Schwimmen lernen schwer gemacht
Warum sich nur jedes sechste Kind nach der Grundschule richtig über Wasser hält
- Sechs von zehn Kindern in Deutschland können nach der Grundschule nicht richtig schwimmen, jede vierte Grundschule hat keinen Zugang zu einem Schwimmbad. Das zeigen Zahlen der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG). Ein Problem: Es fehlen Schwimmlehrer. Denn nicht einmal jeder Sportlehrer muss Schwimmen im Studium belegen.
„Es liegt in der Verantwortung der Eltern, dass ihr Kind schwimmen lernt.“Emanuel Vailakis vom Schwimmverband Württemberg ärgert sich, wenn er solche Forderungen liest – erst recht, wenn sie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) stammen. Sie ist für den Unterricht im Land mitverantwortlich. Und Schwimmen gehört zum Pflichtstoff. „Es macht insofern wenig Sinn, den Ball einseitig den Eltern zuzuspielen“, meint Vailakis. Vor allem, weil mittlerweile viele Erwachsene selbst nicht mehr schwimmen können. In Migrantenfamilien ist das zum Beispiel häufiger der Fall.
Es hapert an der Ausbildung
Nach Einschätzung vieler Fachleute hapert es bei der Ausbildung von Schwimmlehrern. „Wir wissen von Lehrern, die Schwimmen unterrichten, aber vorher noch nie in einem Schwimmbad standen“, berichtet Vailakis. Ähnliche Erfahrungen macht Armin Flohr, Präsident des Württembergischen DLRG. Das Kultusministerium bestätigt: Es seien Pädagogen fachfremd im Einsatz, wie viele, wisse man nicht. Jeder Schulleiter kann selbst entscheiden, wen er vor welche Klasse stellt. Lehrer und Referendare müssen aber belegen, dass sie Schüler im Notfall retten können – etwa mit einem Zertifikat des DLRG. Wer Schwimmen unterrichtet, muss außerdem Fortbildungen nachweisen.
„Das reicht bei Weitem nicht für einen guten Schwimmunterricht, der setzt ein Studium voraus“, sagt Peter Reich vom Schwimmlehrerverband. Außerdem gibt es offenkundig durchaus Unterschiede in der Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen. Dazu gab es Ende 2018 ein Gespräch zwischen Kultus- und Wissenschaftsministerium. Es ging nach Auskunft einer Sprecherin von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) darum, dass „die Pädagogischen Hochschulen ihre Studiengänge daraufhin überprüfen, ob die verpflichtenden Inhalte entsprechend abgebildet sind, und diese – falls erforderlich – anpassen“.
An der Pädagogischen Hochschule (PH) Weingarten zum Beispiel ist Schwimmen laut Sprecher Arne Geertz kein Pflichtfach. Sportstudierende können aus fünf Bereichen drei wählen, Schwimmen ist nur eines dieser Wahlfächer. Dagegen heißt es aus dem Wissenschaftsministerium auf Anfrage, Schwimmen sei verpflichtender Teil des Studiums an allen sechs Pädagogischen Hochschulen im Land. Wie steht es um die Qualität des Unterrichts? Wie gut können Grundschüler schwimmen? Diese Fragen stellt sich auch das Kultusministerium und hat eine Studie in Auftrag geben. Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen.
Ein weiteres Problem sind die vielen maroden Bäder. An der PH Weingarten trainieren angehende Lehrer in einem Sportzentrum. Das Schwimmbad stammt aus dem Jahr 1971, es gibt laut PH Gespräche mit dem Land über eine Sanierung. Wann diese kommt, ist offen. An der PH Ludwigsburg ist das Lehrbad vom Einsturz bedroht, es ist seit Herbst 2018 geschlossen. Bis 2022 ein neues Schwimmbad steht, müssen die Studierenden mit Bussen zu umliegenden Hallen fahren.
Marode Hallenbäder
Solche Fahrten sind für Schüler gerade in ländlichen Regionen Alltag. Die Situation verschärft sich, weil immer mehr Gemeinden sich ihre Bäder nicht mehr leisten können oder wollen. Seit 2007 haben im Südwesten rund 70 städtische Schwimmbäder geschlossen, viele weitere sind sanierungsbedürftig. Das zeigen Zahlen der DLRG. „Diese Entscheidung trifft kein Bürgermeister leichtfertig“, sagte eine Sprecherin des Gemeindetages, der mehr als 1000 Kommunen vertritt, „aber der Unterhalt eines Bades ist immer ein Zuschussgeschäft“. Neu entstehen oft Spaß- oder Wellnessbäder, das Schwimmen steht im Hintergrund.
„Wir gehen davon aus, dass es bei den öffentlichen Bädern einen erheblichen Sanierungsstau gibt. Um diesen zu beseitigen, braucht es eine gemeinsame Anstrengung von Land und Kommunen“, sagt Norbert Brugger vom Städtetag. Eine Abfrage bei allen Gemeinden soll bis Herbst die nötigen Daten liefern, um abzuschätzen, wie teuer das wird.
Kultusministerin Eisenmann sagt dazu: „Die Schließung kommunaler Bäder ist in der Tat eine Herausforderung. Falls sich im nächsten Doppelhaushalt Spielräume ergeben sollten, werde ich mich dafür einsetzen, die Kommunen bei der Sanierung und dem Erhalt von Schwimmbädern zu unterstützen.“
Emanuel Vailakis vom Schwimmverband hat mittlerweile viele Gespräche geführt. Sein Eindruck: „Die Politik spielt den Ball gerne anderen zu – die Kommunen dem Land, das Land dem Bund oder den Kommunen, die Schulen den Eltern und so weiter. Wir können nur hoffen, dass alle endlich an einem Strang ziehen, um das Problem anzugehen.“