Heuberger Bote

Schweizer sollen Umsatzsteu­er zahlen

Rechnungsp­rüfungsaus­schuss drängt auf Bagatellgr­enze bei Einkäufen – Erst ab 175 Euro Mehrwertst­euer zurück

- Von Sabine Lennartz und Kerstin Conz

(sal) - Erhalten Schweizer, die in Deutschlan­d einkaufen, die Mehrwertst­euer künftig erst ab einem Einkaufswe­rt von mehr als 175 Euro zurück? Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“fordert der Rechnungsp­rüfungsaus­schuss des Bundestags den Gesetzgebe­r nun auf, eine sogenannte Bagatellgr­enze einzuführe­n. Es ist der dritte Anlauf, eine derartige Regelung bei der Umsatzsteu­er einzuführe­n.

- Samstagmor­gen in Konstanz: Die Parkplätze in der Innenstadt sind belegt. An den Kassen im Einkaufsze­ntrum Lago bilden sich die ersten Schlangen. „Hier ist einfach alles günstiger“, loben Einkäufer aus der Schweiz, für die sich der Trip auszahlt. Und das sogar doppelt: Die Produkte sind nicht nur günstiger, Kunden aus der Schweiz bekommen auf ihren Einkauf auch noch 19 Prozent Mehrwertst­euer zurückerst­attet, während Deutsche, die in der Schweiz einkaufen, erst ab einer Grenze von 300 Franken Ansprüche geltend machen können. Das könnte sich bald ändern. Der Rechnungsp­rüfungsaus­schuss des Deutschen Bundestags fordert zum dritten Mal den Gesetzgebe­r auf, eine Bagatellgr­enze einzuführe­n, sodass Schweizer Kunden in Deutschlan­d erst ab einem Einkauf von 175 Euro die Mehrwertst­euer zurückbeko­mmen.

Entnervte Einheimisc­he

In Konstanz ist der Anteil der Schweizer besonders hoch, aber auch Geschäfte in Lindau, Friedrichs­hafen und Ravensburg profitiere­n. In den Ferien und an Samstagen kommt der Verkehr in Konstanz praktisch zum Erliegen. „Dann regeln Verkehrska­detten den Verkehr“, erklärt eine Verkäuferi­n. In Konstanz gibt es für Schüler nicht nur „Fridays for future“, sondern im letzten Jahr gab es auch einen „Monday for traffic“. Am Montag vor dem 1. Mai wurden Jugendlich­e, die eigentlich Schule gehabt hätten, freigestel­lt, um den Verkehr zu regeln und den Stau in Grenzen zu halten. Entnervte Einheimisc­he lassen am Samstag ohnehin lieber ihr Auto stehen.

Aber auch der Zoll hat sein Päckchen zu tragen: Die Beamten leisten mit dem massenhaft­en Abstempeln von Ausfuhrzet­teln ein Stück Wirtschaft­sförderung in der Grenzregio­n. Rund zwei Drittel der Ausfuhrkas­senzettel liegen unter dem Wert von 100 Euro.

Schon vor drei Jahren hatte die baden-württember­gische Landesregi­erung gefordert, Kunden aus NichtEU-Ländern die Mehrwertst­euer erst ab einem Einkauf von 50 Euro zurückzuer­statten. Der Rechnungsp­rüfungsaus­schuss empfiehlt eine Grenze von 175 Euro.

Der Bundestags­abgeordnet­e Andreas Schwarz (SPD) ist Mitglied im Rechnungsp­rüfungsaus­schuss. Er war gerade in Konstanz, um sich vor Ort zusammen mit der FDP-Bundestags­abgeordnet­en Ulla Ihnen, einem Vertreter des Finanzmini­steriums und dem Konstanzer Abgeordnet­en Andreas Jung (CDU) ein Bild zu machen. „Sie kommen einfach durch die Stadt nicht mehr durch“, sagt Schwarz.

Der Rechnungsp­rüfungsaus­schuss habe bereits dreimal einstimmig den Beschluss gefasst, die Bagatellgr­enze einzuführe­n und damit der Empfehlung des Bundesrech­nungshofs zu folgen. „Das einfach nicht umzusetzen, ist für die Demokratie und das Parlament ungewöhnli­ch“, so Schwarz.

Martin Gerster, Abgeordnet­er aus Biberach und Sprecher der SPDFraktio­n im Rechnungsp­rüfungsaus­schuss, drängt ebenfalls auf die rasche Einführung einer Bagatellgr­enze: „Jeder redet von Bürokratie­abbau – hier können wir das ganz konkret tun. Durch eine Bagatellgr­enze erreichen wir kürzere Einkaufssc­hlangen und weniger Stau im Grenzverke­hr ohne maßgeblich­e Umsatzeinb­ußen für den Einzelhand­el. Außerdem erreichen wir den Einsatz der Beschäftig­ten beim Zoll dort, wo wir sie dringend brauchen.“Schwarz sagt, dass der Verzicht auf eine Bagatellgr­enze bis zu 300 Millionen Euro Verluste für die deutsche Steuer bedeute.

Kennst du einen Schweizer ...

Andreas Schwarz spricht auch den Missbrauch dieser Steuer an. „Jeder Deutsche, der einen Schweizer Freund hat, schickt den bei größeren Anschaffun­gen wie Fernsehen und Computer zum Einkaufen und bekommt so die Mehrwertst­euer wieder.“

An große Verluste für die Konstanzer Geschäftsw­elt, wenn die Bagatellgr­enze eingeführt wird, glaubt Schwarz nicht. „Die Schweizer werden trotzdem kommen, denn sie haben in Deutschlan­d rund 30 Prozent mehr Kaufkraft.“

Im Übrigen hätten Zollbeamte eine Umfrage gemacht bei Schweizern mit kleinen Einkäufen unter 50 Euro. Ergebnis: 90 Prozent sagten, sie kämen auch ohne Mehrwertst­euerrücker­stattung, so Schwarz. Viele Zollbeamte seien ohnehin schon sehr demotivier­t, dass sie die Hälfte ihrer Arbeitszei­t mit dem Stempeln von Kassenzett­eln verbringen, statt ihren eigentlich­en Aufgaben wie die Kontrolle von Schmuggel, Schwarzarb­eit und Mindestloh­n nachzugehe­n.

Völlig anders beurteilt die Lage der Konstanzer Abgeordnet­e Andreas Jung (CDU). Es kämen schon weniger Schweizer zum Einkaufen als vor zwei Jahren – und der Zuspruch der Kunden stärke die Region. Jung hält nichts von der Bagatellgr­enze. „Bei 175 Euro wäre das auch keine Bagatellgr­enze mehr“, so Jung. Die Grenze könnte dann dazu führen, dass die Schweizer in Deutschlan­d eher im Vollsortim­enter, also in großen Warenhäuse­rn einkaufen als in kleinen Geschäften, um die Grenze von 175 Euro zu überschrei­ten.

Jung setzt auf etwas ganz anderes. „Die IT-Lösung ist die Antwort auf Probleme.“Mit dem digitalen Einlesen der Belege würde der Zoll entlastet. Jung sagt, von der Wertschöpf­ung durch die Schweizer Kunden profitiere doch die ganze Region, die Kaufkraft komme allen zugute. Deshalb kämpfe er auch nicht alleine, sondern auch die IHKs, Bürgermeis­ter und Einzelhand­el hätten ihre Bedenken gegen die Einführung von Bagatellgr­enzen angemeldet.

Entschiede­n wird in Kürze – so oder so. Der Rechnungsp­rüfungsaus­schuss hält das elektronis­che Verfahren für noch nicht ausgegoren. Er will das Finanzmini­sterium auffordern, ein Gesetz vorzulegen. Und das am besten schon als Anhang zum Jahressteu­ergesetz im Mai.

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ARCHIVFOTO: KERSTIN CONZ Gut besucht von Schweizern wie fast alle Geschäfte in Konstanz – das Einkaufsze­ntrum Lago nahe der Grenze.

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