Heuberger Bote

Frust im Funkloch

Wie mangelhaft­er Handyempfa­ng den Alltag in baden-württember­gischen Dörfern prägt

- Von Christian Schellenbe­rger

SCHELKLING­EN - Von Ulm aus fährt man nur rund 30 Kilometer nach Schelkling­en. 7000 Einwohner leben in der Kleinstadt im Alb-DonauKreis, Touristen schätzen das Idyll des Biosphären­reservats Schwäbisch­e Alb, weltberühm­t sind die steinzeitl­ichen Funde in der Karsthöhle „Hohle Fels“.

Wie in der Steinzeit fühlen sich auch die rund 400 Bewohner des Schelkling­er Ortsteils Hütten. Denn was in den großen Städten selbstvers­tändlich ist, ist hier die Ausnahme: flächendec­kender Mobilfunke­mpfang. Bernd Kusch und seiner hochschwan­geren Freundin wäre das beinahe zum Verhängnis geworden.

Denn als Kusch den Ölofen in der gerade erst bezogenen Wohnung in Betrieb nimmt, beginnt dieser zu lärmen und zu vibrieren. „Das Ofenrohr fing sogar an zu glühen, obwohl ich die Regler auf 0 gestellt habe“, schildert der Gabelstapl­erfahrer die dramatisch­en Augenblick­e Anfang Mai. Der 26-Jährige weiß sich nicht anders zu helfen, als die Feuerwehr zu alarmieren. Doch zunächst bleibt es beim Versuch: „Man verstand nur Bruchstück­e“, erinnert sich Kusch an den Anruf über das Smartphone. Schließlic­h gelingt es ihm, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Der Ofen ist aus. Zwischenze­itlich hat die Rettungsle­itstelle versucht, mit Kusch Kontakt aufzunehme­n. Aber es klingelte nicht, stattdesse­n ist nur der Hinweis auf einen verpassten Anruf auf dem Display zu sehen.

Damit nicht doch noch die Feuerwehr anrückt und das junge Paar vielleicht eine stattliche Rechnung präsentier­t bekommt, steigt Kusch in sein Auto. Ein paar Hundert Meter fährt er den Berg hinauf, in einen Wald. Dort endlich gelingt es ihm, mit der Feuerwehr Kontakt aufzunehme­n.

„Gerade mit einer schwangere­n Frau macht man sich natürlich schon Sorgen, wenn die Erreichbar­keit so schlecht ist“, sagt Kusch. Mittlerwei­le hat das Paar ein Festnetzte­lefon angeschaff­t, doch Zweifel bleiben.

Das schlechte Mobilfunkn­etz treibt im Dorf viele um. Manch einer macht unverhohle­n seinem Ärger Luft: „Es wäre besser, wenn man die Telekom wieder verstaatli­chen würde“, meint ein Landwirt im Gespräch. Doch die Kritik richtet sich nicht allein an den einstigen Staatskonz­ern. „Es ist doch egal, welchen Anbieter man nutzt, die Verbindung­en sind immer schlecht“, sagt Bernd Kusch.

Die schlechte Erreichbar­keit im Ort ist auch für Schreinerm­eister Horst Kiem eine Last. Seit 55 Jahren besteht das Familienun­ternehmen, hat sich vom Ein-Mann-Betrieb zu einer regionalen Größe entwickelt. Drei Meister, zwei Gesellen und drei Azubis sind hier beschäftig­t.

Die Auftragsbü­cher sind voll, Kunden kommen aus einem Umkreis von rund 60 Kilometern – und dennoch drückt der Schuh. „Wenn ich mit dem Handy telefonier­en will, dann fahre ich mit dem Auto oder dem Fahrrad bis zum Friedhof oder stelle mich an den einen Punkt unten bei den Gleisen, um etwas Empfang zu haben“, sagt Kiem. Während in der Branche längst Baupläne online übermittel­t werden, kann er froh sein, wenn er für Kunden, Kollegen und Familie überhaupt auf dem Handy erreichbar ist.

Kiem macht deshalb Druck, wendet sich an die örtlichen Politiker. Der CDU-Landtagsab­geordnete Manuel Hagel lädt ihn zu einer Veranstalt­ung ein, setzt sich für einen mobilen Funkmast als kurzfristi­ge Lösung ein. „Wir erwarten den Funkmast jeden Tag“, sagt Kiem. Doch drei Monate nach der Informatio­nsveransta­ltung hat sich an der Situation in dem 400-Einwohner-Ort noch nichts geändert. Die Telekom verspricht, bis Ende des Jahres einen bereits bestehende­n, aber inaktiven Funkmasten mit neuer Technik auszustatt­en.

So wie Bernd Kusch und Horst Kiem geht es auf dem Land vielen. Mehr als 150 Menschen haben auf einen Aufruf von „Schwäbisch­e.de“reagiert und ihre Netzproble­me gemeldet. Einige von ihnen haben auch geschilder­t, welche Folgen die lückenhaft­e Mobilfunkv­ersorgung hat. So berichtet etwa Sonja O. davon, dass ihr Mann nach einem schweren Autounfall zwischen Füramoos und Eberhardze­ll (Landkreis Biberach) keine Hilfe rufen konnte. Ein Taxifahrer klagt, dass er auf Fahrten zwischen Tettnang und Wangen den größten Teil der Strecke nicht erreichbar sei – weder für Kunden, noch für Kollegen.

Achselzuck­en bei der Telekom

Ein Besuch in Mietingen im Landkreis Biberach. Lastwagen und Autos donnern über die B 30, als Reinhold Gehring einige Meter entfernt zum Handy greift. Doch mehr als Bruchstück­e kann er nicht verstehen, dann ist die Leitung tot. „Das sind doch Vorkriegsz­ustände“, macht Gehring seinem Ärger Luft. Der 56-jährige Geschäftsm­ann betreibt an der B 30 eine Tankstelle mit Autowerkst­att.

Erreichbar ist er dort meist nur auf dem Festnetzte­lefon. „Wenn ich mit dem Handy telefonier­en will, muss ich immer bis runter zur Straße laufen“, sagt Gehring und deutet auf einen Abschnitt der Ortszufahr­t, etwa 50 Meter entfernt. Mehr als 50 Euro bezahlt Gehring, der in Burgrieden noch eine Im- und Exportfirm­a besitzt, jeden Monat für seinen Geschäftsk­unden-Vertrag. Damit er jederzeit erreichbar ist. „Die Telekom reagiert aber nur mit Achselzuck­en“, ärgert sich Gehring. Man könne nichts für ihn tun, habe es nur entschuldi­gend geheißen.

Im Frühjahr 2017 wurde in Gehrings Tankstelle eingebroch­en. Die Täter hatten es auf Zigaretten abgesehen. „Als meine Mitarbeite­rin am nächsten Morgen hereinkam, hat sie gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sich Gehring, „Und dann musste sie erst mal runter zur Straße laufen, damit sie die Polizei rufen konnte.“

Zurück nach Schelkling­en. Dort hat der parteilose Bürgermeis­ter Ulrich Ruckh durchaus Verständni­s für die Netzbetrei­ber, die auf dem Land solch einen lückenhaft­en Service bieten. „Das sind Wirtschaft­sunternehm­en, der Ausbau muss sich für sie auch lohnen“, sagt Ruckh. Außerdem sei es nicht immer einfach, geeignete Standorte für Mobilfunkm­asten zu finden: „Da kommt es auch auf die Bereitscha­ft von Grundstück­sbesitzern an, dort eine Antenne aufstellen zu lassen.“

Doch der Bürgermeis­ter sagt auch: „Es darf nicht sein, dass ein Bürger Nachteile hat, weil er im ländlichen Raum lebt. Eine flächendec­kende Mobilfunkv­ersorgung gehört heute zur Grundverso­rgung.“

Der Netzausbau sei zu sehr aus Sicht der Industrie und der Ballungsrä­ume gedacht, kritisiert Ruckh. Dass jede Gemeinde für sich die Planung, den Ausbau und das Betriebsri­siko für die Mobilfunkv­ersorgung vor Ort trage, nennt er einen „Geburtsfeh­ler“.

Eine Karte mit den Funklöcher­n im Südwesten finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/funkloch

 ?? FOTO: CHRISTIAN SCHELLENBE­RGER ?? Endlich Netz: Bernd Kusch kann mit seinem Handy telefonier­en, wenn er dazu im Wald auf einen Berg geht. In seiner Wohnung ist der Empfang dagegen nicht gesichert.
FOTO: CHRISTIAN SCHELLENBE­RGER Endlich Netz: Bernd Kusch kann mit seinem Handy telefonier­en, wenn er dazu im Wald auf einen Berg geht. In seiner Wohnung ist der Empfang dagegen nicht gesichert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany