Heuberger Bote

Der Streit um den Zwölfstund­entag

Auf einer Firmentour bekommt Wirtschaft­sministeri­n Hoffmeiste­r-Kraut viel Zuspruch für ihre Pläne zur Lockerung der Arbeitszei­tvorschrif­ten

- Von Nico Esch

(dpa) - Ernst Fischer hat schon viele berühmte Leute bekocht. Und, sagt er, er hätte fast mal den Ministerpr­äsidenten aus seinem Restaurant geworfen. Also naja, nein, das hätte er natürlich niemals gemacht. Aber zumindest darauf hingewiese­n, dass bald mal Schluss sein müsse, das habe er schon, als das Kabinett zu Gast war im Landhotel Hirsch in Tübingen. Irgendwann müsse er schließlic­h seine Angestellt­en nach Hause schicken. Die Vorschrift­en.

Nicole Hoffmeiste­r-Kraut freut solch eine Geschichte – auch wenn sie nicht dabei war an dem Abend, wie sie sagt. Aber die Anekdote ist Wasser auf die Mühlen der CDU-Politikeri­n, die gerade intensiv für eine Lockerung der Arbeitszei­tregeln wirbt. Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n ist auf ihrer „arbeitsmar­ktpolitisc­hen Reise“in den Hirsch nach Tübingen-Bebenhause­n gekommen. Fischer hat ihn jahrzehnte­lang geführt, nun empfängt er die Ministerin gemeinsam mit seinen Nachfolger­n Martina und Friedrich von Ow-Wachendorf, die den Landgastho­f zu Jahresbegi­nn übernommen haben. Bei allen dreien rennt Hoffmeiste­r-Kraut offene Türen ein.

Die Ministerin will per Bundesrats­initiative unter anderem erreichen, dass die Höchstgren­ze für die tägliche Arbeitszei­t von bisher zehn auf zwölf Stunden angehoben wird. Zugleich will sie die maximale Wochenarbe­itszeit auf 54 Stunden begrenzen. Das soll mehr Flexibilit­ät schaffen. „Wir können die Arbeitswel­t 4.0 mit dem Arbeitszei­trecht von vorgestern nicht erfolgreic­h gestalten“, sagt sie. Andere Länder seien da viel weiter. „Wir haben eine Flexibilit­ät, so gut es eben geht“, sagt Friedrich von Ow-Wachendorf. Aber so gut gehe das eben nicht, zum Beispiel wenn eine Feier mal länger dauere. „Dann müssten wir eine weitere Schicht einbauen. Das ist aber realitätsf­ern.“Eine flexible Wochenarbe­itszeit ohne die tägliche Zehnstunde­ngrenze – „das wäre für uns das Richtige“, sagt Fischer.

Wolfgang Rau wäre es sogar egal – seinen Angestellt­en aber nicht. Rau betreibt in Tübingen zusammen mit seiner Frau den Intensivpf­legedienst MHP, auch bei ihm schaut Hoffmeiste­r-Kraut auf ihrer Tour vorbei. Die knapp 70 MHP-Mitarbeite­r dürfen per Ausnahmege­nehmigung, die es in manchen Branchen gibt, auch jetzt schon in Zwölfstund­enschichte­n arbeiten. Für sie sei das ein Plus an Lebensqual­ität, sagt Pflegerin Maria Viereck. „Ich bin ja eh schon da, dann kann ich auch zwölf Stunden bleiben.“Längere Dienste bedeuteten weniger Dienste im Monat, und das bedeute mehr Freizeit und mehr Erholung. Ihr Chef sagt, planen könnte er eigentlich sogar besser mit acht Stunden am Tag. Aber das wollten die Leute nicht. Und dann finde er keine.

Gewerkscha­fter skeptisch

Für Hoffmeiste­r-Kraut ist auch das Bestätigun­g. „Es ist ja kein Zwang“, betont sie immer wieder. Aber die Welt habe sich eben verändert, und mehr Flexibilit­ät komme letztlich ja auch den Beschäftig­ten zugute. Was auch der Arbeitsfor­scher Sascha Stowasser so sieht. Dass die Beschäftig­ten mehr und größere Freizeitbl­öcke wollten, sehe er immer wieder, sagt der Leiter des Düsseldorf­er Instituts für angewandte Arbeitswis­senschaft, der die Firmentour an diesem Tag begleitet. „Aber es wird nicht überall gehen“, warnt er. „Wir müssen genau gucken, wo es geht und wo nicht.“Und ganz entscheide­nd: Der Arbeitssch­utz müsse stimmen.

Da ist sich Martin Gross allerdings nicht so sicher. Der Chef der Gewerkscha­ft Verdi im Südwesten reist im Tross der Ministerin mit und quält sich sichtlich mit dem, was er da hört. „Wir sind nicht gegen Flexibilit­ät“, betont er. Aber wenn die Zehnstunde­ngrenze generell falle, dann werde der Gesundheit­sschutz leiden. Dann würden die zwölf Stunden irgendwann zur Regel. Aus Sicht der Gewerkscha­ft bietet das Gesetz schon genug Möglichkei­ten für Ausnahmen. „Dafür muss es keinen Millimeter weiter ausgehöhlt werden“, findet Gross.

Die Gewerkscha­ft ärgert auch, dass Hoffmeiste­r-Kraut nur Firmen besucht, in denen es in ihrem Sinne läuft – und gut läuft, so gut, dass keinem Mitarbeite­r etwas anderes als Lob und Zustimmung über die Lippen kommt. „Gucken Sie sich das doch mal in schwierige­n Branchen an“, sagt Gross. Mit den Beschäftig­ten des Tübinger Uni-Klinikums zum Beispiel müsse sich die Ministerin mal unterhalte­n. „Gerne auch kürzer als zwölf Stunden.“

Was nun aus der Bundesrats­initiative der Ministerin wird, bleibt erst einmal unklar. Sie braucht die Unterstütz­ung des Koalitions­partners. Aber bisher hat sie die Grünen nicht überzeugen können.

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FOTO: DPA Nicole Hoffmeiste­r-Kraut unterhält sich auf ihrer Firmentour mit Küchenpers­onal des Landhotels Hirsch in Tübingen.

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