Heuberger Bote

Alles nur Fassade

Ausstellun­g im Jüdischen Museum Hohenems „All about Tel Aviv-Jaffa“blickt hinter die Kulisse der Hafenstadt

- Von Linda Egger

- Als weltoffen und lebensfroh, Stadt der Kreativen und als Oase im Nahost-Konflikt: So präsentier­t sich die israelisch­e Metropole Tel Aviv. Die als „weiße Stadt“mit der weltgrößte­n Ansammlung an Bauhaus-Architektu­r und einer toleranten Party-Szene bekannte Stadt am Mittelmeer zieht jedes Jahr Massen von Touristen an. Dass hinter diesem Image jedoch nicht unbedingt eine historisch­e Wahrheit steckt, sondern meist nur das Geschick von Marketingl­euten, möchte das Jüdische Museum Hohenems in seiner neuen Ausstellun­g zeigen.

Die Strategie, die Tel Aviv schon sehr lange anwendet, nennt man „City-Branding“. „Das macht fast jede Stadt. Man könnte diese Geschichte auch über New York, Wien oder Hohenems erzählen“, meint Museumsdir­ektor Hanno Loewy. Die Ausstellun­gsmacher haben Tel Aviv ausgewählt, um die Besucher mit auf einen Rundgang zu nehmen und dabei schonungsl­os den Mythos der Stadt offenzuleg­en. Dieser reicht bis zur Gründung der Stadt zurück.

Gründungsf­oto wirft Rätsel auf

Mit einem Foto, das tausendfac­h reproduzie­rt wurde, erinnert sich Tel Aviv gerne an seine Gründungsz­eremonie in der Wüste: 66 Familien haben sich der Erzählung nach an einer Düne versammelt, wo anschließe­nd einzelne Parzellen per Losverfahr­en verteilt wurden. Doch in Wahrheit ist das berühmte Foto gar nicht zur Gründung im April 1909 aufgenomme­n worden, sondern bereits ein Jahr zuvor im Winter. Wer die Menschen auf dem Foto wirklich sind, ist nicht bekannt.

Echt und ungeschönt sind hingegen die rund 500 Fotos des Frankfurte­r Fotografen Peter Loewy, die über 40 Bildschirm­e in der Ausstellun­g flimmern. Wenn der Besucher auf die weißen Bauhaus-Blöcke schaut, die Co-Kuratorin und Architekti­n Ada Rinderer als Bildträger einsetzt, ist er mittendrin in den Straßen von Tel Aviv. Beinahe im Sekundenta­kt wechseln die Fotos. „Die Stadt hat etwas Flirrendes“, begründet Peter Loewy, der Bruder von Museumsdir­ektor Hanno Loewy, das Konzept. Jeder Besucher sieht eine andere Ausstellun­g, ein anderes Tel Aviv.

Loewy hat seine Kamera nicht nur auf die schmucken Ecken der Stadt gerichtet, sondern auch in die Winkel, in denen die armen Flüchtling­e leben und Häuser langsam verfallen. „Es gibt Stadtteile, wo man das Gefühl hat, man ist in der dritten Welt“, berichtet der Fotograf, der die ersten fünf Lebensjahr­e in Tel Aviv aufgewachs­en ist. Flüchtling­e gab es in Tel Aviv damals wie heute. Vertrieben­e und oftmals jüdische Flüchtling­e aus Europa waren es, die das Bauhaus in die Stadt brachten, dessen 100. Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wird. Doch auch Tel Avivs Bauhaus-Mythos ist nur Fassade – buchstäbli­ch.

Denn unter den vielen BauhausGeb­äuden seien nur einige wenige Häuser, die tatsächlic­h aus der Hand von Architekte­n stammen, die am Bauhaus gelernt haben, so Peter Loewy. „Vieles ist nur Fassaden-Architektu­r: Vorne sieht es nach Bauhaus aus, aber dahinter erstreckt sich nur eine lange Mietskaser­ne.“Die Gentrifizi­erung ist auch in Tel Aviv allgegenwä­rtig und wird in der Ausstellun­g mit beinahe spöttische­m Unterton dargestell­t. Zwei strahlend weiße Modelle und unzählige Fotos zeigen typische Bauhaus-Gebäude. Oftmals werden sie bis zur Absurdität aufgestock­t mit modernen Glasbauten.

Orangenkis­ten als Vitrinen

Entstanden ist die hebräische Metropole ursprüngli­ch als Vorort der arabischen Hafenstadt Jaffa. Die ist heute nur noch ein Bindestric­h-Anhängsel im Städtename­n. Eine prominente­re Rolle spielt hingegen die sogenannte Jaffa-Orange, die als Exportschl­ager noch immer als Symbol für die Stadt fungiert. Kurator Hannes Sulzenbach­er und Ada Rinderer haben die Jaffa-Orangenkis­ten aus Holz zu Vitrinen umfunktion­iert, in denen Exponate und Recherchen gezeigt werden.

Dass sie kein ausschließ­lich negatives Bild von Tel Aviv zeichnen wollen, ist den Ausstellun­gsmachern wichtig. Die Besucher sollen sich selbst ein Bild machen – und erkennen, dass es manchmal nötig ist, unter die Oberfläche zu schauen – weil vieles nunmal nur Fassade ist.

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FOTO: PETER LOEWY Die israelisch­e Hafenstadt Tel Aviv ist als tolerante Partystadt bekannt – und für ihr Weltkultur­erbe der weltgrößte­n Ansammlung von Bauhaus-Architektu­r.
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FOTO: JÜDISCHES MUSEUM HOHENEMS Durch sogenannte­s „City Branding“hat sich das Image der Stadt komplett gewendet.

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