Ministerin verteidigt Branche
Hoffmeister-Kraut weist Medizintechnik-Kritik zurück
(ank) - Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) weist die Kritik an der Medizintechnikbranche, schlecht oder nicht getestete Produkte auf den Markt zu bringen, zurück. „Die Patientensicherheit hat bei der Entwicklung, Produktion und Anwendung von Medizinprodukten oberste Priorität“, sagte Hoffmeister-Kraut der „Schwäbischen Zeitung“. Das habe sich bei Besuchen der Ministerin bei Medizintechnikunternehmen im Südwesten bestätigt. Tuttlingen gehört zu den europaweit führenden Zentren für Medizintechnikprodukte. Hoffmeister-Kraut habe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Unternehmen ihrer Verantwortung nicht stellten. Die Ministerin hatte sich zuletzt dafür eingesetzt, die Branche nicht zu stark zu regulieren. In den vergangene Woche veröffentlichten „Implant Files“war massive Kritik am Zulassungsprozess der Branche laut geworden.
Ist das System der Prüfung und Marktzulassung von Medizinprodukten in Deutschland und in der EU zu stark vonseiten der Hersteller gedacht, anstatt vonseiten der Patienten? Ja, sagt unter anderem der Medizintechnikexperte Uvo Hölscher vom Aktionsbündnis Patientensicherheit. Nein, sagen dagegen Medizintechnikhersteller und Prüffirmen. In den von einem Recherchenetzwerk jüngst veröffentlichten „Implant Files“war massive Kritik am Zulassungsprozess in der Branche laut geworden. Der Vorwurf: Es würden neue Medizinprodukte auf den Markt kommen, die schlecht oder gar nicht getestet wurden. Bei Implantaten wie Herzkatheter oder Kniegelenken, die dauerhaft in den menschlichen Körper eingesetzt werden, sei es dadurch zu zahlreichen Verletzungen und Todesfällen von Patienten gekommen.
Dass die Branche in Teilen ein Qualitätsproblem hat, wird von Branchenkennern nicht abgestritten. „Ich war schockiert, wie das Thema Qualität in Teilen der Branche angegangen wurde“, sagt Uli Kammerer, Chef von Weber Instrumente aus Emmingen-Liptingen (Landkreis Tuttlingen). Der Unternehmer kommt aus der Automotivebranche und hat den Instrumentehersteller vor zehn Jahren übernommen. Nach den Skandalen der Vergangenheit – allen voran dem um minderwertige Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse im Jahr 2010 – hätten Politik und Aufsichtsbehörden aber die richtigen Schlüsse gezogen und das Zulassungssystem verschärft. „Man schaut inzwischen viel stärker auf das Thema Qualität und die Verantwortung der Hersteller“, so Kammerer.
„Patientensicherheit hat Priorität“
Auch im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium will man die pauschalen Vorwürfe an die Branche so nicht stehen lassen. „Jeder Schadensfall ist einer zu viel. Meine Wahrnehmung aus Besuchen bei Medizintechnikunternehmen hier im Südwesten und vielen Gesprächsrunden bestätigt jedoch: Die Patientensicherheit hat bei der Entwicklung, Produktion und Anwendung von Medizinprodukten oberste Priorität“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) der „Schwäbischen Zeitung“. Sie habe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Unternehmen der Medizintechnikbranche in Baden-Württemberg nicht dieser Verantwortung stellten, so die Ministerin. Hoffmeister-Kraut hatte sich in der Vergangenheit gegenüber dem Bund und der EU-Kommission wiederholt dafür eingesetzt, die Branche nicht zu stark zu regulieren.
Die Schuld an den Qualitätsproblemen allein den Medizintechnikherstellern zuzuschieben, greift aber auch zu kurz, meinen auf alle Fälle Branchenexperten. Denn oftmals sind es die Anwender selbst, die Gebrauchsund Aufbereitungsanweisungen der Hersteller nicht beachten, was zu Komplikationen bei Patienten führen kann. „Wenn Sie sehen würden, in welchem Zustand Medizintechnikprodukte von den Ärzten und Klinken reklamiert oder zur Reparatur zurückgeschickt werden, würden Sie sich keiner Operation mehr unterziehen“, sagt der Qualitätsmanager einer alteingesessenen Medizintechnikfirma im Landkreis Tuttlingen, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Von fachgerechter Reinigung oder Sterilisation könne in vielen Fällen keine Rede sein.
Mit der Medizinprodukteverordnung, die ab Mai 2020 vollumfänglich gilt, soll die Sicherheit und Qualität von Medizinprodukten EU-weit auf ein neues Niveau gehoben werden – Anforderungen an klinische Bewertungen und klinische Prüfungen für Hochrisikoprodukte wie Implantate wurden präzisiert und zum Teil verschärft. Ob die neuen Regularien halten, was sie versprechen, bleibt abzuwarten. Weber-Chef Kammerer ist optimistisch: „Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Die neue Verordnung ist ein Riesensprung zu mehr Patientensicherheit.“Die frühere Forderung nach einer zentralen staatlichen Zulassungsbehörde wurde zugunsten einer schärferen Überwachung der privatwirtschaftlich organisierten Zertifizierungsanbieter – sogenannte Benannte Stellen wie der TÜV – fallen gelassen, die nun zusätzlich medizinisches Fachpersonal einstellen müssen. Der Interessenkonflikt durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der benannten Stellen von ihren Auftraggebern, den Medizintechnikherstellern, wurde jedoch nicht angetastet.
Öffentlich zugeben will diesen Interessenkonflikt keiner aus der Branche. „Aus fachlicher Perspektive ist das System gut“, sagt Felix Müller, Chef der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme (SQS) aus Zollikofen. Der Verein, der laut Müller „nicht gewinnorientiert arbeitet“, prüft und zertifiziert als Benannte Stelle auch Medizinproduktehersteller aus Tuttlingen. Seiner Meinung nach wäre eine Rückführung der Zertifizierung in staatliche Hände „ein volkswirtschaftlicher Rückschritt“, weil eine Behörde nicht so flexibel und agil arbeite wie ein Privatunternehmen. Im Übrigen, so die Argumentation von Müller, wären die Geldflüsse auch bei staatlichen Zulassungsstellen die gleichen.
Auch Hoffmeister-Kraut teilt die Kritik am System nicht. Weder die Hersteller selbst noch die Benannten Stellen könnten ein Interesse daran haben, Produkte mit Sicherheitsmängeln auf den Markt zu bringen oder solche zu zertifizieren. „Sowohl das aktuelle als auch das neue Zertifizierungssystem stellt die Sicherheitsinteressen des Patienten eindeutig vor Herstellerinteressen“, so die Ministerin.