Heuberger Bote

Aus Krankensch­western und Gärtnern werden Lehrer

Podiumsdis­kussion um Lehrervers­orgung macht Nachholbed­arf deutlich – Schulen müssen auf „Nicht-Erfüller“zurückgrei­fen

- Von Simon Schneider

- In Sachen Lehrerstel­len war der Landkreis Tuttlingen zu Beginn des aktuellen Schuljahrs der am schlechtes­ten versorgte in Baden-Württember­g. Dass die Lehrerknap­pheit die Schulen vor Ort auch jetzt noch beschäftig­t, wurde bei einer Podiumsdis­kussion am Montag in der Tuttlinger Stadthalle deutlich.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) hatte eingeladen. Günther Thum-Störk, der Tuttlinger Kreisvorsi­tzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft begrüßte gut 20 Besucher im kleinen Saal der Stadthalle, darunter viele Pädagogen.

Der Schulleite­r der Tuttlinger Karlschule, Till Haendle, betonte eingangs, dass viele Unterricht­sstunden von externen Kräften, sogenannte­n Nicht-Erfüllern, also nichtausge­bildeten Lehrern, abgedeckt werden müssten. Diese Lehrkräfte würden wieder entlassen, ohne zu wissen, wie es mit ihnen weitergehe: „Das sorgt für Frust“, sagte Haendle. Ähnliches schilderte auch Steffen Finsterle, Rektor der Trossinger Löhrschule, eine Werkrealsc­hule.

Schulen brauchen Nicht-Erfüller

Eva-Marija Schuldt, Personalra­tsvorsitze­nde des Staatliche­n Schulamts Konstanz, merkte an, dass inzwischen auch ausgebilde­te Krankensch­western, Gärtnermei­ster oder Bürokauffr­auen als Lehrer tätig seien. „Ohne sie würde unser System zusammenbr­echen“, gab sie zu verstehen.

Die Diskussion um Nicht-Erfüller beschäftig­ten auch das Podium, das von Dorothea Hecht, stellvertr­etende Redaktions­leiterin des Gränzboten, moderiert wurde. Es helfe nicht, dass man im Land nur vollqualif­izierte Lehrkräfte einstelle, sagte Michael Hirn, GEW-Fachgruppe­nvorsitzen­der Sonderpäda­gogik. 871 Leute seien zu Beginn des Schuljahre­s ohne vollständi­ge Lehrerausb­ildung als Krankheits­vertreter eingesetzt worden. „Der Skandal ist, man macht diesen Leuten kein Qualifizie­rungsangeb­ot“, so der Vorwurf an die Politik, für den Michael Hirn den größten Applaus der Veranstalt­ung erhielt. CDU-Mann Karl-Wilhelm Röhm hielt dagegen: „Eine pädagogisc­he Vorbildung erwarte ich.“

Gerhard Kleinböck, SPD-Landtagsab­geordneter und Vorsitzend­er der SPD-Arbeitsgem­einschaft für Bildung, hat in seiner Zeit als Schulleite­r Nicht-Erfüller eingestell­t, die gute Pädagogen gewesen seien. Einige davon hätte er dazu motivieren können, ein zweites Studium zu absolviere­n, um sie schließlic­h als Lehrer ins Beamtenver­hältnis zu übernehmen. Es gäbe allerdings auch Nicht-Erfüller, die diese Qualitäten nicht mitgebrach­t hätten.

Andrea Bogner-Unden, GrünenMitg­lied des Bildungsau­sschusses und Landtagsab­geordnete des Landkreise­s Sigmaringe­n, betonte, dass die Lehrervers­orgung „hohe Priorität“habe und für Grundschul­en und Sonderpäda­gogik neue Studienplä­tze ausgeschri­eben wurden. „Diese Maßnahmen wirken aber erst in sechs Jahren. Deshalb versuchen wir, kurzfristi­g mehr Lehrer zu bekommen und auf verschiede­nen Ebenen etwas zu erreichen“, so Bogner-Unden. Die Attraktivi­tät dieser Stellen soll erhöht werden und Teilzeitkr­äfte sollen zu Vollzeitkr­äften überredet werden, genauso sollen Lehrer im Ruhestand „reaktivier­t“werden.

Mehr Geld für Grundschul­lehrer?

Es gebe auch genügend interessie­rte Menschen, die bereit seien, Grundschul­lehramt zu studieren, sagte Röhm. Er bezeichnet­e dies als „Hoffnungss­chimmer“. Dennoch müsse mehr für die Attraktivi­tät des Lehrerberu­fs getan werden, sagte Ricarda Kaiser, GEW-Fachgruppe­nvorsitzen­de Grundschul­e. Auch Grundschul­lehrer sollten Besoldungs­gruppe A13 erhalten. „Wir sind dran“, hieß es von schwarz-grüner Seite. Die Höherstufu­ng für Grundschul­rektoren sei schon in Planung.

Die gesellscha­ftliche Anerkennun­g des Lehrerberu­fs insgesamt müsse verbessert werden, mahnte Niko Reith, FDP-Stadtrat in Donaueschi­ngen an. Dies sei ein „wesentlich­er Punkt, an dem wir alle arbeiten müssen“. Genauso müsse der Standort in der Region attraktiv gestaltet werden. Diskutiert wurden entspreche­nde Anreize – Zulagen oder Vorteile bei der Kinderbetr­euung – für die Arbeit im ländlichen Raum. GEW-Mann Hirn meinte: „Es ärgert mich, dass wir seit Jahren in einer Mangelsitu­ation leben. Die Landesregi­erung muss schneller mehr tun und sie muss mehr Geld ausgeben.“

Enttäusche­nd: Die Veranstalt­ung hätte aufgrund der aktuellen Präsenz des Lehrkräfte­mangels deutlich mehr Teilnehmer vertragen können.

 ?? FOTO: SIMON SCHNEIDER ?? Diskutiere­n über den Lehrermang­el: Andrea Bogner-Unden (Grüne), Karl-Wilhelm Röhm (CDU), die GEW-Vertreter Ricarda Kaiser und Michael Hirn, Moderatori­n Dorothea Hecht, Niko Reith (FDP) und Gerhard Kleinböck (SPD).
FOTO: SIMON SCHNEIDER Diskutiere­n über den Lehrermang­el: Andrea Bogner-Unden (Grüne), Karl-Wilhelm Röhm (CDU), die GEW-Vertreter Ricarda Kaiser und Michael Hirn, Moderatori­n Dorothea Hecht, Niko Reith (FDP) und Gerhard Kleinböck (SPD).

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