Die Opfer aus dem Schatten holen
Der Weiße Ring hilft Kriminalitätsopfern - Monatelanges Warten auf Therapieplatz
TROSSINGEN - Wenn dieser Tage Wolfgang Schoch, Außenstellenleiter des Weißen Rings im Landkreis Tuttlingen, anlässlich des Tags des Kriminalitätsopfers (22. März) über die von ihm betreuten Fälle spricht, dann fällt häufig der Begriff „Prävention“. Denn die, so der ehemalige Polizist, „ist der beste Schutz“.
Die Fälle, von denen Wolfgang Schoch spricht, lassen den Zuhörer kaum los. Auch wenn Schoch, um die Persönlichkeitsrechte der Opfer zu wahren, alle Fälle anonymisiert - das Leid und die Not, auf die er immer wieder trifft, scheint spürbar.
„Immer wieder werden Senioren Opfer von Betrügern, die sie per Telefon dazu bringen, all ihr Geld ins Ausland zu überweisen oder es einem Kurier zu übergeben“, so Schoch. Das könne soweit gehen, dass die Betroffenen nicht mal mehr die nächste Miete oder Lebensmittel bezahlen können. „Dann springt der Weiße Ring ein, bis die nächste Rente kommt“, sagt Schoch. Soziale Vereinsamung und falsche Scham machten alte Menschen angreifbar. Wer keine Kontakte mehr habe, der freue sich über den Anruf des Trickbetrügers und wolle nur zu gerne glauben, dass es der fast vergessene Neffe sei.
Weit schwieriger sei es, Opfern von Gewalt zu helfen. „In unserem Rechtssystem geht es erst mal darum, den Täter zu verurteilen. Die Opfer sind nur Zeugen“, sagt Schoch. Während Angeklagte automatisch einen Pflichtverteidiger bekommen, sei ein Rechtsbeistand oder gar ein Therapieplatz bei akuten Traumata nicht selbstverständlich. Doch genau hier will Schoch mit seiner Arbeit ansetzen. „Wenn zum Beispiel Kinder sehen, wir ihre Mutter durch den Vater lebensgefährlich verletzt wird, dann werden sie schwer traumatisiert. In solchen Fällen muss es schnell Hilfe geben, damit sich das Trauma nicht verfestigt“, so Schoch. Hier profitiere der Weiße Ring von einer engen Zusammenarbeit mit den Fachkliniken in Rottweil und Bad Dürrheim. „Aber die Anschlusstherapie, für die man einen niedergelassenen Traumatologen braucht, die ist nur schwer zu bekommen“, so der Opferschützer. Es mangele schlicht an genügend Therapeuten. „Die Opfer müssen oft Wartezeiten oder lange Wege auf sich nehmen“, bemängelt er.
Ein weiteres Thema, dass Schoch umtreibt, ist die finanzielle Versorgung von Opfern. „Wer Opfer eines Verbrechens wurde oder einen nahen Angehörigen durch eine solche Tat verliert, der muss sich zeitgleich auch mit der Bürokratie auseinander setzen“, bemängelt er. Kranken- und Rentenversicherungen seien dann genauso abzuarbeiten wie Betriebsgenossenschaften und private Versicherungen. „Die Formulare sind oft sehr komplex. Es kann sein, dass Anträge an bis zu sieben Stellen gestellt werden müssen.“Durch „diesen Dschungel“führen die Helfer des Weißen Rings die Menschen.
Enge Zusammenarbeit mit Phönix und Frauenhaus
Dass schnelle Hilfe davon abhängt, wo ein Opfer lebt, damit kann sich Schoch nicht abfinden. Denn während es im Bereich um Heidelberg und Offenburg gleich mehrere Traumaund Gewaltambulanzen gibt, sei unsere Region unterversorgt. „Wir fangen das auf“, sagt er und verweist auf eine enge Kooperation des Weißen Rings mit dem Frauenhaus und dem Verein Phönix, der sich um Opfer sexueller Gewalt kümmert. Müsse eine Frau schnell vor der Gewalt Zuhause fliehen, so bezahle der Weiße Ring im Notfall die Fahrkarte zum nächsten Frauenhaus, das einen Platz frei hat. „Wenn bei häuslicher Gewalt die Gefahr besteht, dass der Täter zurück kommt, übernehmen wir die Hotelkosten“, zählt er Beispiele auf, mit denen im Kleinen bereits Hilfe geleistet werden kann.
Mehr Zeit ist nötig, wenn es um langfristige Hilfe geht. „Menschen, die als Kinder missbraucht wurden, verdrängen das oft für lange Zeit, das Trauma bricht sich erst im Erwachsenenalter Bahn“, sagt Schoch. „Wer dann auf Zahlungen des Versorgungsamts angewiesen ist, der muss Beweise bringen und das ist oft unmöglich.“Um zumindest eine Therapie anlaufen lassen zu können, übernimmt der Verein die ersten Sitzungen, bis die Krankenkasse einspringt.
Damit Menschen nicht zu Opfern werden, sei manchmal gar nicht so viel nötig. Wolfgang Schoch fällt dazu das Beispiel einer Frau ein, die von einem Mann über einen längeren Zeitraum verfolgt wurde. „Ihr Chef hat gemerkt, dass etwas nicht stimmt und Hilfe über den Weißen Ring für sie organisiert.“