Die Biene, die Bauern und der Runde Tisch
In Bayern läuft ein Volksbegehren zur Artenvielfalt so erfolgreich, dass sich selbst Ministerpräsident Markus Söder bewegt
Stichtag in Bayern ist erst heute, doch das Quorum im Freistaat ist bereits erreicht: Das umstrittene Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen!“hat nach Angaben der Initiatoren die erforderliche Zehn-Prozent-Hürde aller Wahlberechtigten geknackt, bereits am Montagabend hätten mehr als eine Million Menschen unterschrieben. Das Volksbegehren zielt auf Änderungen im bayerischen Naturschutzgesetz: Biotope sollen besser vernetzt und der ökologische Anbau gezielt ausgebaut werden. Der Bauernverband sieht die Initiative kritisch. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist unter Zugzwang. Kommende Woche, am Mittwoch, hat er Initiatoren und Kritiker zum Runden Tisch eingeladen.
- Die kleine Feriengemeinde Wasserburg am bayerischen Bodenseeufer wirkt oft wie eine Insel der Seligen. Das Elend der Welt scheint weit weg. Auf der einen Dorfseite plätschert der See, im Hinterland erstrecken sich Wiesen, Wäldchen und Obstanlagen. Blühen die Apfelbäume im Frühjahr, ist es wie ein Traum. Überall schwirrt und summt es. Ein Thema wie Artensterben drängt sich zumindest vordergründig da nicht unbedingt auf. Aber es interessiert auch hier – gegenwärtig läuft im Freistaat ein Volksbegehren zur Artenvielfalt.
„Bis Dienstagmorgen haben sich von 2950 Wahlberechtigten bereits 282 eingetragen“, berichtet Markus Ketschei, Leiter des örtlichen Ordnungsamtes. Die Bedeutung der Zahl wird bei prozentualer Betrachtung klar: Zwei Tage vor dem Ende der Unterschriftensammlung haben schon fast zehn Prozent der Wahlberechtigten unterschrieben – und zehn Prozent sind die Zauberzahl, das Quorum. Wird es bayernweit erreicht, müssen sich Landtag und Staatsregierung ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen.
Müssen die Politiker wohl: Nach den vorliegenden Zahlen ist das Quorum schon am Dienstagabend tatsächlich erreicht worden. Rund 950 000 Stimmen sind beisammen – früher als nötig. Die vom bayerischen Landesverband der kleinen Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) initiierte Aktion hat so viel Wirbel verursacht, dass das Thema sowieso auf der Tagesordnung geblieben wäre. Der Erfolg gibt aber zusätzlich Schwung: „Er soll auch ein Signal für andere Bundesländer sein“, sagt Agnes Becker, stellvertretende ÖDP-Landesvorsitzende und Sprecherin des Volksbegehrens.
Der Chef reagiert schnell
Erster Tag der Aktion war der 31. Januar gewesen. Vor Großstadt-Rathäusern wie in München bildeten sich lange Menschenschlangen vor den Einschreibestuben – bis weit hinaus auf die Straßen. Die Listen füllten sich rasch, worauf Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Artenschutz kurzentschlossen zur Chefsache machte. Schließlich betont der CSU-Politiker wie sein Vorgänger Horst Seehofer, dass man mit dem Ohr am Wähler dran sein müsse. Selbst jenseits der bayerischen Grenzen ist die Aufmerksamkeit geweckt – etwa bei politischen und ökologischen Kreisen in Stuttgart. Vom Prinzip her ist dies logisch: Artenschutz gilt als kampagnenfähig.
Wie dies funktioniert, zeigen Bayerns ÖDP und ihre Unterstützer vom Landesbund für Vogelschutz, von den Grünen sowie vom Bund Naturschutz. Offiziell heißt das Volksbegehren „Artenvielfalt in Bayern – Rettet die Bienen“. Im vorgelegten Entwurf für eine Änderung des weiß-blauen Naturschutzgesetzes geht es um vieles. So soll der ökologische Anbau ausgeweitet werden. Es geht um eine engere Vernetzung von Biotopen. Ein besserer Schutz von Uferrandstreifen ist Thema. Das vorliegende Papier für das Volksbegehren liest sich jedoch bürokratisch. Eingängig ist hingegen der auf zig Plakaten verbreitete Slogan. Er wurde auf „Rettet die Bienen!“verkürzt. „Das versteht jeder“, lautete am Wochenende die Schlussfolgerung einer Diskussion im Freundeskreis.
Der Honigbiene geht es gut
Die nützlichen Insekten sind eben Sympathieträger. Sie sorgen für den Honig. Mit der Biene Maja gibt es sogar eine filmische Personalisierung der Tierchen. Von der Trickfilmpoesie mal abgesehen, ist die Situation Forschern zufolge aber ernst und wird seit Jahren beklagt. Gerade die Biene aber ist ein schwieriges Beispiel für den Artenschwund; man muss unterscheiden zwischen Honigund Wildbiene. Wegen ihrer Rolle als Nutztier erfährt die Honigbiene viel menschliche Unterstützung. Wildbienen hingegen werden von Ökoverbänden wie dem BUND als bedroht angesehen. Was die Gesamtheit der Insekten angeht, wollen Wissenschaftler festgestellt haben, dass in Deutschland in den vergangenen 40 Jahren bis zu 80 Prozent der Bestände verschwunden sind.
Dazu hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) vergangenes Jahr alarmiert angemerkt: „Die biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage.“Geschehen ist aber erst einmal nichts. Dabei ist das Problem umfassend. Vögel werden ebenso zurückgedrängt. Die früher in hecken-reichen Landschaften weitverbreiteten Rebhühner sieht man meist nur noch ausgestopft im Naturkundemuseum. Viele Säugetiere tun sich schwer, Feldhamster sind darunter, oder auch manche Fledermausart. Auch die Vielfalt in der Pflanzenwelt schrumpft. Selbst wo es grün aussieht, ist es nicht automatisch umweltfreundlich. Wer in Gegenden mit intensiver Grünlandwirtschaft lebt, weiß dies. Bei sechs bis sieben Schnitten im Jahr statt einem oder zwei ist die Blumenwiese nur noch eine ferne Kindheitserinnerung. Jetzt will auf solchen Flächen nicht mal mehr der Löwenzahn gedeihen. Außer Gras ist fast nichts mehr da.
Schwarzer Peter für die Bauern
Dieses Beispiel führt in die Branche, der üblicherweise der Schwarze Peter für die Entwicklung zugeschoben wird. Kurz und bündig formuliert dies der Weltbiodiversitätsrat, ein Gremium für die wissenschaftliche Politikberatung mit mehr als 120 Mitgliedsstaaten: „Hauptursache für den Rückgang der Artenvielfalt in Europa ist die zunehmende Intensität der konventionellen Land- und Forstwirtschaft.“
Womöglich spielt auch der Flächenfraß durch das Ausweisen immer neuer Wohn- und Gewerbeviertel sowie durch den Straßenbau eine nicht zu unterschätzende Rolle. Oder ausufernde Freizeittätigkeiten in der Natur. Bei der allgemeinen Diskussion treten diese Aspekte aber meist in den Hintergrund. Warum dies so ist, könnte am Verhalten der Landwirte, beziehungsweise diverser ihrer Funktionäre liegen. So hat beim gegenwärtigen Volksbegehren sofort der Bayerische Bauernverband die Rolle des Verhinderers übernommen. Dessen Generalsekretär Georg Wimmer schreibt: „Statt einem Ausbau der Umweltprogramme in Bayern soll durch die Unterschriften und am Parlament vorbei eine lange Liste von zusätzlichen Vorschriften für die Bauern auf den Weg gebracht werden.“
Der Verband behauptet, eine Enteignung bäuerlichen Grundes drohe. Gemeint ist damit unter anderem das verpflichtende Einrichten von Gewässerrandstreifen, also einem Abstand zwischen Bächen und Feldern. Baden-Württemberg kennt dies bereits. Die bäuerliche Welt ist dort nicht untergegangen. Der Bayerische Bauernverband setzt aber auf Freiwilligkeit bei allen Maßnahmen. Bei Ökotätigkeiten durch Landwirte hat dies bisher den Charme, dass sie Fördermittel dafür erhalten – praktisch als Belohnung. Würden entsprechende Maßnahmen Gesetz, fiele das Geld weg. Ein schlagendes Argument für den Verband.
Bis Ende Januar hatte er auch einen mächtigen Verbündeten: Ministerpräsident Söder. Die Freiwilligkeit hatte es ihm angetan. Das Volksbegehren sah er „skeptisch“. Nachdem sich die Unterschriftenlisten aber rasch füllten, bewegte sich Söder und kündigte vergangene Woche einen runden Tisch und ein „umfassendes Gesetz für mehr Natur- und Artenschutz“an. Ziel sei ein „gesellschaftlicher Konsens“.
CDU sucht nach Ökostrategie
Aus CSU-Kreisen heißt es, man wolle sich nicht vom politischen Gegner vorführen lassen. Es sei halt so, dass Ökothemen zum heutigen Lifestyle passten. Eine Erkenntnis, die sich offenbar auch bei der baden-württembergischen Schwesterpartei breitmacht. Die Landes-CDU diskutiert laut internen Informationen bereits die Entwicklung im Nachbarbundesland und sucht nach einer Ökostrategie. Umweltverbände im Südwesten sinnieren. Claudia Wild, Sprecherin des baden-württembergischen Nabu, meint: „Wir wollen mit unseren bayerischen Freunden besprechen, wie das Volksbegehren gelaufen ist.“Dabei schwingt die Überlegung mit, ob ein solches Volksbegehren auch in Baden-Württemberg denkbar ist.
Noch gibt es aber nur das bayerische Quorum. Der Landtag kann das Volksbegehren nun innerhalb von drei Monaten annehmen oder einen eigenen Gesetzentwurf erarbeiten. In dem Fall dürften die Bayern zwischen zwei Vorlagen wählen. Daneben steht die Söder-Lösung vom runden Tisch im Raum. Schon nächste Woche möchte der Ministerpräsident diskutieren.
Fast unter geht dabei, dass noch bis heute Abend weiter votiert werden darf. Auch an der Rathaustüre in Wasserburg steht ausdrücklich Mittwoch, 20 Uhr als Schlusszeit. Da könnten noch ein paar Prozent mehr auf die Liste kommen. Die Initiatoren des Begehrens hoffen darauf: „Mehr Stimmen, mehr Gewicht bei den folgenden Gesprächen.“