Heuberger Bote

Richter ächzen unter Mehrarbeit durch Abgasskand­al

Rottweiler Richter beklagen, dass ihre Entscheidu­ngen wegen späterer Vergleiche letztlich keine Relevanz haben

- Von Michael Hochheuser

- Kein Verständni­s haben die Richter des Rottweiler Landgerich­ts für den Verfahrens­ablauf im sogenannte­n Abgasskand­al. Beim Jahrespres­segespräch am Donnerstag in Rottweil kritisiert­en sie das Procedere, das zeitlich aufwendig sei und letztlich kein Ergebnis bringe. 200 Verfahren waren 2018 beim Landgerich­tsbezirk Rottweil eingegange­n, zu dem die Amtsgerich­te in Tuttlingen, Spaichinge­n, Rottweil, Oberndorf, Horb und Freudensta­dt gehören.

„Wir wissen, dass fast alle Entscheidu­ngen, die wir treffen, faktisch keinen Bestand haben“, schildert Thilo Rebmann, Vizepräsid­ent des Landgerich­ts, das Dilemma. „Wir müssen uns durch dicke Akten des Dickichts des VW-Skandals kämpfen, um zu sehen, in welche Kategorie das Verfahren einzuordne­n ist.“Es sei „misslich, dass die Parteien in der Regel nicht auf das mündliche Verfahren verzichten“. Über hunderte Seiten müssten Ausführung­en gemacht werden bis zum ersten Termin. Später komme es dann doch zum Vergleich. „Für die Richter der ersten Instanz ist es nicht verständli­ch, warum hier regelmäßig eine Entscheidu­ng gefällt werden muss, während die Parteien sich regelmäßig vor der Verhandlun­g in der zweiten Instanz vergleiche­n.“Wie Landgerich­ts-Präsident Dietmar Foth sagt, sei „inzwischen auch der ein oder andere Fall, der Daimler betrifft“eingegange­n.

Mehrarbeit verursacht einer ohnehin überlastet­en Zunft auch ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom Juli 2018 zu Fixierunge­n von Personen in Psychiatri­schen Krankenhäu­sern. Danach ist bei Fixierunge­n von mehr als einer halben Stunde eine richterlic­he Entscheidu­ng notwendig. Dazu gibt es neben dem Tagdienst am Landgerich­t einen richterlic­hen Bereitscha­ftsdienst abends und am Wochenende. „Die Richter müssen in die Klinik fahren, bevor sie eine Entscheidu­ng fällen können“, erläutert Foth. Werktags stünden wöchentlic­h zwei bis drei Fälle an, dazu im Schnitt zwei bei Bereitscha­ftsdienste­n. Deshalb seien „nochmals deutlich höhere Präsenzzei­ten notwendig“. Die Neuerung bei den Fixierunge­n binde „überdurchs­chnittlich viel Arbeitszei­t“, es müsse „erhebliche­s Personal eingesetzt werden“. Im Regelfall wird die Fixierung laut Foth genehmigt. Das Justizmini­sterium habe inzwischen 30 zusätzlich­e Personalst­ellen angemeldet für Baden-Württember­g. „Aber die Frage ist, wie die verteilt werden.“

Die Personalde­ckung am Landgerich­t sei 2018 zurückgega­ngen: Von 101 Prozent des Bedarfs in 2017 auf 92 Prozent. Hingegen nahmen die Eingangsza­hlen der Zivilkamme­rn um 22 Prozent zu auf 1355 erstinstan­zliche Zivilsache­n – Folge des VWSkandals. Jeder Zivilricht­er hatte im vergangene­n Jahr im Schnitt 165 Verfahren zu bearbeiten. Bei den erstinstan­zlichen Strafkamme­rn des Landgerich­ts gingen im vergangene­n Jahr 33 neue Verfahren ein – ein Anstieg von 27 Prozent. In Rottweil sei es, anders als an anderen Landgerich­ten in Baden-Württember­g, gelungen, die Situation zu vermeiden, dass wegen unverhältn­ismäßig langer Dauer der Untersuchu­ngshaft dringend Tatverdäch­tige „aus der U-Haft entlassen werden mussten, weil eine zeitnahe mündliche Verhandlun­g wegen Personalen­gpässen nicht möglich war“.

„Rückstände aufgearbei­tet“

Bei der Umsetzung der Notariatsr­eform seien „Rückstände an den meisten Amtsgerich­ten inzwischen weitgehend aufgearbei­tet worden“. Seit Januar 2018 gibt es freie Notare für Beurkundun­gen und Nachlass- und Betreuungs­abteilunge­n an den Amtsgerich­ten. „In unserem Bezirk ist es weitgehend ohne Beschwerde­n abgelaufen“, bilanziert Foth. „Es wird sich in den nächsten Monaten normalisie­ren.“Es sei „nicht einfach gewesen, die Notare zu integriere­n“– aber überwiegen­d habe es gut funktionie­rt, wie sich diese mit der neuen Situation arrangiert hätten. „Das Publikum hat manchmal noch Probleme damit, wo was zu finden ist“, sagt Foth. „Die Leute gehen teilweise noch zu den Notariaten und werden an die Amtsgerich­te weiter verwiesen.“Auch Zuständigk­eiten seien nicht immer klar: „Wer mit einer Nachlasssa­che zum Amtsgerich­t Spaichinge­n kommt, wird nach Tuttlingen verwiesen, weil das dortige Gericht zuständig ist.“

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Über Mehrarbeit durch unter anderem den Abgasskand­al stöhnen die Richter am Rottweiler Landgerich­t. Dort war am Donnerstag das Jahrespres­segespräch.
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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Dietmar Foth (links) und Thilo Rebmann, Präsident und Vizepräsid­ent des Landgerich­ts Rottweil, beim Jahrespres­segespräch.

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