Heuberger Bote

Das Brexit-Chaos ist längst nicht überstande­n

Großbritan­nien und die EU einigen sich auf einen neuen Termin – Eine Lösung zeichnet sich trotzdem nicht ab

- Von Sebastian Borger

- Die britische Premiermin­isterin Theresa May will weiterhin, dass ihr Land möglichst bald die Europäisch­e Union verlässt. Nach der flexiblen Brexit-Fristverlä­ngerung durch die EU bis Ende Oktober sagte May am Donnerstag im Unterhaus, die Gespräche mit der Labour-Opposition würden noch am gleichen Tag weitergehe­n. „Das britische Volk erwartet von seinen Politikern Kompromiss­bereitscha­ft“, ergänzte May. Sie wolle nach Ostern den Austrittsv­ertrag dem Parlament erneut vorlegen und nach Möglichkei­t vermeiden, an der Europawahl teilzunehm­en. „Der Tag unseres Austritts bleibt unsere Entscheidu­ng“, beteuerte die Regierungs­chefin.

Neue Frist bis 31. Oktober

Bei ihrem Sondergipf­el hatten die Staats- und Regierungs­chefs der 27 verbleiben­den EU-Mitglieder in der Nacht zum Donnerstag eine Einigung über die erneute Verlängeru­ng der Brexit-Frist bis 31. Oktober erzielt. Dadurch wurde das chaotische Ausscheide­n der Insel („No Deal“) an diesem Freitag abgewendet. Während May sich lediglich eine Frist bis Ende Juni erbeten hatte – was auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron unterstütz­te – befürworte­ten EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel eine Bedenkzeit bis zum Jahresende oder sogar bis März 2020.

Die Verlängeru­ng sei ein wenig kürzer ausgefalle­n als von ihm erwartet, sagte Tusk und mahnte die Briten: „Bitte verschwend­en Sie diese Zeit nicht.“

Die erschöpfte­n Unterhaus-Abgeordnet­en haben nun bis Ostermonta­g Bedenkzeit, ehe der parlamenta­rische Schlagabta­usch wieder beginnt. Allerdings dürfte die Regierung vor der Kommunalwa­hl Anfang Mai kaum eine neue Initiative ergreifen, um das Verhandlun­gspaket aus Austrittsv­ertrag und politische­r Erklärung zum vierten Mal im Unterhaus einzubring­en. „Da passiert erst im Mai wieder etwas“, sagte Nikki da Costa, eine frühere Abteilungs­leiterin in der Downing Street, der BBC.

Freundlich­es Signal von Labour

Labour-Parteichef Jeremy Corbyn tadelte die Regierungs­chefin am Donnerstag erneut dafür, sie habe viel zu spät den Konsens mit der Opposition gesucht. Der 69-Jährige kennzeichn­ete die Gespräche mit Mays Vizepremie­r David Lidington sowie anderen Ministern als „ernsthaft und detaillier­t“.

Ein möglicher Kompromiss dreht sich um die gesetzlich­e Verankerun­g einer Zollunion mit der EU. Brüssel und London haben den Austrittsv­ertrag zwar erneut als nicht verhandelb­ar gekennzeic­hnet. Labour will sich aber mit einer reinen Absichtser­klärung in der politische­n Erklärung nicht zufriedeng­eben. Die Opposition fürchtet, nicht ganz zu Unrecht, die Hinwendung der konservati­ven Partei zu einem härteren Brexit – sobald May, wie angekündig­t, im Sommer ihr Amt verlässt. Der Favorit auf die Nachfolge, Boris Johnson, hat jeden Kompromiss mit Labour als „Kapitulati­on“bezeichnet.

Zusätzlich brachte Corbyn unter lautem Jubel seiner Hinterbänk­ler erneut ein zweites Referendum ins Spiel. Viele Labour-Abgeordnet­e würden nur dann zustimmen, wenn ein schließlic­h ausgehande­lter Kompromiss erneut dem Volk vorgelegt werde, sagte der Vorsitzend­e des Brexit-Ausschusse­s im Unterhaus, Hilary Benn, der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Das ist die klare Haltung unserer Partei.“

Auf wenig Gegenliebe stieß Mays Erklärung bei den Hardlinern in ihrer eigenen Partei. Das Verhandlun­gsergebnis von Brüssel stelle „eine erbärmlich­e Kapitulati­on“dar, behauptete William Cash und forderte seine Chefin zum baldigen Rücktritt auf. Tatsächlic­h hatte May vergangene­n Monat ihren Rückzug aus Partei- und Staatsamt angekündig­t für den Fall, dass die Parlamenta­rier dem Austrittsv­ertrag zustimmen würden. Die zweite Verhandlun­gsphase, in der es um die zukünftige politische und wirtschaft­liche Zusammenar­beit gehen wird, würde dann unter neuer Führung stattfinde­n.

Da dies nicht nur bei der Opposition, sondern auch in vielen europäisch­en Hauptstädt­en erhebliche Bedenken auslöst, beteuerte May im Unterhaus erneut, was sie auch in Brüssel gesagt hatte: Das scheidende Mitglied Großbritan­nien werde sich in den EU-Gremien auch weiterhin „konstrukti­v und verantwort­lich“verhalten: „Denn so handelt dieses Land.“

May steht inzwischen selbst im eigenen Kabinett isoliert da. Bei einer Abstimmung über die von May selbst beantragte Fristverlä­ngerung hatten sich am Dienstag vier Minister der Stimme enthalten, 131 ToryAbgeor­dnete stimmten dagegen.

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FOTO: DPA Entschloss­ene Worte, schwache Position: Die britische Premiermin­isterin Theresa May beharrt darauf, möglichst bald aus der EU auszutrete­n.

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