Heuberger Bote

Alles andere als „down“

Bundestag debattiert Bluttest auf Trisomie und warnt vor Entscheidu­ngsdruck auf Frauen

- Von Sabine Lennartz

- Wie weit will man in Deutschlan­d gehen, wenn es um das perfekte Kind geht? Das war die große Frage, die hinter der Orientieru­ngsdebatte des Bundestags über Bluttests zu Trisomie 21 steht. „Es geht darum, was das alles mit dieser Gesellscha­ft macht“, sagt der südbadisch­e Abgeordnet­e Peter Weiß.

Die Frage, ob man werdenden Müttern den neuen Bluttest vorenthalt­en kann, wurde von fast allen mit Nein beantworte­t. „Wir können gesetzlich Versichert­en den Fortschrit­t nicht vorenthalt­en“, sagte etwa Annette Widmann-Mauz. Bisher zahlen nur Privatkass­en die rund 200 Euro für den Test. Auch der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach fragt: „Kann ich den besseren Test den Frauen vorenthalt­en, wenn sie das Geld nicht haben?“Schließlic­h ist die Fruchtwass­eruntersuc­hung sehr viel gefährlich­er für die Föten.

Doch die Debatte ging nicht nur um diesen Test – sondern um die Geister, die man damit rief. Karl Lauterbach warnt, dass noch viele dieser Tests kommen werden. Er fordert deshalb ein Gremium, das sich mit den gesellscha­fts- und sozialpoli­tischen sowie den ethischen Dimensione­n der künftigen Tests auseinande­rsetzt und die Politik berät. Nun gibt es bereits den deutschen Ethikrat, doch auch der hat ausdrückli­ch eine öffentlich­e Diskussion gefordert.

Der Test erzeugt einen hohen Entscheidu­ngsdruck, sagt Uwe Schummer (CDU). Viele Abgeordnet­e warnen, dass es nicht dazu kommen darf, dass Familien sich am Ende noch entschuldi­gen müssen, wenn sie ein Kind mit Downsyndro­m bekommen. Der Test sei nicht im Interesse der Kinder, sagt Susann Rüthrich (SPD).

„Warum habt ihr Angst vor uns?“

Auf den Tribünen des Bundestags sitzen viele Behinderte mit ihren Familien oder Betreuern. Doch sie kommen nur indirekt zu Wort. Etwa, wenn die Behinderte­nbauftragt­e der Grünen, Corinna Rüffer, die 20-jährige Natalie Dedreux zitiert: „Warum habt ihr Angst vor uns?“

Dedreux hat eine Petition, Menschen mit Downsyndro­m nicht auszusorti­eren, gestartet. Die Gesellscha­ft sei zu ungeübt im Umgang mit Behinderun­gen, sagt Rüffer. Auf der Tribüne klatschen die jungen Erwachsene­n mit Downsyndro­m. Eigentlich sind diese Beifallsbe­kundungen verboten, doch kein Saaldiener schreitet ein.

Unbarmherz­iger ist Bundestags­präsident Wolfang Schäuble, der immer wieder einschreit­et und den Ton abdreht. Im Bundestag ist diesmal die Redezeit auf drei Minuten beschränkt. Zu wenig, um mit viel Tiefgang die Frage nach den gesellscha­ftspolitis­chen Auswirkung­en zu stellen – aber genug Zeit, um immer wieder auch die Appelle und Befürchtun­gen der Parlamenta­rier zu hören. Zum Beispiel den von Dagmar Schmidt (SPD), die selbst ein Kind mit Down-Synrom hat. „Die Initiatore­n der Bluttests waren Hersteller­unternehme­n, die sich auf lukrativem Markt bewegen“, so Schmidt. Sie fordert eine Willkommen­skultur für alle Kinder.

Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen erinnert daran, dass Downsyndro­m keine Krankheit ist. Sie warnt, dass in Irland, wo der Test flächendec­kend erlaubt ist, keine Kinder mit Downsyndro­m mehr geboren werden. Der CDU-Abgeordnet­e und Arzt Rudolf Henke sagt, jeder Mensch habe den Anspruch, „gewollt und willkommen“zu sein. Er warnt aber auch, dass sich dies nicht damit vertrage, wenn Ärzte zur Haftung herangezog­en werden für die Zwischenfi­nanzierung eines behinderte­ngerechten Neubaus.

„Der Test darf keine Routineunt­ersuchung werden“, fordert Volker Münz (AfD). Gefühlvoll erzählt Mattias Bartke (SPD), wie er an der Autobahnra­ststätte ein vergnügtes Kind mit Downsyndro­m und dem T-Shirt „Wie schön, dass es mich gibt“sieht – und sich freut. Michael Brand (CDU) zitiert einen jungen Bekannten mit Downsyndro­m. Andreas (31) habe festgestel­lt: „Ich finde doof, dass ich eigentlich nicht leben soll.“

Sandra Nedeleff, Mutter eines Kindes mit MCM-Syndrom, ist als Zuschaueri­n nach der Debatte beeindruck­t von den vielen Beiträgen der Parlamenta­rier. „Viele setzen sich für das Gute ein“, sagt sie, „dafür, die Bedingunge­n für Eltern zu verbessern, den Umgang mit Ämtern, Kitas, Schulen und Krankenkas­sen zu erleichter­n.“Und Behinderte sichtbarer zu machen. Denn jeder, der Familien mit Behinderte­n kenne, denke doch anders, positiver darüber. „Alles andere als down“haben einige der Behinderte­n von der Tribüne auf der Rückseite ihrer T-Shirts stehen.

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FOTO: DPA Debatte mit stark persönlich­er Note: Matthias Bartke (SPD) war einer der Abgeordnet­en, die über ihren Austausch mit Menschen mit Downsyndro­m erzählten.

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