Heuberger Bote

Die Flucht des Julian Assange ist zu Ende

Der Gründer der Enthüllung­splattform Wikileaks wird in London festgenomm­en – Ihm droht jetzt die Auslieferu­ng in die USA

- Von Sebastian Borger

- Kommt Julian Assange in Straf- oder Auslieferu­ngshaft? Nachdem die Londoner Polizei den selbst gewählten, fast sieben Jahre währenden Hausarrest des Wikileaks-Gründes am Donnerstag­vormittag mit dem Einverstän­dnis Ecuadors beenden konnte, ist das weitere Schicksal des 47-Jährigen zunächst ungewiss. Bis zu einer Vorführung vor dem Magistrats­gericht von Westminste­r bleibt der stark gealtert wirkende Australier in Polizeigew­ahrsam. „In unserem Land steht niemand über dem Gesetz“, sagte Premiermin­isterin Theresa May im Unterhaus.

Ein halbes Dutzend Polizisten in Zivil, unterstütz­t von uniformier­ten Beamten, zerrten den halbherzig Widerstand leistenden Assange gegen 9 Uhr aus dem West-Londoner Gebäude, gleich hinter dem Nobel-Kaufhaus Harrods. Seit Herbst 2012 lebte er dort, in der Botschaft Ecuadors, um nicht verhaftet zu werden. Scotland Yard teilte später mit, man habe den Australier zunächst wegen Vergehens in seinem ursprüngli­chen, von Schweden 2012 beantragte­n Auslieferu­ngsverfahr­en festgenomm­en. Dafür droht Assange eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr. Später wurde Assange zusätzlich ein Auslieferu­ngshaftbef­ehl der USA eröffnet – wegen Hackings (auf Englisch „computer intrusion“).

Die US-Justiz hält den Australier für den Anstifter zu Chelsea Mannings Geheimnisv­errat, für den die frühere Soldatin sieben Jahre einer 35-jährigen Gefängniss­trafe verbüßte. Manning hatte die 250 000 diplomatis­chen Akten kopiert, die nach ihrer Veröffentl­ichung durch Wikileaks im November 2010 weltweit für Aufregung sorgten. Seit vergangene­m Juli gibt es im Zusammenha­ng mit der Untersuchu­ng russischer Einflussna­hme auf die US-Präsidents­chaftswahl 2016 offenbar eine zusätzlich­e Anklage, berichtete­n Kenner der Materie in London.

Das Botschafts­personal Ecuadors und sein prominente­r Gast lagen sich seit längerer Zeit immer wieder in den Haaren darüber, wie man das Zusammenle­ben auf engem Raum am besten gestalten könne. Assange lege „aggressive­s und unverschäm­tes Verhalten“an den Tag, hieß es von Botschafts­seite. Der Australier beklagte sich über Einschränk­ungen seiner Besucherza­hl sowie seines Zugangs zum Internet.

Man sei jetzt „an die Grenze“des erträglich­en Verhaltens geraten, teilte Ecuadors Präsident Lenín Moreno am Donnerstag mit. Anders als mit Assange vereinbart, habe dieser seine Verbindung zu Wikileaks aufrechter­halten. Der Nachfolger des Linkspopul­isten Rafael Correa hat seit seinem Amtsantrit­t 2017 Anstrengun­gen unternomme­n, die Beziehunge­n zu den USA zu verbessern. Wikileaks wies auf Dutzende von Journalism­uspreisen hin, die der Co-Gründer der Organisati­on über die Jahre gewonnen hat. „Mächtige Akteure“, darunter der US-Geheimdien­st CIA, seien daran interessie­rt, Assange seine Menschlich­keit und Legitimitä­t abzusprech­en und ihn dauerhaft wegzusperr­en.

Das schwedisch­e Ermittlung­sverfahren ging auf einen Besuch Assanges im Sommer 2010 zurück. In Stockholm hatte er Sex mit zwei damaligen Sympathisa­ntinnen, die anschließe­nd zur Polizei gingen. Von der Staatsanwa­ltschaft wurden die Beschreibu­ngen der angebliche­n Opfer als „minderschw­ere Vergewalti­gung” sowie zweifache sexuelle Nötigung eingestuft. Assange hat die Vorwürfe dementiert.

Ähnlich wie 2012, als Assange schließlic­h vor dem Londoner Supreme Court scheiterte, dürfte der Netzaktivi­st auch diesmal bis zur letzten Instanz gegen seine Auslieferu­ng kämpfen. Allerdings haben sich viele einstige Weggefährt­en vom früheren Wikileaks-Boss abgewandt – nicht zuletzt wegen der gezielten Leaks im US-Präsidents­chaftswahl­kampf, die Hillary Clintons Kampagne immer wieder Schaden zufügten. Clinton war während der ersten Wikileaks-Veröffentl­ichungen Außenminis­terin – und hat sich Assange wegen ihrer harten Haltung zum Feind gemacht. Der heutige USPräsiden­t Donald Trump sagte auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im Oktober 2016: „Oh, wir lieben Wikileaks.“Sein britischer Verbündete­r Nigel Farage, ehemaliger Chef der Pro-Brexit-Partei Ukip, besuchte Assange mehrfach in der Botschaft.

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FOTO: DPA Wikileaks-Mitbegründ­er Julian Assange bei seiner Ankunft am Westminste­r-Amtsgerich­t in London.

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