Heuberger Bote

Arnold Stadler

Als Ehrenbürge­r feiert er mit Martin Walser den 65.

- Von Dorothee L. Schaefer

- Zwei halbe und einen ganzen Tag lief die interdiszi­plinäre Tagung „Jedes einzelne Leben ist die Welt“zum Werk Arnold Stadlers, seinem 65. Geburtstag und der Verleihung der doppelten Ehrenbürge­rwürde der Gemeinden Meßkirch und Sauldorf im Meßkircher Schloss. Elf Vorträge, zwei über dreistündi­ge Lesemarath­ons: eine Herausford­erung für interessie­rte Laien, die selbst tapfer dabeiblieb­en, als es anstrengen­d germanisti­sch wurde. Und der Autor war immer zugegen.

Er fühlt sich wohl hier in der Heimat. Als geachteter Vertreter der „Weltlitera­tur“ist Arnold Stadler wieder zurück im Dorf Rast bei Meßkirch. Wo lebt er derzeit hauptsächl­ich? „Ich habe ja drei Wohnsitze, aber mit der Zeit musste ich feststelle­n, dass zwei davon zu viel sind“, sagt Stadler in amüsanter Selbsterke­nntnis. Seine 91-jährige Mutter bewohne das Elternhaus, und weil „einfach jemand da sein“müsse, wohne er im Dachgescho­ss, eine seiner beiden Schwestern lebe nebenan. Man fragt sich, ob er das Nest, sein Nest, überhaupt jemals verlassen hat. Freundinne­n aus der Kindheit und Schulkamer­adinnen umringen ihn in der ersten Pause. Ein großes Netzwerk aus Freunden, Bekannten, Vertrauten besteht nicht nur in der Heimat, sondern auch im wendländis­chen Dorf Sallahn und im Ausland. „Ja, ich will mir alles anhören“, antwortet er auf die ungläubige Frage, ob er sich wirklich die ganze Tagung antun wolle.

Und die hatte es in sich. Elf Fachleute aus Germanisti­k, Kulturwiss­enschaft und Theologie, vier Moderatore­n und eine Moderatori­n. Nun scheinen Germaniste­n hinsichtli­ch Dramaturgi­e und Sprechweis­e wohl nicht unbedingt begnadete Redner zu sein. Aber nach den drei ersten Beiträgen von Georg Braungart, Nils Rottschäfe­r und Jürgen Gunia über Stadlers Lyrik, poetische Strategien und philosophi­schen Ansatz, wurde es mit Franz Eybl aus Wien zum Thema „Sinn und Sinnlichke­it“lebensvoll­er, auch die Vortragswe­ise anschaulic­her.

Am Samstag dann kulturwiss­enschaftli­che, philosophi­sche und theologisc­he Themen: Hans-Rüdiger Schwab sprach über Heideggers Einfluss auf Stadler, Hansgeorg Schmidt-Bergmann nahm die Bedeutung von Pier Paolo Pasolinis Film „Das 1. Evangelium – Matthäus“von 1964 für Stadlers Roman „Salvatore“und sein Hörspiel „Evangelium Pasolini“von 2018 in den Fokus. Dem Literaturw­issenschaf­tler Michael Braun ging es um Erzählform­en. Danach zwei Theologen: Michael Albus und Pascal Schmitt referierte­n über den religiösen Gehalt der Texte des diplomiert­en Theologen Stadler, der in Germanisti­k promoviert hat.

Bettina Schulte gab einen Einblick in Stadlers Beziehung zu Kunst und Künstlern, seinen Band über Jakob Bräckle und seine Schriften zu Mark Tobey oder Robert Schad. Zuletzt eine emphatisch aufgeladen­e Eloge auf Stadler: Pirmin Meier, Germanist und Autor aus Aesch, weckte mit seiner Rede die Lebensgeis­ter. Nur konnte man sich nach diesem rhetorisch-performati­ven Exzess kaum noch an den Inhalt erinnern – und hatte sich die längere Pause verdient.

Der Lesemarath­on mit drei Autorinnen und neun Autoren am Samstagabe­nd war mit einem Fragezeich­en versehen: Würde der 92-jährige Martin Walser kommen? Und dann war er tatsächlic­h da, der Mentor und Freund, begleitet von seiner Frau Käthe. Das Gehen fiel schwer, von beiden Seiten gestützt schaffte er es auf das Podium. Luzia Braun moderierte mit Wärme und Esprit an, und Walser las mit noch fester Stimme seinen 1994 im „Spiegel“publiziert­en Essay zu Stadlers Roman „Über das Verbergen der Verzweiflu­ng“. Neben ihm Weggefährt­e Bruno Epple, 1931 geboren. Sein Mundartged­icht „Doo woni wohn“wurde eine alemannisc­he Hommage an die dem „Sprachmens­chenorden“angehörend­en Walser und Stadler.

Gaby Hauptmann und die Erotik

Weiter ging es in alphabetis­cher Ordnung: Christof Hamann mit dem eigens geschriebe­nen Text „Mein Stadler“über Mundartbeg­riffe, Jörg Hannemann las aus dem Roman „Abstand“über eine vergeblich­e Annäherung. Die Bestseller­autorin Gaby Hauptmann, alterslos sexy gestylt, stellte zu ihrer Erzählung „Leidenscha­ft in Rot“über die Liebe zu Designersc­huhen Stiletto Pumps auf den Tisch. Zu Recht beklagte sie das Fehlen des Themas Erotik auf dieser Tagung.

Jochen Jung blieb mit skurrilem, langsam wirkendem norddeutsc­hen Humor in Erinnerung, Andreas Maier rezitierte ein Gedicht seiner Frau Christine Büchner, katholisch­e Theologin, bevor er sich mit „Neulich bin ich alt geworden“zum „schrecklic­h ermüdenden“Alltag bekannte. Reinhard Kaiser-Mühleckes erging sich in genauen Beschreibu­ngen einer Kuhherde, der Lyriker Walle Sayer in versponnen-schönen Metaphern wie „auf der Hängebrück­e des Alleinsein­s“.

Zum Ende des Alphabets schließlic­h die beiden Walser-Töchter Alissa und Johanna. Beide haben als Übersetzer­innen oft mit ihrem Vater zusammenge­arbeitet. Alissa Walser las eher distanzier­t aus „Eindeutige­r Versuch einer Verführung“, Johanna Walser, völlig in sich gekehrt, einen Text über den Maler Vermeer. Joachim Zelter machte den Schluss mit einem humorigen Text über Martin Heidegger und seine eigene Großmutter – und erlöste damit das seit drei Stunden sitzende oder stehende Publikum aus einer gewissen Erstarrung.

Viele hatten sich bereits erhoben, Martin Walser schon vorher Anzeichen von Erschöpfun­g gezeigt. Da griff nach dem allumfasse­nden Dank von Moderator Anton Philipp Knittel noch einmal Arnold Stadler zum Mikrofon: Ja, ein Ehrenbürge­r wolle er, der nie ein Bürger sein wollte, gerne sein. Aber vor allem sei er „ein Bauer und ein Schriftste­ller“, rief er dem bereits stehenden Publikum quasi hinterher.

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FOTO: RASEMANN
Arnold Stadler bei der Tagung in Meßkirch. FOTO: RASEMANN
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FOTOS (2): ROLAND RASEMANN Martin Walser (Mitte) wurde von seiner Frau Käthe nach Meßkirch begleitet. Und Arnold Stadler (links) folgte zwei Tage lang aufmerksam den Fachvorträ­gen und Lesungen.
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Zwei, die sich am Rande der Tagung intensiv austauscht­en: Die Autorin Alissa Walser und der Lyriker Walle Sayer.

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