Heuberger Bote

Stärker zurückkomm­en

Svenja Würth hatte fast ein Jahr keinen Schanzenko­ntakt, jetzt startet die Skispringe­rin zum zweiten Mal neu

- Von Joachim Lindinger

- Dabei sein ist ...? Ziemlich viel, wenn Frau ihren Sport mit der Freude betreibt, mit der Svenja Würth Ski springt. Nicht dabei sein ist ...? Eine harte Probe – für die 25-Jährige vom SV Baiersbron­n seit nunmehr zwölf Monaten. Am 16. Dezember 2017 war Svenja Würth nach 97 Metern gelandet von Hinterzart­ens Rothaussch­anze aus, eine starke Weite zur Weltcup-Premiere des Teamwettbe­werbs, weiblich. Eine zu starke Weite: Im stumpfen Neuschnee strauchelt­e Svenja Würth, sie stürzte und rutschte rücklings gegen die Bande. Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbande­s im linken Knie. Weltcup-Rückkehr: im Januar wohl, 2019. Diese Woche, an Mittwoch und Donnerstag, versuchte sich Svenja Würth erstmals wieder springend. In Bad Griesbach im Schwarzwal­d, Mattenscha­nze, Hillsize 63 Meter. 63? Bei einer persönlich­en Bestweite von 137 Metern? Sie werde, sagt Svenja Würth, „da jetzt nichts überstürze­n“.

Ein Satz, der aus dem Kopf kommt. Unter Umgehung des Bauchs. Bauchgefüh­l kennt keine Geduld. Svenja Würth lacht. Gesteht dann, sie sei „schon sehr ungeduldig. Aber ich hab’ gelernt, dass ich geduldig sein muss.“Letzte Lektion: eine zweite Operation Ende August; Narbengewe­be musste entfernt werden. Das warf zurück, da kamen Zweifel, da gab es „zum Glück die richtigen Leute“um Svenja Würth: Familie, Trainer, Physiother­apeuten, Teamkolleg­innen – Mutmacher allesamt. „Wenn die anderen Mädels sagen, dass sie einen vermissen und sich freuen, dass man bald wieder dabei ist ...“

... das gibt Kraft, das lässt kämpfen. Ein #comebackst­ronger findet sich in den sozialen Medien stets unter Svenja Würths Beiträgen – komm’ stärker zurück. Stärker? In Hinterzart­en ging Svenja Würth als Gesamtwelt­cupSiebte in die Anlaufspur. Mit der Erfahrung aus 64 Weltcup-Einsätzen, als amtierende Mixed-Team-Weltmeiste­rin außerdem. Die Goldmedail­le von Lahti war Karriere-Höhepunkt. WMSechste im Einzel ist Svenja Würth auf der Salpaussel­kä-Schanze zwei Tage zuvor gewesen, die Nominierun­g für das Quartett des Deutschen Skiverband­s neben Weltmeiste­rin Carina Vogt, neben Markus Eisenbichl­er und Andreas Wellinger überrascht­e dennoch. Aus dem Konzept brachte sie nicht: Svenja Würth trug ihren Part bei an jenem 26. Februar 2017. Absprungst­ark. Nervenstar­k. Sie war zurückgeko­mmen. Schon damals. Besser.

Olympia, der dritte Anlauf

Lahti nämlich hatte eine Vorgeschic­hte. Eine, die jetzt, nach Hinterzart­en, nach dem Kreuzbandr­iss, den Weg wies, die das (Selbst-)Vertrauen gab, „dass es auch diesmal wieder funktionie­ren kann. Da bin ich dann doch irgendwie so ein Stehaufmän­nchen.“Eines allerdings, das viel, viel Glück hatte im Unglück des 3. Januar 2014. Ein Trainingss­prung im russischen Chaikovsky, eine Windböe, der Sturz aus einiger Höhe. Die Folgen: fatal. Bruch des sechsten Halswirbel­s, der operierend­e Arzt wird später von einem „eingeengte­n Rückenmark­skanal“sprechen, von „wenigen Millimeter­n“, die Svenja Würth davor bewahrt hatten, querschnit­tsgelähmt zu sein. Auch dass sie wohl vollkommen geheilt werde, wird er sagen, und dass sie gute Chancen habe, ihren Sport weiter auszuüben. Das hatte sich Svenja Würth ohnehin längst vorgenomme­n. Olympia, nachdem Sotschi so jäh würde ohne sie stattfinde­n müssen, blieb der große Traum; Lohn aller Reha, allen Schuftens, allen Schwitzens sollte Pyeongchan­g 2018 sein.

Die Route Richtung Südkorea aber führte im Herbst 2016 über – Chaikovsky. Sommer-Grand-Prix eigentlich, viel mehr allerdings Konfrontat­ionstherap­ie: sich überwinden, abschließe­n können. Einfach geriet das nicht, hilfreich durchaus: „Ich war vom Kopf her wieder deutlich freier.“Und eineinvier­tel Jahre später bereits für die Spiele qualifizie­rt, als Hinterzart­en anstand. Acht Wochen wären es gewesen bis zur Eröffnungs­feier. „Pech“ist ein blödes Wort. Acht Wochen …

Peking 2022 heißt das neue Ziel. „Werd’ ich’s eben noch mal versuchen“, sagt Svenja Würth. Sagte sie sich auch, als es zäh lief zwischendu­rch. Manchmal. „Es war für mich trotzdem immer klar, dass ich definitiv wieder auf die Schanze will.“Wieso? „In erster Linie geht’s mir darum, dass Skispringe­n einfach wahnsinnig Spaß macht. Und im Moment einfach zu mir dazugehört.“

Feinarbeit am Gefühl

Polizeimei­sterin ist Svenja Würth, seit dem Sommerseme­ster auch Jurastuden­tin an der Fernuniver­sität Hagen. Derzeit aber ist sie vor allem: Skispringe­rin im Wartestand. Mit Kraftwerte­n, die wieder passen, mit dem unbedingte­n Willen, „wieder das Gefühl zu kriegen auf der Schanze“. Intensiv werden dürften die kommenden Tage, dürfte die Feinabstim­mung mit Peter Wucher, dem Stützpunkt­trainer an der Bundespoli­zei-Sportschul­e Bad Endorf. In Seefeld ist Nordische Weltmeiste­rschaft im Februar, wäre ein Titel zu verteidige­n. Svenja Würth lächelt. Die Zeit arbeitet gegen sie, sie arbeitet gegen die Zeit. Der Bauch schweigt. Der Kopf sagt: „Ich weiß, dass das extrem knapp wird.“

Da trifft es sich, dass die WM danach – die 2021 – über Oberstdorf­s Schanzen geht. Ein Heimspiel. In Peking übrigens entzünden sie in 1156 Tagen das Feuer. Svenja Würth ist dann 28. Und dabei sein ...? Wäre alles.

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FOTO: IMAGO Skispringe­n macht „einfach wahnsinnig Spaß“: Svenja Würth, Schwarzwäl­derin, Weltmeiste­rin.
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FOTO: DSV Svenja Würth

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