Ein 1000-Prozent-Rotkreuzler
Ehrgeizig und selbstlos – Vita von Dr. Matthias May schildert auch Selbstverständnis der Ortsgruppe
- Eigentlich wollte Siegfried Schneider in seiner Jugend nur einen Erste-Hilfe-Kurs machen. „Dr. May wusste, wie man mit den jungen Leuten umgeht“, sagt der langjährige Kassierer der Ortsgruppe Spaichingen des Deutschen Roten Kreuzes heute. „May übergab mir damals die Urkunde und sagte, ’ich sehe dich dann beim nächsten Dienstabend’.“So kam Schneider damals zum DRK, und ist nun schon seit fast 60 Jahren dabei.
1933 gründete May die Sanitätskolonne in Spaichingen, einem Vorläufer des DRK. Im Zweiten Weltkrieg musste May sein Projekt auf Eis legen, als Brigadearzt geriet er in französische Gefangenschaft. „Er erzählte vom Krieg. In Gefangenschaft arbeitete er als Chirurg und behielt seinen Offiziersstatus, die französischen Schwestern sollen ihn nur ’Mon Capitain’ genannt haben“, berichtet Hans Günther Mattes, langjähriger DRK-Vorstand. „Es ging ihm aber nicht um große Ämter, er war sehr Du-Bezogen“, ergänzt Schneider.
Rückkehr aus dem Krieg
Nach seiner Rückkehr 1946 suchte sich May in Spaichingen innerhalb weniger Jahre eine schlagkräftige Truppe zusammen. In seine alte Praxis an der Hindenburgstraße zogen derweil die Franzosen mit ihrem Offizierskasino. May baute kurzerhand ein neues Gebäude in seinen Garten, um weiterhin seine Patienten zu versorgen. Neben der Praxis trieb er leidenschaftlich sein Rot-Kreuz-Projekt voran. In den 50er und 60er Jahren veranstalte May rund um Spaichingen und auf dem Heuberg ErsteHilfe-Kurse, in vielen Gemeinden entwickelten sich daraufhin Ortsgruppen.
„Dr. May war Rheinländer, aber einer, der mit dieser typischen Art etwas dezenter umgegangen ist“, erinnert sich Mattes. „Er konnte wirklich streng sein und hat viel von den Mitgliedern gefordert.“Aber im Grunde sei er eine sehr angenehme Person gewesen mit einer väterlichen Art. „Die Ergebnisse seiner Art sprechen für sich“, stellt Mattes fest. Der hohe Ausbildungsstand wurde beispielsweise 1959 deutlich – die Ortsgruppe bekam damals den Solverino-Preis verliehen, einen bundesweit umkämpften Erste-HilfeWettbewerb.
Sein Großvater war eine wichtige Bezugsperson für ihn, sagt Steffen May. Eine Respektsperson sei sein Opa gewesen, sehr diszipliniert und strukturiert, „er hatte aber auch einen gewissen Schelm“. „Er war 1000Prozent-Rotkreuzler. Ich erinnere mich, wie er mich damals zu den Veranstaltungen mitgenommen hat, dabei trug er immer stolz seine Uniform“, sagt der Enkel. Woher nahm May diese Motivation? Die Zeit der spärlichen medizinischen Versorgung und Erfahrungen aus zwei Weltkriegen hätten ihn geprägt, sagt Steffen May.
Seine Anstrengungen führten letztendlich dazu, dass das neue Heim nach ihm benannt wurde, „er war damals sehr gerührt“, erinnert sich Steffen May.
Odyssee bis zum Heim
80 Gäste besuchten am 24. April 1993 die Eröffnungsfeier des neuen, 1,42 Millionen D-Mark teuren Dr. Matthias May-Hauses. Der Heuberger Bote titelte: „Der Traum vom eigenen Heim ist erfüllt.“Stadträte, Vereine, Behörden und Klinikpersonal feierten die Mitglieder, die insgesamt 3000 Arbeitsstunden auf dem Bau verbracht hatten. Bei der Eröffnung des neuen Heimes mit seinem Namen sagte May: „Was lange währt, wird endlich gut.“
Tatsächlich reicht die Suche nach einem Heim für Kursräume, Rettungswagen und Materiallager weit länger zurück als 1993. „Das Haus hat eine bewegte Geschichte“, sagt Thomas Kupferschmid, Kursleiter beim DRK. In den 50er Jahren begann alles in der Realschule, wo sich die Ortsgruppe einen Raum für Kurse und Material sichern konnte. „Die Reise ging weiter ins Gewerbemuseum“, erklärt Kupferschmid. Im neuen Anbau des Rathauses wurde ebenfalls Platz geschaffen, nur waren die Rettungskräfte räumlich von ihren Fahrzeugen getrennt – die parkten jahrelang im alten Bauhof, wo heute die Stadthalle steht.
Die Idee für ein Heim, in das das DRK und alles, was dazu gehört, reinpasst, gab es daher schon lange. „Das heutige Grundstück gehörte dem Landkreis. Zufällig war der damalige Landrat Hans Volle auch im DRK. Über diesen Kontakt kam es zu dem Heim in der Robert-Koch-Straße“, erklärt Kupferschmid.
Auch die Mitglieder packten auf dem Bau mit an. Fliesenlegen, Streichen, die Außenanlage bauen und bepflanzen – „Zugführer Franz Hugger organisierte damals alles, er konnte sich auf eine gute und zuverlässige Truppe verlassen“, erzählt Schneider. Doch nicht nur die Geschichte bis zum und während des Baus war eine bewegte, auch danach blieb es abenteuerlich. Nach der Eröffnung stand nach Regenfällen häufig das Wasser knöcheltief im Vereinsheim – die Mitglieder fanden schnell heraus, dass die Dachkonstruktion aus Glas undicht war. „Als wir nachschauen wollten, gab es das Unternehmen gar nicht mehr, das das Dach eingebaut hat“, lacht Schneider.
May bekam vieles rund um ’sein’ Heim nicht mehr mit, er verstarb 1996. Drei Jahre zuvor, kurz vor der Heim-Einweihung, ging Mattes auf den DRK-Vorstand zu, um das Heim nach Dr. May zu benennen. Alle waren einverstanden. Mattes erinnert sich: „Als ich das Dr. May kurze Zeit später mitteilte, freute er sich natürlich. Er sagte dann nur ’aber das Schild vor dem Heim zahle ich’“.