschiffer das Lastschiff an ein Transportunternehmen verkauft, bei dem er nun angestellt ist. „Sonst würde
Hafenmeister Bernd Ertel
mir angst und bange“, sagt Hellwig, während er erneut zur Zigarettenschachtel greift. Egal ob die Gilla stillliegt oder voll beladen unterwegs ist: Täglich fallen laut Hellwig Fixkosten in Höhe von 2400 Euro an. „Dem Chef stehen inzwischen die Haare zu Berge.“Denn wie lange es noch dauern kann, bis Hellwig und seine Mannschaft wieder Geld einbringen, statt nur Geld zu kosten, weiß im Augenblick niemand. „Keine Prognosen!“, sagt der Kapitän und hebt abwehrend die Arme. Für solche Verluste komme niemand auf – auch wenn manche Menschen glaubten, die Binnenschifffahrt werde in Deutschland subventioniert. „Das ist nicht der Fall.“
Zu wenig Tiefgang
Ein paar Meter weiter am Ufer wartet Bernd Ertel mit seinem Auto. Auf der Fahrt zum etwa sechs Kilometer entfernten Karlsruher Güterhafen erklärt er, warum am Ende der Verbraucher für viele Dinge höhere Preise bezahlen muss, wenn das Wasser über einen längeren Zeitraum, wie nun schon seit Juli, so niedrig ist. Zusammengefasst hat das einen physikalischen Grund: Schiffe haben einen bestimmten Tiefgang, ragen also mit dem Rumpf unterschiedlich tief in das Gewässer hinein. Je mehr ein Schiff geladen hat, desto größer wird dieser Tiefgang. Um bei niedriger werdendem Wasserstand trotzdem noch sicher manövrieren zu können, muss der Schiffer also weniger laden. Aber jede Tonne weniger an Bord macht den Transport teurer, denn Betriebs- und Personalkosten fallen fast in gleichem Maße an. Egal ob der Kahn nun voll geladen oder fast leer fährt.
„Jeder, der behauptet, die derzeit höheren Spritpreise hätten nichts mit dem Kleinwasser zu tun, hat einfach keine Ahnung“, sagt Bernd Ertel und stellt seinen Wagen am Rheinhafen ab. Zwar könne auch er nicht ausschließen, dass die Mineralölfirmen die Gelegenheit beim Schopf gepackt und die Preise über das eigentlich nötige Maß erhöht haben, doch dass die eklatante Dürre Hauptursache ist, sei klar. Wie sie sich konkret auswirkt, ist am Mittwoch an den Zapfsäulen abzulesen. Während in Karlsruhe, wo der Weg von der Raffinerie zur Tankstelle sehr kurz ist, der Diesel 1,42 Euro pro Liter kostet, sind es in Ravensburg bis zu 1,60 Euro.
Hoch oben auf dem mächtigen Hafentor, das bei Hochwasser geschlossen werden kann, offenbart sich jetzt das ganze Ausmaß der niedrigen Pegelstände: Die schwimmenden Unterstände der Wasserschutzpolizei, so eine Art Garage für deren Schiffe, sind auf Grund gelaufen, sodass die Einsatzboote an anderer Stelle stehen. Beim Blick in die große Hafeneinfahrt ist kein Schiff zu sehen. Die Kohleberge beim EnBW-Kraftwerk am Rheinufer werden kleiner. „Da kommt der Nachschub jetzt per Bahn und Lkw“, sagt Ertl und deutet auf die rauchenden Schlote. Er vermutet, dass auch hier der teurere Transport der Kohle auf den Strompreis durchschlagen wird. An diesem Tag wird kaum etwas im fünftgrößten Binnenhafen Deutschlands umgeschlagen. Und wie schon am Ölhafen gilt auch hier: Umso weniger Güter in Karlsruhe gelöscht oder geladen werden, desto weniger Geld nimmt die Stadt, die die Häfen betreibt, ein.
Die Güter wandern ab
Exakt 210,5 Rheinkilometer flussabwärts in Rheinfelden bei Weil am Rhein drückt das Niedrigwasser auch bei Achim Neidhardt auf die Stimmung. Er ist Geschäftsführer der Rhenus Logistics Niederlassung. Und er ist schließlich der Dritte an diesem Tag, der sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon einmal so ein Kleinwasser vor allen Dingen in dieser Dauer auf dem Rhein hatten.“Zwar könnten Schiffe in Rheinfelden aufgrund der Kanalisierung des Gebiets noch immer problemlos Ladung löschen oder aufnehmen. Aber: Die meisten Schiffe kommen gar nicht mehr so weit, weil sie die Passage an anderen Rheinstellen nicht mehr schaffen. Die Konsequenzen sind bitter für den Logistiker: „Es wird nur noch sehr wenig Material über unseren Hafen umgeschlagen.“Güter wandern auf Schiene und Straße ab. Das bedeute enorme wirtschaftliche Einbußen, die zu beziffern im Augenblick noch gar nicht möglich sei. „In dieser schweren Zeit bauen unsere Kollegen im gewerblichen Bereich alle Resturlaubstage und Überstunden ab.“Ob das allerdings genügt, um nicht mit Minusstunden ins neue Jahr zu gehen, hängt vom Wetter ab. Der Hafen Rheinfelden ist der erste Lade- und Löschhafen auf deutscher Seite. Dort werden überwiegend Rohstoffe für die Zementindustrie, Baustoffe und Kohleprodukte umgeschlagen.
Warten auf den großen Regen
Im Bewusstsein der Deutschen hatte und hat der Rhein neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung immer auch eine mythologische: Stärke, Kraft, Leben. Um dieses glorreiche Bild vor dem Hintergrund des Geplätschers, zu dem der sonst so stolze Fluss geworden ist, wieder einigermaßen herzustellen, braucht es vor allem eines: viel Regen. Nennenswerte Mengen sind dem Deutschen Wetterdienst zufolge aktuell nicht in Sicht.
Für Kapitän Ewald Hellwig von der Gilla im Karlsruher Ölhafen bedeutet das, weiter in der Warteschleife zu hängen. Mit wenig mehr zu tun, als seine Zigaretten in Rauch aufgehen zu lassen.
„So niedrig, das hatten wir schon. Aber so lange so niedrig – an das kann ich mich nicht erinnern.“