Saure Milchbauern
Die Klage der Omira-Mutter Lactalis könnte Landwirte um Anteile in Höhe von 25 Millionen Euro bringen
RAVENSBURG - Gulasch hat es bei der Versammlung der Omira-Bauern in der Festhalle in Horgenzell gegeben. Dazu Spätzle, Mineralwasser und Apfelsaft. Kein Bier. Zu feiern gab es ja auch nichts. Und nicht mal der Pudding von der Molkerei, die den Landwirten aus Oberschwaben und dem Allgäu, vom Bodensee und aus dem Schwarzwald fast 90 Jahre gehört hatte, hat die Stimmung verbessert. Denn seit Dienstag ist vielen Anwesenden klar: Der neue Partner Lactalis, der die vor der Pleite stehende Genossenschaft im Sommer 2017 übernommen hat und an den sich die früheren Genossen in einem langfristigen Milchliefervertrag gebunden haben, hält nach Ansicht der Bauern wenig von einem partnerschaftlichen Geschäftsgebaren.
Das Unternehmen Lactalis verklagt wegen Gewährleistungsfragen die Omira Oberland-Milchverwertung (OOMV). Sie ist die Nachfolgegesellschaft der früheren Genossenschaft, hinter der mehr als 2000 Omira-Bauern stehen und die die Molkerei an den global agierenden Konzern aus dem französischen Laval verkauft hat. Streitwert 23,5 Millionen Euro. Im November erhielt OOMV-Chef Erich Härle einen Brief mit der Forderung. Anfang Dezember folgte die Benachrichtigung von Lactalis, dass das Unternehmen die Klage eingereicht hat. Das Landgericht München I hat für den Streit das Aktenzeichen „31 O 16981/18“angelegt.
„Lactalis wirft uns arglistige Täuschung vor“, sagt OOMV-Chef Härle. Es ist vor allem eine Beschuldigung, mit der Lactalis 19,5 Millionen Euro der ingesamt 23,5 Millionen Euro einklagen will, die den Bauern aus dem kleinen Weiler Laubbach bei Ostrach fassungslos macht: Lactalis, nach eigenen Angaben Weltmarktführer für Molkereiprodukte, der im Jahr einen Umsatz von mehr als 17 Milliarden Euro erwirtschaftet, will nicht mitbekommen haben, dass in Deutschland seit mehreren Jahren eine Novelle der Milchgüteverordnung diskutiert wird. Und in der Neufassung könnte sich der für die Milchbranche wichtige Volumen-Umrechnungsfaktor ändern. Diese Tatsache habe die OOMV verheimlicht – und Lactalis damit „arglistig getäuscht“.
Überraschter Weltkonzern
In Deutschland gilt seit Langem der Faktor 1,02. Mit ihm wird das in Litern gezählte Volumen der Milch in das in Kilogramm erfasste Gewicht des Rohstoffs umgerechnet. In den meisten europäischen Ländern – darunter dem Lactalis-Heimatmarkt Frankreich – gilt der Faktor 1,03. Der Bundesrat hat die Bundesregierung bereits 2015 in einer Entschließung dazu aufgefordert, den Wert um 0,01 anzuheben. Eine Debatte, die an der Deutschland-Zentrale von Lactalis in Kehl am Rhein offenbar vorbeigegangen sein muss. Denn in der Klagebegründung heißt es nach Angaben von Omira-Bauern, die bei der Versammlung in Horgenzell dabei waren: Zur völligen Überraschung der Klägerin wird der Satz mit Wirkung von 2019 auf 1,03 erhöht. Sicher ist das jedoch nicht. Vor allem aber: Der zwischen Lactalis und der OOMV geschlossene Milchliefervertrag knüpft die Umrechnung an die jeweils aktuelle Version der Milchgüteverordnung und schreibt den Faktor 1,02 nicht für alle Zeiten fest. In dem Vertrag heißt es: „Die Umrechnung der in Litern gemessenen Milch in Kilo erfolgt nach den jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen. Der Umrechnungsfaktor beträgt zurzeit 1,02.“
Kurz vor dem Treffen in Horgenzell herrschte bei den OOMV-Verantwortlichen noch immer Bestürzung und Unglauben über das Vorgehen von Lactalis, auch wenn die Nachricht über die Klage zu dem Zeitpunkt schon einige Wochen alt war. „Das ist alles nicht so partnerschaftlich gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben“, erzählt Härle. Hinzu kommt: Der OOMV-Chef steht genauso wie der Aufsichtsrat der OOMV bei den Omira-Bauern im Wort. Denn mit dem Kaufpreis, den Lactalis für die Molkerei gezahlt hat, wollten Härle und Aufsichtsratschef Ewald Kostanzer die Gesellschaftsanteile, mit der die Bauern in der früheren Genossenschaft investiert waren, zurückzahlen. „Wir haben uns ein Jahr bemüht, die Auszahlung ordentlich vorzubereiten“, sagt Kostanzer. Das „Und nun das“verschluckt der Landwirt, dessen Hof am Fuße der Burg Hohenzollern in Bisingen im Zollernalbkreis liegt.
Rund 27 Millionen Euro hat Lactalis an die OOMV für die Molkerei Omira gezahlt. 17 Millionen sind direkt nach dem Verkauf an die OOMV geflossen, zehn Millionen liegen auf einem Sperrkonto bei einem Notar in München. Ausgemacht war, dass dieser Betrag im Dezember 2018 gezahlt wird, wenn alle Gewährleistungfragen geklärt sind. Lactalis hat der Zahlung allerdings nicht zugestimmt. Für Härle und Kostanzer ein großes Problem, denn sie hatten eigentlich geplant, Anfang 2019 eine erste Tranche der Gesellschaftsanteile an die Bauern zurückzuzahlen. „Unser Vorschlag an die Gesellschafterversammlung der OOMV ist, dass wir nun abwarten“, sagt Härle. „Denn wenn wir jetzt zu viel auszahlen, müssen wir später das Milchgeld, das die Lactalis an die OOMV zahlt, senken, weil das ja die einzige Einnahmequelle der OOMV ist.“
Die Stimmung bei den Bauern in Horgenzell sei ruhig gewesen, gefasst, so berichten mehrere Versammlungsteilnehmer der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Landwirte haben Härle und Kostanzer keine Vorwürfe gemacht“, sagt ein anderer. Einige Anwesende reagierten aber niedergeschlagen auf die Nachrichten. „Dass von den Anteilen viel übrig bleibt, daran haben wir schon lange gezweifelt“, erzählt ein Bauer vom Bodensee. „Das ist dreist, mit welchen Sachen Lactalis nun um die Ecke kommt.“Bauern, die den Verkauf an den französischen Weltkonzern von Anfang kritisch sahen und ihren Milchvertrag nach der Übernahme aufgelöst hatten, fühlen sich bestätigt. „Genau das habe ich kommen sehen“, sagt ein Milchviehhalter aus dem Allgäu. Viele Landwirte wollten allerdings gar nichts zu der verfahrenen Situation sagen.
Eisige Stimmung in Ravensburg
Sprachlosigkeit herrschte auch bei einem Treffen zwischen Lactalis und der OOMV am 20. Dezember in Ravensburg. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen verhandelten an diesem Tag Härle, Kostanzer und die OOMV-Anwälte auf der einen mit Lactalis-Deutschland-Chef Morten Felthaus und dem für Übernahmen verantwortlichen Lactalis-Manager Erick Boutry auf der anderen Seite. Während Felthaus und Boutry mit ihrer Anwältin vor allem über den Umrechnungsfaktor sprechen wollten, ging es den OOMV-Verantwortlichen um die übrigen Forderungen. Der Termin endete in beidseitiger Missstimmung. „Unser Ziel war es, ein Verständnis zu entwickeln, um die Positionen sachlich auszutauschen – das war nicht möglich“, sagt OOMV-Anwalt Rainer Herschlein von der Großkanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek.
Den Vorwurf der arglistigen Täuschung weisen die OOMV-Anwälte vehement zurück. „Die Geltendmachung der Klageansprüche ist weder inhaltlich noch zivilprozessrechtlich nachvollziehbar, insbesondere die Forderung von rund 19,5 Millionen Euro, weil – unabhängig von der Haltlosigkeit der Anspruchsbegründung – im Hinblick auf die in der Zukunft mögliche Änderung des Umrechnungsfaktors jetzt noch gar kein Schaden entstanden sein kann“, sagt Clemens Hübner von der Münchner Kanzlei Tricon. Herschlein pflichtet seinem Kollegen bei, er nennt die Forderung nach den 19,5 Millionen Euro „nicht gerechtfertigt“. Den Rest könne man „nicht seriös einschätzen, weil diese Forderungen nicht oder sehr oberflächlich begründet wurden“. Bei den Posten in Höhe von vier Millionen Euro handelt es sich nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen um Kosten für den Brandschutz in Ravensburg, Kosten für Produktschäden aus dem Jahr 2017, Anwalts- und Recyclingkosten.
Lactalis äußert sich weder zur in München eingereichten Klage noch zu den Vorwürfen der OOMV. Anfragen der „Schwäbischen Zeitung“an die Konzernzentrale im französischen Laval und an LactalisDeutschland-Chef Morten Felthaus blieben unbeantwortet. In einem auf den 10. Januar datierten Schreiben hat sich der französische Konzern allerdings an die Omira-Bauern gewendet. Der zweiseitige Brief, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt und der von Milchbeschaffungschef Johannes Eder unterschrieben ist, listet die Forderungen auf und rechtfertigt die Sperrung der zehn Millionen Euro auf dem Treuhandkonto. Zudem schreibt Eder, „dass einige Versprechen der OOMV nicht eingehalten worden sind“.
Im Hinblick auf den Streit um den Umrechnungsfaktor kündigt Lactalis an, dass der Konzern die finanziellen Auswirkungen der Änderung nicht allein tragen werde. „Die anstehende Änderung wurde in der Verhandlung des neuen Milchliefervertrages nicht berücksichtigt, Lactalis wusste hiervon nichts, während die OOMV über die anstehende Änderung informiert war, sie jedoch mit keinem Wort erwähnt hat. Über die gesamte Laufzeit des Milchliefervertrages ergibt sich aus dieser Änderung eine Mehrbelastung für Lactalis von circa 19 Millionen Euro“, heißt es in dem Brief.
Abgetauchter Ex-Chef
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Mitarbeiterkreisen wissen große Teile der OmiraBelegschaft nichts von der Klage ihrer französischen Mutter gegen die Bauern. Ralph Wonnemann, der in der ersten Jahreshälfte 2017 als damaliger Omira-Chef für den Verkauf vor allem mit dem Argument geworben hatte, dass durch den gezahlten Kaufpreis die Rückzahlung der Gesellschaftsanteile an die Landwirte gesichert werde, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Der Manager hat seit der Übernahme gemeinsam mit Felthaus die Geschäftsführung der Ravensburger Molkerei verantwortet. Kurz vor Weihnachten hat er sich nach Belegschaftsangaben allerdings von den Mitarbeitern verabschiedet und angekündigt, 2019 nicht zur Omira zurückzukehren.
Härle und Kostanzer wollen bei der OOMV-Gesellschafterversammlung am nächsten Mittwoch den Bauern vorschlagen, erst einmal abzuwarten, bis das Landgericht die Klage zustellt. „Lactalis setzt offenbar darauf, den Milchliefervertrag zuungunsten der Bauern nachzuverhandeln“, sagt OOMV-Chef Härle. „Dazu wird nun über die Bauern Druck aufgebaut.“Der französische Konzern sieht das anders. Eine faire und gütliche Lösung nennt der Brief als anzustrebendes Ziel – und zwar im Hinblick auf „eine langfristige und gegenseitig wohlwollende Partnerschaft“.
Sollte es dazu kommen, wäre es für die Omira-Bauern doch noch ein Anlass, zu ihrem Gulasch ein Bier aufzumachen. Oder zwei.