Aus Krankenschwestern und Gärtnern werden Lehrer
Podiumsdiskussion um Lehrerversorgung macht Nachholbedarf deutlich – Schulen müssen auf „Nicht-Erfüller“zurückgreifen
- In Sachen Lehrerstellen war der Landkreis Tuttlingen zu Beginn des aktuellen Schuljahrs der am schlechtesten versorgte in Baden-Württemberg. Dass die Lehrerknappheit die Schulen vor Ort auch jetzt noch beschäftigt, wurde bei einer Podiumsdiskussion am Montag in der Tuttlinger Stadthalle deutlich.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte eingeladen. Günther Thum-Störk, der Tuttlinger Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft begrüßte gut 20 Besucher im kleinen Saal der Stadthalle, darunter viele Pädagogen.
Der Schulleiter der Tuttlinger Karlschule, Till Haendle, betonte eingangs, dass viele Unterrichtsstunden von externen Kräften, sogenannten Nicht-Erfüllern, also nichtausgebildeten Lehrern, abgedeckt werden müssten. Diese Lehrkräfte würden wieder entlassen, ohne zu wissen, wie es mit ihnen weitergehe: „Das sorgt für Frust“, sagte Haendle. Ähnliches schilderte auch Steffen Finsterle, Rektor der Trossinger Löhrschule, eine Werkrealschule.
Schulen brauchen Nicht-Erfüller
Eva-Marija Schuldt, Personalratsvorsitzende des Staatlichen Schulamts Konstanz, merkte an, dass inzwischen auch ausgebildete Krankenschwestern, Gärtnermeister oder Bürokauffrauen als Lehrer tätig seien. „Ohne sie würde unser System zusammenbrechen“, gab sie zu verstehen.
Die Diskussion um Nicht-Erfüller beschäftigten auch das Podium, das von Dorothea Hecht, stellvertretende Redaktionsleiterin des Gränzboten, moderiert wurde. Es helfe nicht, dass man im Land nur vollqualifizierte Lehrkräfte einstelle, sagte Michael Hirn, GEW-Fachgruppenvorsitzender Sonderpädagogik. 871 Leute seien zu Beginn des Schuljahres ohne vollständige Lehrerausbildung als Krankheitsvertreter eingesetzt worden. „Der Skandal ist, man macht diesen Leuten kein Qualifizierungsangebot“, so der Vorwurf an die Politik, für den Michael Hirn den größten Applaus der Veranstaltung erhielt. CDU-Mann Karl-Wilhelm Röhm hielt dagegen: „Eine pädagogische Vorbildung erwarte ich.“
Gerhard Kleinböck, SPD-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Bildung, hat in seiner Zeit als Schulleiter Nicht-Erfüller eingestellt, die gute Pädagogen gewesen seien. Einige davon hätte er dazu motivieren können, ein zweites Studium zu absolvieren, um sie schließlich als Lehrer ins Beamtenverhältnis zu übernehmen. Es gäbe allerdings auch Nicht-Erfüller, die diese Qualitäten nicht mitgebracht hätten.
Andrea Bogner-Unden, GrünenMitglied des Bildungsausschusses und Landtagsabgeordnete des Landkreises Sigmaringen, betonte, dass die Lehrerversorgung „hohe Priorität“habe und für Grundschulen und Sonderpädagogik neue Studienplätze ausgeschrieben wurden. „Diese Maßnahmen wirken aber erst in sechs Jahren. Deshalb versuchen wir, kurzfristig mehr Lehrer zu bekommen und auf verschiedenen Ebenen etwas zu erreichen“, so Bogner-Unden. Die Attraktivität dieser Stellen soll erhöht werden und Teilzeitkräfte sollen zu Vollzeitkräften überredet werden, genauso sollen Lehrer im Ruhestand „reaktiviert“werden.
Mehr Geld für Grundschullehrer?
Es gebe auch genügend interessierte Menschen, die bereit seien, Grundschullehramt zu studieren, sagte Röhm. Er bezeichnete dies als „Hoffnungsschimmer“. Dennoch müsse mehr für die Attraktivität des Lehrerberufs getan werden, sagte Ricarda Kaiser, GEW-Fachgruppenvorsitzende Grundschule. Auch Grundschullehrer sollten Besoldungsgruppe A13 erhalten. „Wir sind dran“, hieß es von schwarz-grüner Seite. Die Höherstufung für Grundschulrektoren sei schon in Planung.
Die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrerberufs insgesamt müsse verbessert werden, mahnte Niko Reith, FDP-Stadtrat in Donaueschingen an. Dies sei ein „wesentlicher Punkt, an dem wir alle arbeiten müssen“. Genauso müsse der Standort in der Region attraktiv gestaltet werden. Diskutiert wurden entsprechende Anreize – Zulagen oder Vorteile bei der Kinderbetreuung – für die Arbeit im ländlichen Raum. GEW-Mann Hirn meinte: „Es ärgert mich, dass wir seit Jahren in einer Mangelsituation leben. Die Landesregierung muss schneller mehr tun und sie muss mehr Geld ausgeben.“
Enttäuschend: Die Veranstaltung hätte aufgrund der aktuellen Präsenz des Lehrkräftemangels deutlich mehr Teilnehmer vertragen können.