Digitalpakt für Schulen auf der Kippe
Grün-schwarze Landesregierung wehrt sich gegen Grundgesetzänderung
- Fünf Milliarden Euro will der Bund den Ländern für die Digitalisierung der Schulen geben. Das Geld möchte die Südwest-Landesregierung annehmen – eine Änderung des Grundgesetzes aber nicht mittragen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sammeln derzeit Verbündete in anderen Ländern. Die wichtigsten Fragen dazu im Überblick:
Was genau sieht die Verfassungsänderung vor?
Der Artikel 104c im Grundgesetz soll so geändert werden, dass der Bund allen Ländern und Gemeinden direkt Geld geben darf für die digitale Infrastruktur an Schulen. Im bisherigen Text ist nur von „finanzschwachen Gemeinden“die Rede.
Warum ziert sich Baden-Württemberg so?
Ministerpräsident Kretschmann sieht darin einen massiven Eingriff in die föderale Ordnung Deutschlands. „Bildungspolitik ist die wichtigste Aufgabe der Länder“, sagte er am Mittwoch im Landtag. Was der Bund vorhabe, sei eine Einmischung, die weit über die Infrastruktur hinaus gehe. Es gehe auch um das pädagogische Personal und die Bildungsinhalte im Bereich Digitalisierung, für die Berlin Standards schaffen wolle – nicht nur um Tablets und Laptops. Rückhalt bekommt er nicht nur von Kultusministerin Eisenmann, sondern auch von den grün-schwarzen Regierungsfraktionen. Erst seit Freitag sei zudem das „Kleingedruckte“bekannt. So soll auch der Artikel 104b geändert werden. Der sieht vor, dass die Länder für jeden Euro, den der Bund gibt, einen Euro aus eigenen Mitteln drauflegen müssen. Der Passus soll aber erst Ende 2019 in Kraft treten. Kommt der Digitalpakt früher, bliebe es also bei der bisherigen Kostenaufteilung: der Bund zahlt 90 Prozent, die Länder zehn Prozent.
Gibt es Alternativen?
Eine Änderung des Grundgesetzes sei gar nicht nötig, argumentieren die Kritiker aus Baden-Württemberg. Kretschmann verweist auf Artikel 106, Absatz 3. Er besagt, dass Bund und Länder gemeinsame Steuern so aufteilen sollen, dass sie „ihre notwendigen Aufgaben“decken können. „Offensichtlich ist der Bund ja der Auffassung, dass die Länder unterfinanziert sind, sonst würde er gar keine solchen Programme auflegen“, sagte Kretschmann. Kultusministerin Eisenmann verwies auf den Artikel 91c im Grundgesetz. Darin ist geregelt, dass Bund und Länder bei ihren informationstechnischen Geräten zusammenwirken dürfen.
Wie sieht das die Opposition im Landtag?
Unterschiedlich. Die AfD steht hinter der Argumentation von Grün- Schwarz. „Ich hätte mir in den letzten zweieinhalb Jahren nicht vorstellen können, dass ich einmal hier vorn am Pult stehe und dem grünen Ministerpräsidenten zu 90 oder 98 Prozent beipflichten muss“, sagte Fraktionschef Bernd Gögel. SPD und FDP kritisierten die Blockadehaltung scharf. Durch die Grundgesetzänderung wolle der Bund sicherstellen, dass das Geld nicht in andere Bereiche der Landespolitik fließe, betonte HansUlrich Rülke. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einem Schreckgespenst, das die Landesregierung an die Wand male. „Bildung bleibt in der Hoheit der Länder, das stellt niemand in Frage.“
Sind sich die Parteien auf Bundesund Landesebene einig?
Nein, die Risse verlaufen nicht entlang von Parteilinien. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD will die Grundgesetzänderung. Dafür braucht sie aber eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – also auch Stimmen aus der Opposition. Am Freitag haben sich Grüne und FDP zum Digitalpakt inklusive Grundgesetzänderungen bekannt. Damit sind Grüne und CDU in Baden-Württemberg anderer Meinung als ihre Bundeskollegen.
Wie wichtig ist das Geld für die Länder?
Ärmere Länder als Baden-Württemberg wünschen sich den Geldsegen aus Berlin sehnlicher als der Südwesten. Doch auch Baden-Württemberg täte das Geld gut, um in den Schulen WLAN aufzubauen oder digitale Geräte wie Laptops oder Tablets für die 4500 Schulen anzuschaffen. Vom Bund sind nach dem üblichen Verteilungsschlüssel vom Digitalpakt in den kommenden fünf Jahren etwa 100 Millionen pro Jahr zu erwarten. Die Fraktionschefs der Grünen und der CDU, Andreas Schwarz und Wolfgang Reinhart, verwiesen im Landtag auf das, was das Land bereits investiere: 22,5 Milliarden Euro im Doppelhaushalt 2018/2019 für den Bildungsetat; über den Nachtragshaushalt sollen zusätzlich 150 Millionen Euro in die Digitalisierung der Schulen fließen – obwohl die Ausstattung eigentlich Aufgabe der Kommunen sei.
Wie geht es nun weiter?
Am Donnerstag will sich der Bundestag mit dem Thema befassen. Aber auch im Bundesrat braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Unterdessen suchen Kretschmann und Eisenmann Verbündete in anderen Ländern. Schleswig-Holstein hat sich schon sehr kritisch geäußert. Dem Vernehmen nach sehen auch Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen die Grundgesetzänderung kritisch. Der Bundesrat will sich am 14. Dezember damit befassen. Enthaltungen bei uneinigen Ländern zählen wie Nein-Stimmen. Ist die Blockade zu groß, beschäftigt sich der Vermittlungsausschuss mit dem Thema.