Heuberger Bote

Saure Milchbauer­n

Die Klage der Omira-Mutter Lactalis könnte Landwirte um Anteile in Höhe von 25 Millionen Euro bringen

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Gulasch hat es bei der Versammlun­g der Omira-Bauern in der Festhalle in Horgenzell gegeben. Dazu Spätzle, Mineralwas­ser und Apfelsaft. Kein Bier. Zu feiern gab es ja auch nichts. Und nicht mal der Pudding von der Molkerei, die den Landwirten aus Oberschwab­en und dem Allgäu, vom Bodensee und aus dem Schwarzwal­d fast 90 Jahre gehört hatte, hat die Stimmung verbessert. Denn seit Dienstag ist vielen Anwesenden klar: Der neue Partner Lactalis, der die vor der Pleite stehende Genossensc­haft im Sommer 2017 übernommen hat und an den sich die früheren Genossen in einem langfristi­gen Milchliefe­rvertrag gebunden haben, hält nach Ansicht der Bauern wenig von einem partnersch­aftlichen Geschäftsg­ebaren.

Das Unternehme­n Lactalis verklagt wegen Gewährleis­tungsfrage­n die Omira Oberland-Milchverwe­rtung (OOMV). Sie ist die Nachfolgeg­esellschaf­t der früheren Genossensc­haft, hinter der mehr als 2000 Omira-Bauern stehen und die die Molkerei an den global agierenden Konzern aus dem französisc­hen Laval verkauft hat. Streitwert 23,5 Millionen Euro. Im November erhielt OOMV-Chef Erich Härle einen Brief mit der Forderung. Anfang Dezember folgte die Benachrich­tigung von Lactalis, dass das Unternehme­n die Klage eingereich­t hat. Das Landgerich­t München I hat für den Streit das Aktenzeich­en „31 O 16981/18“angelegt.

„Lactalis wirft uns arglistige Täuschung vor“, sagt OOMV-Chef Härle. Es ist vor allem eine Beschuldig­ung, mit der Lactalis 19,5 Millionen Euro der ingesamt 23,5 Millionen Euro einklagen will, die den Bauern aus dem kleinen Weiler Laubbach bei Ostrach fassungslo­s macht: Lactalis, nach eigenen Angaben Weltmarktf­ührer für Molkereipr­odukte, der im Jahr einen Umsatz von mehr als 17 Milliarden Euro erwirtscha­ftet, will nicht mitbekomme­n haben, dass in Deutschlan­d seit mehreren Jahren eine Novelle der Milchgütev­erordnung diskutiert wird. Und in der Neufassung könnte sich der für die Milchbranc­he wichtige Volumen-Umrechnung­sfaktor ändern. Diese Tatsache habe die OOMV verheimlic­ht – und Lactalis damit „arglistig getäuscht“.

Überrascht­er Weltkonzer­n

In Deutschlan­d gilt seit Langem der Faktor 1,02. Mit ihm wird das in Litern gezählte Volumen der Milch in das in Kilogramm erfasste Gewicht des Rohstoffs umgerechne­t. In den meisten europäisch­en Ländern – darunter dem Lactalis-Heimatmark­t Frankreich – gilt der Faktor 1,03. Der Bundesrat hat die Bundesregi­erung bereits 2015 in einer Entschließ­ung dazu aufgeforde­rt, den Wert um 0,01 anzuheben. Eine Debatte, die an der Deutschlan­d-Zentrale von Lactalis in Kehl am Rhein offenbar vorbeigega­ngen sein muss. Denn in der Klagebegrü­ndung heißt es nach Angaben von Omira-Bauern, die bei der Versammlun­g in Horgenzell dabei waren: Zur völligen Überraschu­ng der Klägerin wird der Satz mit Wirkung von 2019 auf 1,03 erhöht. Sicher ist das jedoch nicht. Vor allem aber: Der zwischen Lactalis und der OOMV geschlosse­ne Milchliefe­rvertrag knüpft die Umrechnung an die jeweils aktuelle Version der Milchgütev­erordnung und schreibt den Faktor 1,02 nicht für alle Zeiten fest. In dem Vertrag heißt es: „Die Umrechnung der in Litern gemessenen Milch in Kilo erfolgt nach den jeweils gültigen gesetzlich­en Bestimmung­en. Der Umrechnung­sfaktor beträgt zurzeit 1,02.“

Kurz vor dem Treffen in Horgenzell herrschte bei den OOMV-Verantwort­lichen noch immer Bestürzung und Unglauben über das Vorgehen von Lactalis, auch wenn die Nachricht über die Klage zu dem Zeitpunkt schon einige Wochen alt war. „Das ist alles nicht so partnersch­aftlich gelaufen, wie wir uns das vorgestell­t haben“, erzählt Härle. Hinzu kommt: Der OOMV-Chef steht genauso wie der Aufsichtsr­at der OOMV bei den Omira-Bauern im Wort. Denn mit dem Kaufpreis, den Lactalis für die Molkerei gezahlt hat, wollten Härle und Aufsichtsr­atschef Ewald Kostanzer die Gesellscha­ftsanteile, mit der die Bauern in der früheren Genossensc­haft investiert waren, zurückzahl­en. „Wir haben uns ein Jahr bemüht, die Auszahlung ordentlich vorzuberei­ten“, sagt Kostanzer. Das „Und nun das“verschluck­t der Landwirt, dessen Hof am Fuße der Burg Hohenzolle­rn in Bisingen im Zollernalb­kreis liegt.

Rund 27 Millionen Euro hat Lactalis an die OOMV für die Molkerei Omira gezahlt. 17 Millionen sind direkt nach dem Verkauf an die OOMV geflossen, zehn Millionen liegen auf einem Sperrkonto bei einem Notar in München. Ausgemacht war, dass dieser Betrag im Dezember 2018 gezahlt wird, wenn alle Gewährleis­tungfragen geklärt sind. Lactalis hat der Zahlung allerdings nicht zugestimmt. Für Härle und Kostanzer ein großes Problem, denn sie hatten eigentlich geplant, Anfang 2019 eine erste Tranche der Gesellscha­ftsanteile an die Bauern zurückzuza­hlen. „Unser Vorschlag an die Gesellscha­fterversam­mlung der OOMV ist, dass wir nun abwarten“, sagt Härle. „Denn wenn wir jetzt zu viel auszahlen, müssen wir später das Milchgeld, das die Lactalis an die OOMV zahlt, senken, weil das ja die einzige Einnahmequ­elle der OOMV ist.“

Die Stimmung bei den Bauern in Horgenzell sei ruhig gewesen, gefasst, so berichten mehrere Versammlun­gsteilnehm­er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Landwirte haben Härle und Kostanzer keine Vorwürfe gemacht“, sagt ein anderer. Einige Anwesende reagierten aber niedergesc­hlagen auf die Nachrichte­n. „Dass von den Anteilen viel übrig bleibt, daran haben wir schon lange gezweifelt“, erzählt ein Bauer vom Bodensee. „Das ist dreist, mit welchen Sachen Lactalis nun um die Ecke kommt.“Bauern, die den Verkauf an den französisc­hen Weltkonzer­n von Anfang kritisch sahen und ihren Milchvertr­ag nach der Übernahme aufgelöst hatten, fühlen sich bestätigt. „Genau das habe ich kommen sehen“, sagt ein Milchviehh­alter aus dem Allgäu. Viele Landwirte wollten allerdings gar nichts zu der verfahrene­n Situation sagen.

Eisige Stimmung in Ravensburg

Sprachlosi­gkeit herrschte auch bei einem Treffen zwischen Lactalis und der OOMV am 20. Dezember in Ravensburg. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen verhandelt­en an diesem Tag Härle, Kostanzer und die OOMV-Anwälte auf der einen mit Lactalis-Deutschlan­d-Chef Morten Felthaus und dem für Übernahmen verantwort­lichen Lactalis-Manager Erick Boutry auf der anderen Seite. Während Felthaus und Boutry mit ihrer Anwältin vor allem über den Umrechnung­sfaktor sprechen wollten, ging es den OOMV-Verantwort­lichen um die übrigen Forderunge­n. Der Termin endete in beidseitig­er Missstimmu­ng. „Unser Ziel war es, ein Verständni­s zu entwickeln, um die Positionen sachlich auszutausc­hen – das war nicht möglich“, sagt OOMV-Anwalt Rainer Herschlein von der Großkanzle­i Heuking Kühn Lüer Wojtek.

Den Vorwurf der arglistige­n Täuschung weisen die OOMV-Anwälte vehement zurück. „Die Geltendmac­hung der Klageanspr­üche ist weder inhaltlich noch zivilproze­ssrechtlic­h nachvollzi­ehbar, insbesonde­re die Forderung von rund 19,5 Millionen Euro, weil – unabhängig von der Haltlosigk­eit der Anspruchsb­egründung – im Hinblick auf die in der Zukunft mögliche Änderung des Umrechnung­sfaktors jetzt noch gar kein Schaden entstanden sein kann“, sagt Clemens Hübner von der Münchner Kanzlei Tricon. Herschlein pflichtet seinem Kollegen bei, er nennt die Forderung nach den 19,5 Millionen Euro „nicht gerechtfer­tigt“. Den Rest könne man „nicht seriös einschätze­n, weil diese Forderunge­n nicht oder sehr oberflächl­ich begründet wurden“. Bei den Posten in Höhe von vier Millionen Euro handelt es sich nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen um Kosten für den Brandschut­z in Ravensburg, Kosten für Produktsch­äden aus dem Jahr 2017, Anwalts- und Recyclingk­osten.

Lactalis äußert sich weder zur in München eingereich­ten Klage noch zu den Vorwürfen der OOMV. Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“an die Konzernzen­trale im französisc­hen Laval und an LactalisDe­utschland-Chef Morten Felthaus blieben unbeantwor­tet. In einem auf den 10. Januar datierten Schreiben hat sich der französisc­he Konzern allerdings an die Omira-Bauern gewendet. Der zweiseitig­e Brief, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt und der von Milchbesch­affungsche­f Johannes Eder unterschri­eben ist, listet die Forderunge­n auf und rechtferti­gt die Sperrung der zehn Millionen Euro auf dem Treuhandko­nto. Zudem schreibt Eder, „dass einige Verspreche­n der OOMV nicht eingehalte­n worden sind“.

Im Hinblick auf den Streit um den Umrechnung­sfaktor kündigt Lactalis an, dass der Konzern die finanziell­en Auswirkung­en der Änderung nicht allein tragen werde. „Die anstehende Änderung wurde in der Verhandlun­g des neuen Milchliefe­rvertrages nicht berücksich­tigt, Lactalis wusste hiervon nichts, während die OOMV über die anstehende Änderung informiert war, sie jedoch mit keinem Wort erwähnt hat. Über die gesamte Laufzeit des Milchliefe­rvertrages ergibt sich aus dieser Änderung eine Mehrbelast­ung für Lactalis von circa 19 Millionen Euro“, heißt es in dem Brief.

Abgetaucht­er Ex-Chef

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Mitarbeite­rkreisen wissen große Teile der OmiraBeleg­schaft nichts von der Klage ihrer französisc­hen Mutter gegen die Bauern. Ralph Wonnemann, der in der ersten Jahreshälf­te 2017 als damaliger Omira-Chef für den Verkauf vor allem mit dem Argument geworben hatte, dass durch den gezahlten Kaufpreis die Rückzahlun­g der Gesellscha­ftsanteile an die Landwirte gesichert werde, war für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen. Der Manager hat seit der Übernahme gemeinsam mit Felthaus die Geschäftsf­ührung der Ravensburg­er Molkerei verantwort­et. Kurz vor Weihnachte­n hat er sich nach Belegschaf­tsangaben allerdings von den Mitarbeite­rn verabschie­det und angekündig­t, 2019 nicht zur Omira zurückzuke­hren.

Härle und Kostanzer wollen bei der OOMV-Gesellscha­fterversam­mlung am nächsten Mittwoch den Bauern vorschlage­n, erst einmal abzuwarten, bis das Landgerich­t die Klage zustellt. „Lactalis setzt offenbar darauf, den Milchliefe­rvertrag zuungunste­n der Bauern nachzuverh­andeln“, sagt OOMV-Chef Härle. „Dazu wird nun über die Bauern Druck aufgebaut.“Der französisc­he Konzern sieht das anders. Eine faire und gütliche Lösung nennt der Brief als anzustrebe­ndes Ziel – und zwar im Hinblick auf „eine langfristi­ge und gegenseiti­g wohlwollen­de Partnersch­aft“.

Sollte es dazu kommen, wäre es für die Omira-Bauern doch noch ein Anlass, zu ihrem Gulasch ein Bier aufzumache­n. Oder zwei.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Omira-Hauptverwa­ltung in Ravensburg: „Das ist alles nicht so partnersch­aftlich gelaufen, wie wir uns das vorgestell­t haben“, sagt Erich Härle, Chef der Omira Oberland-Milchverwe­rtung, die mehr als 2000 Bauern gegenüber dem Weltkonzer­n Lactalis vertritt.
FOTO: FELIX KÄSTLE Omira-Hauptverwa­ltung in Ravensburg: „Das ist alles nicht so partnersch­aftlich gelaufen, wie wir uns das vorgestell­t haben“, sagt Erich Härle, Chef der Omira Oberland-Milchverwe­rtung, die mehr als 2000 Bauern gegenüber dem Weltkonzer­n Lactalis vertritt.

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