Vom Schandfleck zum Blumenmeer
Nächste Woche beginnt die Bundesgartenschau in Heilbronn – die erste in Baden-Württemberg seit 42 Jahren
- Die frohe Botschaft erhellt sofort das etwas bullig wirkende Gesicht von Hanspeter Faas, dem Geschäftsführer der Heilbronner Bundesgartenschau. „Zur Eröffnung nächste Woche am 17. April bekommen wir eine Direktschaltung ins ,Morgenmagazin’ von ARD und ZDF“, flüstert ihm ein dienstbarer Geist kurz vor der Pressekonferenz auf dem Blumengelände zu. Faas lockert den Seidenschal am Hals ein wenig, flüstert freudig zurück: „Super. Das bringt Aufmerksamkeit in ganz Deutschland.“
Trommeln für den Erfolg ihrer Bundesgartenschau: Genau darum geht es den Veranstaltern im Moment noch. Die Menschen sollen strömen. Bis zum Torschluss am 6. Oktober wird mit bis zu 2,3 Millionen Besuchern kalkuliert. „Machbar“, lautet die Parole von Faas und seinen Mitarbeitern. Zu Hilfe kommt ihnen ein fast schon historischer Umstand: Seit 42 Jahren hat es in Baden-Württemberg keine Bundesgartenschau mehr gegeben. Seinerzeit konnte sich Stuttgart damit in den unteren Schlossgärten schmücken.
Jetzt ist es eben Heilbronn, seit Jahrzehnten als graue Industriestadt am Neckar verschrien – nicht ganz zu Unrecht. Dort wollte man lange Zeit nicht einmal seinen Hund begraben sehen. Aber die Zeiten ändern sich. Und die Bundesgartenschau trägt ihren Teil dazu bei. Auf der 40 Hektar großen, ehemaligen Industriebrache sind letzte Arbeiten im Gange: noch hier und da Blumen pflanzen, Wege pflastern, Ausstellungspavillons fertigstellen, Absperrungen beseitigen – Kleinigkeiten eben. „Ich bin mit den Stand der Dinge so weit zufrieden“, meint Faas. Den angereisten Journalisten versichert er: „Zur Eröffnung ist definitiv alles fertig.“
Alles andere als eine gute Nachricht hätte auf der Pressekonferenz auch verwundert. Im Prinzip kann man auch jetzt schon hemmungslos über die fast fertigen Flächen streifen. Ausgesuchtes Publikum darf es bereits. Dass noch Menschen im Blaumann werkeln, stört nicht weiter. Einige Hundert Meter führt beispielsweise ein Weg am Ufer des alten Neckarverlaufs entlang. Teils verlässt er festen Boden, dann geht es auf Stegen weiter. Im Zentrum der Schau erstreckt sich eine blühende Gartenanlage, die einer Dünenlandschaft nachempfunden ist. Überall sprießt und wächst es. Stiefmütterchen, Tulpen, Osterglocken – bereits jetzt ist ein buntes Blumenmeer zu sehen.
Altes Industriegelände
Besonders eindrucksvoll sind zwei Seen mit Flaniermöglichkeiten wie in südlichen Gefilden. Schade, dass bei der Besichtigung ein strammer, kühler Wind weht, sonst hätte man hier gut verweilen können. Die beiden Gewässer verbergen übrigens ein Geheimnis, dem der Besucher ansonsten auf dem Gelände wesentlich schwerer auf die Spur kommt. Sie sind nämlich ehemalige Hafenbecken.
Wo jetzt die Schau ihren Platz hat, schlug einst das wirtschaftliche Herz Heilbronns. Hier entstand noch im Königreich Württemberg die örtliche Industrie. Aber so wie die Monarchie verschwand, ist auch über viele Betriebe die Zeit hinweggegangen. Das Gewerbe verlagerte sich flussabwärts – ungefähr dorthin, wo sich am Horizont deutlich ein Großkraftwerk abzeichnet. Am alten Neckar blieb kaum mehr als eine Industriebrache zurück: verrottende Schuppen, bröckelnde Kais, rattenverseuchte Lagerplätze, durchzogen von einer inzwischen verlegten, lärmenden Hauptverkehrsstraße. So sehen städtische Alpträume aus.
Oberbürgermeister Harry Mergel spricht von „einem Schandfleck“. Dass er in irgendeiner Art und Weise entfernt werden sollte, ist in seiner Stadt schon länger Konsens. Nur wie? Jetzt ist die Bundesgartenschau laut Mergels Worten „zum Motor der Stadtentwicklung“geworden. „Heilbronn bekommt in der öffentlichen Wahrnehmung ein ganz neues, farbenfrohes Gesicht“, frohlockt der Kommunalpolitiker aus den Reihen der SPD.
Erst einmal musste aber die Idee dazu her. Nach der im städtischen Honoratiorenkreis allseits akzeptierten Mär geht sie auf Thomas Strobl zurück, dem heutigen baden-württembergischen Innenminister. Der CDUler ist nicht nur gebürtiger Heilbronner. Er lebt auch heute noch dort. Der entscheidende Gedankenblitz schlug dann offenbar auch bei ihm daheim ein.
„Vor 20 Jahren hatten meine Frau und ich an der Küchentheke einen Traum“, erzählt Strobl. Danach folgte das Werben für die Idee. Laut Strobl versprach sein Parteifreund Günther Oettinger, als dieser noch Ministerpräsident war, einen millionenschweren Landeszuschuss. 2003 begann die Stadt mit ersten Planungen. Vier Jahre später kam es zum Durchführungsvertrag zwischen Heilbronn und der Deutschen Bundesgartenschau Gesellschaft. Ab diesem Zeitpunkt konnte richtig losgelegt werden. Das Ergebnis feiert Strobl überschwänglich: „Diese Bundesgartenschau rückt Heilbronn ins Zentrum der ganzen Republik.“
Bei dieser Aussage mag Lokalpatriotismus eine starke Rolle gespielt haben. Andererseits ist es tatsächlich seit Jahren spürbar, dass sich das Lebensgefühl in der Stadt positiv ändert. Um die Hintergründe zu verstehen, braucht es einen historischen Exkurs.
Einst war Heilbronn stolze Freie Reichsstadt gewesen, literarisch festgehalten in der Käthchen-Erzählung von Heinrich von Kleist. Später kam der Boom der Industrialisierung, die bis zum Zweiten Weltkrieg das Gesicht der Stadt bestimmte. Dann kam die Nacht des 12. Dezember 1944. Bei einem Angriff britischer Bomberverbände starben 6500 Bürger. Von Heilbronn waren nur noch Trümmer übrig. Darauf bauten dann moderne Architekten in der Nachkriegszeit eine ausgesprochen hässliche, autogerechte Stadt ohne Gesicht.
Inzwischen scheint eine andere Zeit angebrochen zu sein. So hat Heilbronn bereits vor Jahren eine ansehnliche Promenade am Neckar erhalten. In die Jahre gekommene Nachkriegsbauten werden ersetzt. Die Stiftung des schwerreichen LidlBesitzers und Heilbronner Ehrenbürgers Dieter Schwarz hat einen „Bildungscampus“mit allerlei Hochschulgebäuden ermöglicht. Hier ist aktuell die Technische Universität München mit eingestiegen. Die neue Experimenta hat ihren Betrieb aufgenommen, „das modernste Science Center in Deutschland“, wie Oberbürgermeister Mergel findet. Er sieht Heilbronn aktuell als angesagte „Start-up-Stadt“.
Zu diesen hochgelobten Großtaten kommt jetzt eben noch die Bundesgartenschau. Es muss in der Tat eine Herkulesarbeit gewesen sein, das verkommene Gelände herzurichten. Beim Baggern kamen den Arbeitern noch alte Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg in die Quere. Ein kurzer Blick in die Statistik macht deutlich, welcher Aufwand bei den Gartenarbeiten betrieben wurde: 1000 neu gepflanzte Bäume, dazu eine Million gesteckte Blumenzwiebeln, 250 000 Pflanzen für den Wechselflor, 100 000 Stauden und 5000 Rosenstöcke. Damit noch nicht angesprochen ist eine Besonderheit der Heilbronner Schau. Eigentlich soll sie ja nur Basis für das neue Stadtquartier Neckarbogen sein. Ein erster Bauabschnitt ist bewältigt. 22 Gebäude plus die neue Heilbronner Jugendherberge sind schon fertig. Darunter ist auch das mit 34 Metern gegenwärtig höchste Holzhaus Deutschlands.
Zusammen gilt das hochwertig gestaltete Ensemble als Teil der Gartenschau. Während weiter oben bereits Mieter eingezogen sind, dienen die Erdgeschosse als Ausstellungsräume – zumindest bis zum Ende der Schau am 6. Oktober. Danach werden die Karten neu gemischt. Wenn die Öffentlichkeit abgezogen ist, sollen um die beiden Seen herum weitere Wohngebäude entstehen. Was dann noch unbebaut ist, wird Stadtpark.
Kein Widerstand in der Stadt
Ein Schnäppchen war das Gesamtprojekt für Heilbronn nicht. Hier mischen sich jedoch die Kosten der Stadtentwicklung mit jenen der Bundesgartenschau. Im Rathaus wird damit gerechnet, dass der Kämmerer am Schluss rund 100 Millionen Euro weniger in der Kasse hat. Das Land Baden-Württemberg spendiert 61 Millionen Euro. 6,5 Millionen Euro kommen von anderen Geldgebern.
„Wenn wir es uns nicht leisten könnten, hätten wir es nicht gemacht“, sagt Bürgermeister Mergel kurz angebunden. Interessanterweise haben die Stadtväter nie einen bedeutenden Widerstand gegen ihre hochfliegenden Pläne gespürt – höchst ungewöhnlich im heutigen Deutschland. Eine vom Geschäftsführer der Bundesgartenschau zitierte Umfrage hat eine fast schon unglaubliche Zustimmungsrate erbracht: Demnach sagen 87 Prozent der Heilbronner, die Veranstaltung tue der Stadt gut.
Womöglich steckt hinter der Zustimmung wirklich der einst katastrophale Zustand des Geländes – ganz nach dem Motto: „Gut, dass jetzt endlich etwas geschieht“. Dies ist ja jetzt auch passiert. „Ich freue mich richtig darauf, wenn wir endlich reinkönnen“, betont Gabi Fritsch, Verkäuferin aus einem nahen Backshop. Es ist ja nicht so, dass nur Blumen auf Besucher warten. Auf dem Programm stehen über 5000 Veranstaltungen mit Musik, Theater, Sport – und nicht zuletzt eine spektakuläre abendliche Wassershow bei Einbruch der Dunkelheit (jeweils Donnerstag bis Samstag).
Das Interesse scheint groß zu sein, 50 000 Dauerkarten seien bereits verkauft worden, heißt es. „Alles sehr schön“, kommentiert Susanne Heitzler die Entwicklung. Sie arbeitet in der Immobilienbranche und spaziert mit einer Freundin am Rand des Zentrums den Neckar entlang. Die Bundesgartenschau sei eine tolle Idee. Aber ein bedenkliches Problem gebe es schon: „Hunde sind auf dem Gelände verboten. Das trifft alle Hundebesitzer.“Für Kothäufchen hätte man ja Frauchen oder Herrchen Tüten mitgeben können, meint Heitzler. Die Verantwortlichen der Schau wollten aber offenbar kein Risiko für ihre Beete, Wege und Rasenflächen eingehen.
„Vor 20 Jahren hatten meine Frau und ich an der Küchentheke einen Traum.“
Thomas Strobl (CDU) über den Gedankenblitz, der jetzt Wirklichkeit wurde