Schlaglichter auf die Karolingerzeit
Hoppla, denkt man, ein aparter Einband: Dicker hellgrauer Karton, da und dort gesprenkelt mit schwarzen Pünktchen, und die Fadenheftung ist hinten sichtbar. Aber so apart wie das Äußere ist auch der Inhalt: In 36 Regionen teilten die St. Galler Mönche nach 800 ihren Einflussbereich zwischen der Schweiz und Süddeutschland, Vorarlberg und dem Elsass ein. 36 Kapitel umfasst nun auch der Begleitband zu der neuen Dauerausstellung, in denen 36 markante Urkunden aus den rund 1000 Orten der Besitzlandschaft des Klosters der Karolingerzeit – die schwarzen Pünktchen! – gespiegelt werden. Besonders bemerkenswert: Die ersten datieren aus der Zeit, da der Gründerabt Otmar (719-759) noch lebte.
Diese Dokumente, 2017 in die UNESCO-Liste „Memory of the world“aufgenommen, werfen nun einmalige Schlaglichter auf frühmittelalterliches Leben, und sie beweisen nebenbei, welch hohe Schriftkultur damals doch schon existierte. Sichtbar wird, welch eigener kleiner Kosmos ein solches Kloster von der Bedeutung St. Gallens war – mit klaren Regeln für Seelsorge, Verwaltung, Wirtschaftsplanung und Rechtsgeschäfte. Durch die Fülle von Orts- und Personenlisten fallen Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte und zur Namensforschung an. Und auch viele Einzelaspekte des Alltagsgeschehens werden erkennbar: Da geht es um Königspfalzen und Bauernhöfe, um Gerichtswesen und Kriegsführung, um die Freilassung einer Magd in Wasserburg oder um DreiFelder-Bewirtschaftung auf der Baar, um Weinbau bei Basel oder Bienenkörbe in Urlau bei Leutkirch.
Hübsche Illustrationen von Land und Leuten aus jener Zeit sind auch eingestreut, und eine große Karte in einer Einstecktasche rundet den außergewöhnlichen Band ab. Noch ein Hinweis: Alle Urkunden des Archivs sollen nach und nach digitalisiert werden, sodass man sich selbst ein Bild machen kann. www.e-chartae.ch ist seit ein paar Tagen im Netz. (wavo)