Drei Ärztinnen bieten Frauen eine tabufreie Zone
Bitte keine falsche Scham – Beim SZ-Gesundheitsforum „Leserinnen fragen – Ärztinnen antworten“dürfen Fragen zu intimen Themen gestellt werden
RAVENSBURG - Darf ich nach meiner Krebserkrankung noch mit meinem Mann schlafen? Warum habe ich Schmerzen im Unterleib? Ist es normal, dass mein Kind ins Bett macht? Und was kann ich gegen meine eigene Inkontinenz tun? Um Fragen wie diese wird sich das von der „Schwäbischen Zeitung“veranstaltete Gesundheitsforum „Leserinnen fragen – Ärztinnen antworten“am 22. Mai drehen, zu dem nur Frauen eingeladen sind. Sie können vorab Fragen einreichen, für die ihnen bisher der Mut fehlte, sie zu stellen.
„Es gibt Fragen, die sich Frauen vor Männern nicht zu stellen trauen und jahrelang mit sich herumtragen“, sagt Dr. Martina Gropp-Meier, Chefärztin der Frauenklinik an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Zum Beispiel haben manche Frauen Angst, nach einer Gebärmutterhalskrebs-Operation ihren Mann beim Sex mit Krebs anzustecken. „Das ist nicht der Fall“, sagt die Ärztin. „Der Krebs an sich ist nicht ansteckend.“Allerdings seien die Humanen Papillomviren (HPV), die diesen Krebs auslösen können, ansteckend – das aber schon lange bevor die Frau an Gebärmutterhalskrebs erkrankt ist. Gegen diese Viren schützt nur eine Impfung. Die Ansteckung mit HPV erfolgt vor allem über Haut- und Schleimhautkontakte. „Der Virus steckt nicht in der Samenflüssigkeit. Deshalb hilft auch kein Kondom.“
Auch Probleme im Zuge der Wechseljahre sprechen Patientinnen ungern an – und damit sind nicht die Schweißausbrüche gemeint. „In den Wechseljahren verändert sich meist auch das Verhältnis zum Partner, die Scheide wird trocken, Geschlechtsverkehr kann weh tun und die Orgasmusfähigkeit lässt durch die Hormonumstellung nach. Männer kennen sowas ja nicht“, sagt Gropp-Meier. Da fragten sich viele Frauen, ob sie Hormone einnehmen sollten.
Frauen quälen oft Fragen, die sie weder mit dem Partner noch mit einem männlichen Frauenarzt besprechen. So wird Gropp-Meier nach Operationen von Frauen gefragt: Wann kann ich wieder Geschlechtsverkehr haben? Wenn die Ärztin sagt: So in zwei bis drei Wochen, und die Frau flüstert „Können sie nicht sagen, dass es gar nicht mehr geht?“, gibt ihr das zu denken. „Diese Frauen sagen ihren Männern nicht, dass sie nicht mehr wollen. Sie fragen sich auch nicht, warum sie keine Lust mehr haben. Ob der Mann vielleicht an Attraktivität verloren hat. Sie nehmen es einfach so hin, es ist für sie abgeschlossen.“Jene Frauen suchen einen medizinischen Grund, um zum Partner sagen zu können: Ich darf nicht mehr. Gropp-Meier ermutigt Frauen, offen über diese Dinge zu reden.
Lust auf Nähe schwindet
Sexuelle Unlust gibt es auch bei jungen Frauen – besonders nach der Geburt. Es gibt Mütter, die sagen: ein zweites Kind? Da müsste ich ja Verkehr haben! „Den gibt’s dann nicht mehr. Der ist irgendwo verloren gegangen“, sagt die Ärztin. Dieses Phänomen sei verbreiteter als man vermutet. Die Unlust gehe oft von beiden Partnern aus. Nach der Geburt seien Frauen so auf ihr Kind konzentriert, dass das Bedürfnis nach körperlicher Nähe zum Mann schwindet – und der fühle sich dann oft ausgeschlossen.
Heikel sei auch das Thema Inkontinenz: Was kann man tun? Woran liegt es? Muss man operieren? Auch hier gilt: Von Frau zu Frau spricht sich’s leichter. „Männer sind keine schlechten Gynäkologen. Aber ihnen wird häufig nur die halbe Wahrheit erzählt, weil sich Frauen oft schämen“, sagt Gropp-Meier. „Wenn einer Patientin die Lösung des Arztes nicht gefällt, kann sie immer noch sagen: ,Ist doch ein Mann. Was weiß der schon davon?’ Frauenärztinnen sind nicht grober, aber direkter und offener als männliche Kollegen.“
Manchen Frauen fehlt nur die richtige Information. Beispiel Brustkrebs: Die gesetzliche Krankenkasse bezahlt das Mammografie-Screening bei 50- bis 70-Jährigen. Aber das Brustkrebsrisiko besteht auch jenseits dieser Altersgruppe.
„Es gibt Themen, die betreffen eben nur Frauen“, sagt Dr. Andera Salama-Müller, Oberärztin in der Klinik Innere Medizin/Gastroenterologie und Inhaberin der Privatpraxis Dr. Salama-Müller in Ravensburg. Sie ist zwischen Biberach und Friedrichshafen die einzige Ärztin auf ihrem Gebiet. „Frauen beschäftigen sich mehr mit Ernährung, Darmpilzen, Reizdarm und Lebensmittelunverträglichkeiten, aber tatsächlich gibt es bei Frauen auch mehr Glutenunverträglichkeiten als bei Männern.“Insgesamt seien drei Viertel aller Frauen von chronischen Bauchschmerzen geplagt, ohne zu spüren, wo der Schmerz genau sitzt und wo er herkommt. „Erschöpfung ist ein großes Thema bei Frauen, sagt Salama-Müller. „Dem muss man auf den Grund gehen. Oft ist einfach nur Eisenmangel die Ursache.“
Schamgefühle sind oft groß
Salama-Müller hatte die Idee für das Forum. Sie ist der Meinung, dass es männlichen Kollegen oft an Einfühlungsvermögen fehlt, wenn es um heikle Frauenthemen geht. Sie erinnert sich an eine Patientin Anfang 20, die sich damit abfinden sollte, mit einem künstlichen Darmausgang zu leben. Da kamen Fragen wie: Kann ich damit noch ins Schwimmbad? In die Sauna? Wie gehe ich in meiner Liebesbeziehung damit um? Männliche Ärzte sagen da schnell: „Ach, das geht schon!“Und die Patientin traut sich nicht mehr, weitere Fragen zu stellen. Eine andere junge Frau hatte nach der Operation eine sehr unschöne Narbe, mit der sie sich lieber der Ärztin anvertraute, weil sie meinte, dass eine Frau das Problem besser nachvollziehen könne. Wieder andere haben Stuhlgangprobleme nach einer OP und fühlen sich unwohl, dies dem Arzt mitzuteilen, nachdem er schwungvoll sagte: „Ist doch alles okay gelaufen!“
„Frauen, traut euch zu fragen, was ihr euch sonst nicht zu fragen traut“, sagt auch Dr. Anja Jentzmik, Oberärztin in der Kinderurologie an der Oberschwabenklinik Ravensburg. Sie untersucht Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, deren Angehörige wegen des nächtlichen Einnässens, Harnverlusts am Tag oder der Form und Größe des Geschlechtsteils besorgt sind. „Es kommen verunsicherte Mütter zu mir, die fragen: Ist der Hoden meines Sohnes an der richtigen Stelle? Oder: Mein Mann meint, der Penis unseres Sohnes sei zu klein.“
Manche Eltern schämen sich, über solche Themen zu sprechen. Auch Kindern fällt es oft schwer, sich vor der Ärztin auszuziehen. „Das kann auch bei Zwei- bis Dreijährigen schon so sein. Darauf nehme ich Rücksicht. Wenn die Untersuchung beim ersten Arztbesuch nicht klappt, dann beim zweiten oder dritten Mal.“
Welche Ursachen das Bettnässen oder der Harnverlust am Tag haben, versucht die Ärztin mit Fragen einzugrenzen, bevor sie eine Blasenspiegelung mit Narkose verordnet: Wie ist der Alltag? Wie ist das Trinkund Toilettenverhalten? „Oft haben Eltern eine falsche Vorstellung. Da kommen Eltern mit Fünfjährigen zu mir, die denken, ihr Kind muss doch jetzt nachts trocken sein. Da sagen wir: Einnässen bis ins fünfte Lebensjahr ist völlig normal – und dann muss man eben schauen, wie das Kind entwickelt ist.“
Die Ärztin lässt sich auf die Sorgen der Eltern ein, klärt auf und schlägt Maßnahmen vor, die sie ausprobieren können. „Man kann im Alltag vieles am Ess- und Trinkverhalten verändern, was Wirkung zeigt. Eltern sind oft beruhigt zu hören, dass nichts Größeres dahintersteckt“, sagt Jentzmik. Patienten sitzen bei ihr teilweise eine ganze Stunde. Da geht es viel um Aufklärung und darum, Eltern an die Hand zu nehmen. „Es gibt Eltern, die selbst gestresst sind und das unbewusst ans Kind weitergeben, das dann nachts ins Bett macht. Genau das Falsche ist es, das Kind zu schimpfen oder es zur Strafe die Bettwäsche selber waschen zu lassen. Wenn Eltern da ein paar Tipps kriegen, sind sie sehr dankbar.“
Hemmschwellen abbauen
Statt zu viel nach psychischen Ursachen zu suchen, kann die Lösung auch in einfacher Beckenbodengymnastik liegen. Manchmal gehen Kinder nicht gerne zur Toilette und halten den Urin lange zurück. Oder das Kind trinkt den ganzen Tag nichts, holt es abends nach und kann dann die Blase über Nacht nicht kontrollieren.
Eine besondere Herausforderung seien Patientinnen mit Migrationshintergrund, für die das Ausziehen vor der Ärztin eine besondere Hemmschwelle ist, weil sie vom Ehemann oder der Familie bevormundet werden und andere Lebensgewohnheiten haben. „Wenn jemand tagsüber nichts mehr trinkt, weil Ramadan ist, dann steigt das Risiko, sich eine Blasenentzündung einzufangen.“Je mehr man aufklärt, desto eher seien Patientinnen bereit, trotz ihrer Traditionen etwas zu verändern, weil der Körper einfach auch seine Grenzen hat.