Wie im Amerika der Clintons und Bushs
Vor dem Start der neuen Staffel: Warum „Game of Thrones“so erfolgreich ist
n der Nacht zum 15. April startet auf Sky „Game of Thrones“in die achte Staffel. Noch immer rätselt die globale Fangemeinde, wer von den Heldinnen und Helden überleben wird, wer den Eisernen Thron besteigt, und wer das Zeug hat, die Welt vor dem eisigen Nachtkönig zu retten. Oder wird doch alles anders?
„Game of Thrones“ist längst zum globalen Phänomen geworden: 30 Millionen Zuschauer im Schnitt sehen allein in den USA die Serie, mehrere hundert Millionen weltweit, dazu insgesamt geschätzte eine Milliarde in Form von DVDs sowie illegalen Verbreitungswegen. Inzwischen zieht dieses Phänomen auch Kulturwissenschaftler und Gesellschaftsforscher auf den Plan.
Das Geheimnis des Erfolgs
Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Was macht dieses hochkomplexe Serien-Universum mit seiner ausufernden Handlung und über 50 „zentralen“Charakteren so erfolgreich?
Natürlich darf Donald Trump nicht fehlen. Mehr als einmal zitierte der 44. Präsident der USA in Erklärungen Wort- und Bildsprache von „Game of Thrones“: „The Wall is coming“, „Sanctions are coming“. Auch Videos der islamistischen ISIS waren von „GoT“-Musik untermalt. Diverse weitere Beispiele belegen: Die Fantasy-Saga nach der Romanreihe von George R.R. Martin ist die Fernsehserie der Stunde. Erst recht wenige Tage, bevor das Epos mit der achten Staffel – angeblich – zu Ende geht.
Warum fasziniert so viele Menschen diese auf den ersten Blick ziemlich primitive, redundante Geschichte über eine archaische, brutale, irgendwie mittelalterlich anmutende Welt? Es gibt keine klaren Helden in dieser Geschichte, kaum ein klares Gutes, kaum das reine Böse und keine absoluten Gewissheiten. Diese Welt ist unbarmherzig, ja inhuman. Was sagt der immense Erfolg über unsere Gegenwart aus ? Warum schauen wir uns das an?
Vielleicht liegt es daran, dass die Dinge so einfach nicht liegen: Denn die Serie ist weder primitiv, noch hat sie so wenig mit unserer Gegenwart zu tun, wie ein oberflächlicher Blick auf Kettenhemden, Hexen und gezähmte Drachen vermuten lässt. So argumentieren auch Wissenschaftler und Kritiker, die sich intensiv mit „Game of Thrones“beschäftigt haben: „Es gibt zwei Möglichkeiten, die Serie anzusehen“, sagt der in Kaufbeuren lebende „Zeit“-Kritiker Georg Seeßlen: „Wir können versuchen, das Gebilde zu durchschauen. Es geht ja auch in der Handlung um Aufklärung. Aber dazu braucht man Bücher und Karten. Es ist schwierig.“Die andere Möglichkeit sei, sich durch diese Serie treiben zu lassen, wie eine der Figuren: „Die Unübersichtlichkeit kommt wie ein Rausch über einen.“
Spiegel unserer Welterfahrung
Den Figuren selbst gehe es ja auch nicht anders. Sie alle versuchen, die Situation zu durchschauen und scheitern dabei. Die Serie spiegele damit in ihrer Handlung sehr gut die Unübersichtlichkeit unserer gegenwärtigen Welterfahrung.
„Game of Thrones“wird damit mit seiner Dramaturgie des Chaos als Erzählform zu einem erzählerischen Spiegel des Zeitalters des „Posthistoire“(Francis Fukujama), des Endes der großen Blöcke nach 1989 und der Erfahrung der politischen Krise, so wie wir sie heute erleben. Das Reich Westeros, das vage den Umrissen Großbritanniens nachempfunden und von einer Eiszeit bedroht ist, ist nicht nur Metapher für das BrexitEngland, sondern für ganz Europa, das mit sich im lähmendem Zwist liegt, anstatt die äußeren Herausforderungen anzugehen.
Parallelen zur Politik
Tatsächlich lohnt der Blick auf die zwei Entstehungszeiten der Saga: Die Romane sind in den Jahren vor 1996 geschrieben und konzipiert worden. Seinerzeit regierte Bill Clinton, die unselige Levinsky-Affaire erreichte ihren Höhepunkt. Sex und Crime im Roman spiegeln die Realität. Zur Entstehungszeit der Fernsehserie regierte Obama. Und die Serie wirkt wie die Reaktion auf diesen reinen, hehren, charismatischen, schön-redenden Präsidenten, der in Wahrheit ganz anders handelte als er sprach. Wie die Monarchen von Westeros.
„Die Parallelen zur Politik sind wirklich frappierend“, sagt Markus May, Literaturwissenschaftler der LMU München, der das Buch „Die Welt von Game of Thrones“herausgegeben hat. „Man hat spätestens seit der Wahl von Trump den Eindruck, dass das Leben der Kunst nachfolgt.“May liefert eine kulturanthropologische Erklärung für den Serien-Erfolg: „Der Kampf um die Macht ist das älteste und wichtigste Narrativ der Menschheit“, sagt May und verweist auf Homers „Ilias“. Tatsächlich geht es schon dort um Macht und Hegemonie. Es gibt Intrigen, sinnlose Kämpfe und auch Eingriffe der Magie und höherer Mächte.
So kann man sich auch ans Nibelungenlied, die Artus-Sage oder Shakespeare-Dramen erinnert fühlen. Die Trierer Anglistin Britta Colligs erklärt die Faszination der Serie mit den Figuren. „Sie sind die treibende Kraft“, sagt Colligs. Weder gut noch böse, sondern multidimensional kann jeder Zuschauer persönliche Sympathien und Identifikationen verteilen. Die Frauenfiguren seien besonders differenziert. Allein Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) biete genug feministische Power für zehn andere Frauen.
Die Prinzessin und Sklavenbefreierin Daenerys ist die interessanteste aller GoT-Figuren: Sie steht für die kulturelle Offenheit in ihrer Begegnung mit den Barbaren, aber auch für die Grenzen der Toleranz gegenüber den gefährlichen Primitiven.
Kampf der Clans
Machiavelli und Hobbes, die politischen Realisten der frühen Neuzeit, liefern zur Handlung die Theorie: „Games of Thrones“zeigt eine antikantianische Welt, in der nichts mehr moralisch eindeutig ist, Handlungen nie nach Prinzipien beurteilt werden, sondern nach ihren Konsequenzen. Wie in unserer eigenen Gegenwart gibt es sehr verschiedene Ethiken: Verantwortungsethiker, die so etwas wie eine Staatsraison zum Leitmaßstab erheben, und Handeln nach Familienraison: Blut, Verwandtschaft, Treue, Lagerbildung – hier treten Familien gegeneinander an. Wie im Amerika der Clintons und Bushs. Es gibt hier Zyniker, Amoralisten und echte Psychopathen.
Längst hat sich die Serie von den Büchern emanzipiert. In einer untragischen, saturierten Gegenwart bietet „Game of Thrones“die Wiedergeburt des Tragischen – und seine Vulgarisierung.