Sarrazin wehrt sich gegen SPD-Ausschluss
Parteigericht für Rauswurf – Umstrittener Autor kündigt Klage durch alle Instanzen an
BERLIN - Beim dritten Mal scheint es zu klappen: Die SPD darf Thilo Sarrazin (Foto: dpa) rauswerfen. Das hat die Schiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf entschieden, nachdem der Parteivorstand den Ausschluss des Autors und Publizisten beantragt hatte. „Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag. „Wir sehen uns in unserer klaren Haltung bestätigt: Sarrazin hat mit seinen Äußerungen gegen die Grundsätze der Partei verstoßen und ihr Schaden zugefügt.“Die Deutsche PresseAgentur zitierte aus der Begründung des SPDGerichts, durch die „Verbreitung anti-muslimischer und kultur-rassistischer Äußerungen“sei ein „schwerer Schaden für die SPD entstanden“.
Thilo Sarrazin selbst will sich jedoch noch nicht geschlagen geben. Sein Anwalt kündigte an, Sarrazin werde Berufung einlegen und notfalls durch alle Instanzen bis zum Bundesgerichtshof und zum Bundesverfassungsgericht gehen .„Das kann fünf bis sechs Jahre dauern“, sagte Sarrazin dem „Tagesspiegel“.
Sarrazin ist seit 1974 SPD-Mitglied. Bekanntheit erlangte er in den Jahren nach 2002, als er als Finanzsenator der Stadt Berlin einen harten Sparkurs verordnete. Noch heftiger reagierte die Öffentlichkeit auf seine Positionen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Seine Bücher, vor allem „Deutschland schafft sich ab“(2010) und „Feindliche Übernahme“(2018), sorgten für Kontroversen. Sarrazins Thesen wurden als islamfeindlich und rassistisch kritisiert.
Baden-Württembergs SPD-Landeschef Andreas Stoch erklärte am Donnerstag: „Für einen Parteiausschluss gibt es hohe Hürden, völlig zu Recht. Aber Sarrazin hat diese deutlich gerissen, denn seine Äußerungen waren nun mal klar rassistisch.“Zugleich mahnte Stoch in Richtung AfD: „Die pseudokonservative Seite kann sich etwaige Krokodilstränen dazu übrigens sparen.“Als Märtyrer tauge Sarrazin nicht. Zuvor hatte die Berliner AfD ihn zur Mitarbeit eingeladen.
(dpa) - Zweimal versucht, zweimal gescheitert: An Thilo Sarrazin schien sich die SPD die Zähne auszubeißen. Der frühere Finanzsenator und Bundesbankvorstand ist das Enfant terrible der Sozialdemokraten – vor allem wegen seiner beharrlichen Warnungen vor einer „feindlichen Übernahme“Deutschlands durch muslimische Migranten. Das passe nicht zur SPD und füge ihr sogar Schaden zu, meint die Partei. Seit Jahren will sie den heute 74-Jährigen loswerden – im dritten Anlauf könnte das gelingen. Doch ob die Causa Sarrazin für die SPD tatsächlich noch zur Erfolgsgeschichte werden kann, ist zumindest fraglich.
„Der Antragsgegner wird aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ausgeschlossen.“So absolut steht es im Urteil der SPDSchiedskommission Charlottenburg-Wilmersdorf, der ersten Instanz in einem möglicherweise langwierigen Verfahren. Sarrazins Verhalten habe der Partei politisch schwer geschadet, ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit beschädigt, befand das Gremium.
Dabei geht es vor allem um Sarrazins neuestes Buch aus dem vergangenen Jahr. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, lautet der provokante Titel. Darin prognostiziert Sarrazin, der Anteil der Muslime in Deutschland werde in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen. Gleichzeitig sorge der rückständige Islam dafür, dass Integration nicht gelinge.
Einige Unstimmigkeiten
Experten sehen in seinem Text unabhängig von der politischen Bewertung einige Unstimmigkeiten. So behauptet er: „In großen Teilen der muslimischen Welt werden die jungen Mädchen beschnitten“und „Überall in der islamischen Welt können Frauen ihr Kopftuch nicht ablegen, ohne in höchste Gefahr zu geraten“. Doch Beschneidungen sind vor allem in bestimmten afrikanischen Ländern ein Problem – und Kopftücher nicht überall die Regel.
Als das Buch erschien, startete die SPD ihren dritten Versuch, den früheren Spitzenbeamten, Staatssekretär, Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand aus der Partei zu werfen. Zwei vorherige, der letzte nach Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, waren schon mangels rechtssicherer Belege gescheitert.
Was ist jetzt anders? Sarrazins neue Äußerungen seien „klar rassistisch“, urteilt die Schiedskommission diesmal. Zudem habe er nicht überzeugend dargelegt, warum die SPD – nach mehr als 45 Jahren Mitgliedschaft – überhaupt noch seine politische Heimat sei. Es sei nicht erkennbar, „dass die Mitgliedschaft, mag sie auch noch so lange gedauert haben, mehr als rein praktischen oder gar geschäftlichen Wert“habe.
„Er vertritt Positionen, die nicht unsere sind“, sagt Lars Klingbeil, der als Generalsekretär den Ausschlussantrag gestellt hat. „Für rassistische Gedanken ist in der SPD kein Platz“, betont er.
Sarrazin, seit 1973 SPD-Mitglied, hat den Vorwurf des Rassismus immer zurückgewiesen und sich auf Meinungsfreiheit berufen. So auch jetzt: Er habe nie für möglich gehalten, „dass man wegen seiner Meinung verfolgt und ausgeschlossen wird“, sagt er. Aus eigener Sicht versucht Sarrazin nur, der Gesellschaft die Augen zu öffnen für dramatische Überfremdungsentwicklungen. Hätte die SPD seit 2010 mehr auf mich gehört, dann gäbe es heute keine AfD im Deutschen Bundestag“, sagte er 2018 bei der Buchvorstellung auf der Frankfurter Buchmesse.
Sechs Instanzen möglich
Nach dem Urteil der Schiedskommission betont der 74-Jährige: „Als einfaches Parteimitglied bin ich gerne bereit, die Erneuerung der SPD mitzutragen. Ich werde gerne meinen Beitrag dazu leisten.“Soll heißen: So einfach werdet ihr mich nicht los. Seine Anwälte kündigen an, Sarrazin werde die Entscheidung anfechten, wenn nötig bis zum Bundesverfassungsgericht. Das sind sechs Instanzen und, so betonen die Anwälte, „viele weitere Jahre der Auseinandersetzung“.
Die SPD muss also erstmal weiter mit Sarrazin leben – in einer Situation, in der die Partei ohnehin genug mit sich selbst zu tun hat. Schließlich steht nach dem Rücktritt von Andrea Nahles die schwierige Wahl einer neuen Parteispitze an, für die es bisher kaum Hoffnungsträger gibt.
Vielleicht klopft man sich auch deshalb erstmal öffentlich auf die Schulter. „Es ist wichtig, gerade in den heutigen Zeiten, dass die SPD eine klare Haltung hat“, meint Klingbeil. Juso-Chef Kevin Kühnert sagt fast hämisch, ohne SPD-Mitgliedschaft wäre Sarrazin „nur ein verbitterter rechter Mann unter vielen“. Und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach twittert sofort: „Niemand von uns wird ihn vermissen.“
Eine andere Partei jedenfalls versucht aus dem SPD-Problem Profit zu schlagen. „So wie die SPD-Spitze mit ihrem langjährigen, verdienten Mitglied umgeht, so geht die SPD mit dem ganzen deutschen Volk um“, lässt die Berliner AfD nach dem Urteil wissen. Sarrazin sei herzlich eingeladen, nach einem Ausschluss aus der SPD der AfD beizutreten.