Nur das Ungewisse ist gewiss
Planungssicherheit ist beim VfB ein Fremdwort – Mislintat kann daran noch wenig ändern
- Sven Mislintat dürfte sich über die Aufgabe im Klaren sein, die er da übernommen hat. Zumindest sprach Stuttgarts neuer Sportdirektor selbst von einer „Riesenherausforderung“. Dabei kann Mislintat derzeit nicht einmal wirklich entscheidende Weichen beim abstiegsbedrohten VfB stellen. Um einen Klassiker der Werbung zu zitieren, könnte er bereits getreu dem Motto „Heute schon an morgen denken“kräftig am Kader für die kommende Saison werkeln. Doch ist es gerade das Heute, das im Fokus stehen muss, um überhaupt das Morgen planen zu können. Denn noch ist ja nicht klar, ob der frühere Dortmunder Chefscout gemeinsam mit VfBSportvorstand Thomas Hitzlsperger den Wiederaufstieg aus der 2. Bundesliga planen muss oder ob es eventuell „nur“darum geht, eine weitere sorgenvolle Saison in der Bundesliga zu vermeiden. Ob der Trainer – egal in welcher Liga – dann noch Markus Weinzierl heißen wird, ist ebenfalls fraglich. Zudem reihen sich derzeit wöchentlich Schicksalsspiele aneinander, die bisher nicht gerade Anlass zu Optimismus gaben. Unbestritten zudem: Die Probleme im Kader des Tabellen-Drittletzten sind enorm. Am Samstag (15.30 Uhr/Sky) im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen kann sich Mislintat erstmals in seiner neuen Funktion einen Eindruck davon verschaffen. Doch auch hinterher wird nur eines gewiss sein: Alles ist ungewiss. Die Baustellen:
Der Trainer:
Acht Jahre nach dem gemeinsamen Abschluss der Trainerausbildung muss Mislintat nun mit über die Zukunft von Weinzierl entscheiden. „Wir ziehen das jetzt hier durch – gemeinsam“, hatte Hitzlsperger noch nach dem 1:1 gegen Nürnberg gesagt. Eine weitergehende Jobgarantie für Weinzierl gibt es nicht. Die Bilanz von 16 Punkten aus 21 Partien spricht nicht für den Trainer, dessen bis 2020 laufender Vertrag nur für die 1. Liga gültig ist. Weinzierl schien kurzzeitig die Kurve bekommen zu haben, doch zeigt jene derzeit wieder steil nach unten. „Mit der Rolle, als Favorit gegen Nürnberg das Spiel zu machen, hatten wir Probleme“, sagte Weinzierl zum Unentschieden gegen den Verfolger. Kraft zieht er nicht aus der Leistung, sondern aus der Tabelle, sagt: Wir sind „zum dritten Mal hintereinander zu Hause ungeschlagen geblieben und haben den Abstand auf Augsburg und Schalke um einen Punkt verkürzt“. Ob das für eine Weiterbeschäftigung reicht, ist offen. So ist unklar, für welche Spielauffassung und mit welchem Trainer Mislintat einen neuen Kader aufbauen wird.
Die Abwehr:
Einst Glanzstück, nun mit Marc-Oliver Kempf zumindest stabilisiert. Dennoch eine große Baustelle. Unwahrscheinlich, dass Rechtsverteidiger Pablo Maffeo eine weitere Chance beim VfB bekommt. Für den Problemfall, der derzeit nicht mit der Mannschaft trainieren darf, wird Mislintat eine Lösung finden müssen. Auch der frühere Nationalspieler Holger Badstuber spielt keine Rolle, zählt zu den Topverdienern und dürfte ein möglicher Abgang sein. Die Abwehr hat mit Ozan Kabak, Kempf und Timo Baumgartl viel Talent, wird aber ihren zentralen Verteidiger verlieren: Zumindest bringt der Transfer von Benjamin Pavard zum FC Bayern 35 Millionen Euro für den Neuaufbau ein.
Das Mittelfeld:
„Da kommt es geballt“, sagt Weinzierl und meint die Ausfälle von Gonzalo Castro (Bündelriss im Adduktorenbereich), Kapitän Christian Gentner (Faserriss in der rechten Wade) und Dennis Aogo (Oberschenkelzerrung). Allgemein kommen die verdienten Profis wie Gentner (33) und Aogo (32) zunehmend in ein reiferes Fußballer-Alter. Ihre Verträge laufen – wie auch der von Rechtsverteidiger Andreas Beck (32) – im Sommer aus. Ob die Routiniers bleiben dürfen, ist offen. Auf der Rückkehr von Daniel Didavi lag vor der Saison die Hoffnung, einen Spielgestalter gefunden zu haben. Weil er zu oft verletzt war oder ihm die Spielpraxis fehlte, wurde Didavi aber nicht die erhoffte Verstärkung. Für das Mittelfeld kann der VfB Mislintats Blick für Talente gut gebrauchen – ebenso wie für den Sturm.
Der Angriff:
Dass Winter-Zugang Ozan Kabak mit drei Treffern drittbester VfB-Torschütze ist, sagt viel aus. Die schwache Offensive ist mit der mickrigen Bilanz von nur 27 Treffern in 28 Partien ein Hauptgrund für die Abstiegssorgen. Der junge Argentinier Nicolás González ließ ebenso wie Ex-Nationalstürmer Mario Gomez seine Chancen zu oft aus. Anastasios Donis hat die Schnelligkeit, die Gomez fehlt, fiel aber auch mit mangelnder Disziplin auf. Leihgabe Steven Zuber ist ein Lichtblick, soll aber nach der Saison zurück zur TSG Hoffenheim. Neue Impulse sind also auch hier gefragt.
Dass Mislintat die Baustellen der Schwaben bewältigen kann, traut ihm sein ehemaliger DFB-Chefausbilder Frank Wormuth zu. „Der Posten des Sportdirektors passt absolut zu ihm“, sagte der 58-Jährige. Doch ist der VfB ein schwieriger Patient.