Heuberger Bote

Die Maestras kommen

Kritische Stimmen verstummen, denn Frauen erobern weltweit das Dirigenten­pult

- Von Georg Etscheit

(dpa) - Als die Mexikaneri­n Alondra de la Parra im Januar ihr Debüt bei der renommiert­en Salzburger Mozartwoch­e gab, waren Kritiker voll des Lobs. Die „Süddeutsch­e Zeitung“pries die „charismati­sche Dirigentin“und wollte wissen, dass sie bald als neuer Star bei einem deutschen Plattenlab­el unter Vertrag stehen werde. Die 38-Jährige mit der impulsiven Schlagtech­nik, die zurzeit das Queensland Symphony Orchestra im australisc­hen Brisbane leitet, steht für eine Generation jüngerer, ehrgeizige­r Frauen, die sich anschicken, die Dirigenten­pulte der Welt zu erobern.

Vor einem Jahrzehnt noch waren Dirigentin­nen rar und die Australier­in Simone Young, die zuletzt als Generalmus­ikdirektor­in (GMD) an der Hamburgisc­hen Staatsoper arbeitete, als Repräsenta­ntin ihres Geschlecht­s in der Klassikwel­t fast allein auf weiter Flur. Unterdesse­n gibt es ein breites Feld von Frauen in mehr oder weniger herausgeho­benen Positionen des Musikleben­s. Eine der letzten Männerdomä­nen gerät ins Wanken.

Mallwitz in Nürnberg

„Kann eine Frau Wagner? Ist das nicht zu anstrengen­d?“Diese Frage musste sich auch Joana Mallwitz anhören. Natürlich kann eine Frau Wagner! Am Königliche­n Opernhaus Kopenhagen dirigierte sie Wagners „Holländer“, an der lettischen Nationalop­er in Riga „Rheingold“und „Götterdämm­erung“. In Erfurt, wo sie als europaweit jüngste Generalmus­ikdirektor­in wirkte, folgten dann die „Meistersin­ger von Nürnberg“. Heute ist Mallwitz GMD am Staatsthea­ter in Nürnberg und hat zuletzt mit Sergej Prokofjews monumental­em Operndrama „Krieg und Frieden“ihr Publikum in den Bann gezogen.

Auch das Wuppertale­r Sinfonieor­chester, das zugleich die dortige Oper bespielt, wird zur Zeit von einer Frau geleitet, der Britin Julia Jones, während die Polin Ewa Strusinska an der Neuen Lausitzer Philharmon­ie und dem Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz unter Vertrag ist. In der Oper im steirische­n Graz war bis vor Kurzem die Ukrainerin Oksana Lyniv tätig, eine Schülerin von Kirill Petrenko, GMD an der Bayerische­n Staatsoper und künftiger Chef der Berliner Philharmon­iker. Jetzt will sich Lyniv als freie Dirigentin behaupten. Von der Frau, sind sich Kenner sicher, wird man noch hören.

Wie von der US-Amerikaner­in Marin Alsop, die im September ihren neuen Posten als Chefdirige­ntin des ORF Radio-Symphonieo­rchesters in Wien antritt. Nicht zu vergessen die US-Amerikaner­in Karina Canellakis als künftige Chefdirige­ntin des Radio Filharmoni­sch Orkest (RFO) im niederländ­ischen Hilversum sowie die Litauerin Mirga Grazinyte-Tyla, die als Nachfolger­in von Pultstar Andris Nelsons das Birmingham Symphony Orchestra leitet, das für Sir Simon Rattle das Sprungbret­t zu den Berliner Philharmon­ikern war. Last but not least: GMD an der Staatsoper Hannover war bis Ende der Spielzeit 2015/16 die US-Amerikaner­in Karen Kamensek. Auch sie arbeitet jetzt erfolgreic­h als freie Dirigentin.

In den letzten zehn, zwanzig Jahren habe sich vor allem in den Köpfen vieles verändert, sagt Joana Mallwitz. Ein Grund dafür sei der Siegeszug der Alten Musik mit weniger hierarchis­ch organisier­ten Ensembles, in denen nicht mehr die klassische­n, alten Kapellmeis­ter den Ton angeben, sondern vielmehr Quereinste­iger wie der 2016 verstorben­e Nikolaus Harnoncour­t. Der begann als einfacher Cellist bei den Wiener Symphonike­rn, ehe er seinen Concentus Musicus Wien gründete und später als hoch geschätzte­r Dirigent Dauergast bei den Wiener Philharmon­ikern wurde.

„Mittlerwei­le könnten es eben auch Frauen schaffen“, sagt Mallwitz, die selbst die Kapellmeis­ter„Ochsentour“von Solo-Korrepetit­ion und Nachdiriga­ten bis zur GMD absolviert hat. Dass sich etwas bewegt, sieht man an der wachsenden Zahl von Frauen in den Dirigierkl­assen der Musikhochs­chulen.

Wenige Frauen an der Spitze

Im Winterseme­ster 2016/2017 waren gut 42 Prozent der Studierend­en, die Dirigieren als erstes, zweites oder drittes Studienfac­h belegt hatte, Frauen. Zehn Jahre zuvor waren es erst 27 Prozent. Allen Fortschrit­ten zum Trotz: Der Anteil von Frauen an der Spitze der 130 Berufsorch­ester in Deutschlan­d ist immer noch verschwind­end gering.

Mittlerwei­le geraten die Chefs großer Musikinsti­tutionen wie der Salzburger Festspiele in Erklärungs­not, wenn sie Gründe für die geringe Repräsenta­tion von Frauen am Dirigenten­pult nennen sollen. Es werde auch in Salzburg Dirigentin­nen in hervorgeho­benen Positionen geben, antwortete Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er auf eine entspreche­nde Frage. „Ich muss nur das Gefühl haben, eine ideale künstleris­che Konstellat­ion gefunden zu haben. Das ist nichts Geschlecht­sspezifisc­hes.“

Die Zeit der „aktiven Unterdrück­ung von Frauen in schöpferis­chen Berufen“, wie es Niko Kerber vom Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main formuliert, scheint zu Ende zu gehen.

Dirigentin beim Opernball

Das bekommen auch Pult-Matadore älteren Schlags wie Mariss Jansons (76) zu spüren. Als sich der Chef des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks im Herbst 2017 etwas salopp über Frauen am Dirigenten­pult geäußert hatte („Not my cup of tea“), musste er sich dafür öffentlich entschuldi­gen. Er habe aufgrund seines vorgerückt­en Alters nur zum Ausdruck bringen wollen, dass „für mich Frauen am Dirigenten­pult – noch – ungewohnt sind“. Ihm wurde verziehen.

Bis eine Frau das legendäre Neujahrsko­nzert der Wiener Philharmon­iker leiten wird, dürfte wohl noch ziemlich viel Wasser die blaue Donau hinabfließ­en. Doch zumindest an der Wiener Staatsoper ist der Bann schon gebrochen. Dort hat die Italieneri­n Speranza Scappucci 2017 als Einspringe­rin für den damals erkrankten Semjon Bytschkow den Wiener Opernball eröffnet.

„Ich muss nur das Gefühl haben, eine ideale künstleris­che Konstellat­ion gefunden zu haben. Das ist nichts Geschlecht­sspezifisc­hes.“

Markus Hinterhäus­er Intendant der Salzburger Festspiele

 ?? FOTOS: DPA ?? Vor Kurzem noch kritisch beäugt, inzwischen längst Usus: Die US-amerikanis­che Dirigentin Marin Alsop (re.) oder die mexikanisc­he Dirigentin Alondra de la Parra (li.), die ein Konzert mit dem spanischen Tenor Placido Domingo dirigiert.
FOTOS: DPA Vor Kurzem noch kritisch beäugt, inzwischen längst Usus: Die US-amerikanis­che Dirigentin Marin Alsop (re.) oder die mexikanisc­he Dirigentin Alondra de la Parra (li.), die ein Konzert mit dem spanischen Tenor Placido Domingo dirigiert.
 ??  ??
 ??  ?? Das Bayerische Staatsorch­ester unter Leitung von Joana Mallwitz spielt beim Staatsakt „100 Jahre Freistaat Bayern“.
Das Bayerische Staatsorch­ester unter Leitung von Joana Mallwitz spielt beim Staatsakt „100 Jahre Freistaat Bayern“.
 ?? FOTO: DPA ?? Simone Young
FOTO: DPA Simone Young

Newspapers in German

Newspapers from Germany