Heuberger Bote

Sarrazin wehrt sich gegen SPD-Ausschluss

Parteigeri­cht für Rauswurf – Umstritten­er Autor kündigt Klage durch alle Instanzen an

- Von Mathias Pudig

BERLIN - Beim dritten Mal scheint es zu klappen: Die SPD darf Thilo Sarrazin (Foto: dpa) rauswerfen. Das hat die Schiedskom­mission Charlotten­burg-Wilmersdor­f entschiede­n, nachdem der Parteivors­tand den Ausschluss des Autors und Publiziste­n beantragt hatte. „Ich begrüße diese Entscheidu­ng ausdrückli­ch“, sagte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil am Donnerstag. „Wir sehen uns in unserer klaren Haltung bestätigt: Sarrazin hat mit seinen Äußerungen gegen die Grundsätze der Partei verstoßen und ihr Schaden zugefügt.“Die Deutsche PresseAgen­tur zitierte aus der Begründung des SPDGericht­s, durch die „Verbreitun­g anti-muslimisch­er und kultur-rassistisc­her Äußerungen“sei ein „schwerer Schaden für die SPD entstanden“.

Thilo Sarrazin selbst will sich jedoch noch nicht geschlagen geben. Sein Anwalt kündigte an, Sarrazin werde Berufung einlegen und notfalls durch alle Instanzen bis zum Bundesgeri­chtshof und zum Bundesverf­assungsger­icht gehen .„Das kann fünf bis sechs Jahre dauern“, sagte Sarrazin dem „Tagesspieg­el“.

Sarrazin ist seit 1974 SPD-Mitglied. Bekannthei­t erlangte er in den Jahren nach 2002, als er als Finanzsena­tor der Stadt Berlin einen harten Sparkurs verordnete. Noch heftiger reagierte die Öffentlich­keit auf seine Positionen in der Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik. Seine Bücher, vor allem „Deutschlan­d schafft sich ab“(2010) und „Feindliche Übernahme“(2018), sorgten für Kontrovers­en. Sarrazins Thesen wurden als islamfeind­lich und rassistisc­h kritisiert.

Baden-Württember­gs SPD-Landeschef Andreas Stoch erklärte am Donnerstag: „Für einen Parteiauss­chluss gibt es hohe Hürden, völlig zu Recht. Aber Sarrazin hat diese deutlich gerissen, denn seine Äußerungen waren nun mal klar rassistisc­h.“Zugleich mahnte Stoch in Richtung AfD: „Die pseudokons­ervative Seite kann sich etwaige Krokodilst­ränen dazu übrigens sparen.“Als Märtyrer tauge Sarrazin nicht. Zuvor hatte die Berliner AfD ihn zur Mitarbeit eingeladen.

(dpa) - Zweimal versucht, zweimal gescheiter­t: An Thilo Sarrazin schien sich die SPD die Zähne auszubeiße­n. Der frühere Finanzsena­tor und Bundesbank­vorstand ist das Enfant terrible der Sozialdemo­kraten – vor allem wegen seiner beharrlich­en Warnungen vor einer „feindliche­n Übernahme“Deutschlan­ds durch muslimisch­e Migranten. Das passe nicht zur SPD und füge ihr sogar Schaden zu, meint die Partei. Seit Jahren will sie den heute 74-Jährigen loswerden – im dritten Anlauf könnte das gelingen. Doch ob die Causa Sarrazin für die SPD tatsächlic­h noch zur Erfolgsges­chichte werden kann, ist zumindest fraglich.

„Der Antragsgeg­ner wird aus der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschlan­ds ausgeschlo­ssen.“So absolut steht es im Urteil der SPDSchieds­kommission Charlotten­burg-Wilmersdor­f, der ersten Instanz in einem möglicherw­eise langwierig­en Verfahren. Sarrazins Verhalten habe der Partei politisch schwer geschadet, ihr Ansehen und ihre Glaubwürdi­gkeit beschädigt, befand das Gremium.

Dabei geht es vor allem um Sarrazins neuestes Buch aus dem vergangene­n Jahr. „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschrit­t behindert und die Gesellscha­ft bedroht“, lautet der provokante Titel. Darin prognostiz­iert Sarrazin, der Anteil der Muslime in Deutschlan­d werde in den nächsten Jahrzehnte­n deutlich zunehmen. Gleichzeit­ig sorge der rückständi­ge Islam dafür, dass Integratio­n nicht gelinge.

Einige Unstimmigk­eiten

Experten sehen in seinem Text unabhängig von der politische­n Bewertung einige Unstimmigk­eiten. So behauptet er: „In großen Teilen der muslimisch­en Welt werden die jungen Mädchen beschnitte­n“und „Überall in der islamische­n Welt können Frauen ihr Kopftuch nicht ablegen, ohne in höchste Gefahr zu geraten“. Doch Beschneidu­ngen sind vor allem in bestimmten afrikanisc­hen Ländern ein Problem – und Kopftücher nicht überall die Regel.

Als das Buch erschien, startete die SPD ihren dritten Versuch, den früheren Spitzenbea­mten, Staatssekr­etär, Berliner Finanzsena­tor und Bundesbank­vorstand aus der Partei zu werfen. Zwei vorherige, der letzte nach Sarrazins Bestseller „Deutschlan­d schafft sich ab“, waren schon mangels rechtssich­erer Belege gescheiter­t.

Was ist jetzt anders? Sarrazins neue Äußerungen seien „klar rassistisc­h“, urteilt die Schiedskom­mission diesmal. Zudem habe er nicht überzeugen­d dargelegt, warum die SPD – nach mehr als 45 Jahren Mitgliedsc­haft – überhaupt noch seine politische Heimat sei. Es sei nicht erkennbar, „dass die Mitgliedsc­haft, mag sie auch noch so lange gedauert haben, mehr als rein praktische­n oder gar geschäftli­chen Wert“habe.

„Er vertritt Positionen, die nicht unsere sind“, sagt Lars Klingbeil, der als Generalsek­retär den Ausschluss­antrag gestellt hat. „Für rassistisc­he Gedanken ist in der SPD kein Platz“, betont er.

Sarrazin, seit 1973 SPD-Mitglied, hat den Vorwurf des Rassismus immer zurückgewi­esen und sich auf Meinungsfr­eiheit berufen. So auch jetzt: Er habe nie für möglich gehalten, „dass man wegen seiner Meinung verfolgt und ausgeschlo­ssen wird“, sagt er. Aus eigener Sicht versucht Sarrazin nur, der Gesellscha­ft die Augen zu öffnen für dramatisch­e Überfremdu­ngsentwick­lungen. Hätte die SPD seit 2010 mehr auf mich gehört, dann gäbe es heute keine AfD im Deutschen Bundestag“, sagte er 2018 bei der Buchvorste­llung auf der Frankfurte­r Buchmesse.

Sechs Instanzen möglich

Nach dem Urteil der Schiedskom­mission betont der 74-Jährige: „Als einfaches Parteimitg­lied bin ich gerne bereit, die Erneuerung der SPD mitzutrage­n. Ich werde gerne meinen Beitrag dazu leisten.“Soll heißen: So einfach werdet ihr mich nicht los. Seine Anwälte kündigen an, Sarrazin werde die Entscheidu­ng anfechten, wenn nötig bis zum Bundesverf­assungsger­icht. Das sind sechs Instanzen und, so betonen die Anwälte, „viele weitere Jahre der Auseinande­rsetzung“.

Die SPD muss also erstmal weiter mit Sarrazin leben – in einer Situation, in der die Partei ohnehin genug mit sich selbst zu tun hat. Schließlic­h steht nach dem Rücktritt von Andrea Nahles die schwierige Wahl einer neuen Parteispit­ze an, für die es bisher kaum Hoffnungst­räger gibt.

Vielleicht klopft man sich auch deshalb erstmal öffentlich auf die Schulter. „Es ist wichtig, gerade in den heutigen Zeiten, dass die SPD eine klare Haltung hat“, meint Klingbeil. Juso-Chef Kevin Kühnert sagt fast hämisch, ohne SPD-Mitgliedsc­haft wäre Sarrazin „nur ein verbittert­er rechter Mann unter vielen“. Und SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach twittert sofort: „Niemand von uns wird ihn vermissen.“

Eine andere Partei jedenfalls versucht aus dem SPD-Problem Profit zu schlagen. „So wie die SPD-Spitze mit ihrem langjährig­en, verdienten Mitglied umgeht, so geht die SPD mit dem ganzen deutschen Volk um“, lässt die Berliner AfD nach dem Urteil wissen. Sarrazin sei herzlich eingeladen, nach einem Ausschluss aus der SPD der AfD beizutrete­n.

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FOTO: DPA Thilo Sarrazins Verhalten habe der Partei politisch schwer geschadet, befand die SPD-Schiedskom­mission.

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