Frust im Funkloch
Wie mangelhafter Handyempfang den Alltag in baden-württembergischen Dörfern prägt
SCHELKLINGEN - Von Ulm aus fährt man nur rund 30 Kilometer nach Schelklingen. 7000 Einwohner leben in der Kleinstadt im Alb-DonauKreis, Touristen schätzen das Idyll des Biosphärenreservats Schwäbische Alb, weltberühmt sind die steinzeitlichen Funde in der Karsthöhle „Hohle Fels“.
Wie in der Steinzeit fühlen sich auch die rund 400 Bewohner des Schelklinger Ortsteils Hütten. Denn was in den großen Städten selbstverständlich ist, ist hier die Ausnahme: flächendeckender Mobilfunkempfang. Bernd Kusch und seiner hochschwangeren Freundin wäre das beinahe zum Verhängnis geworden.
Denn als Kusch den Ölofen in der gerade erst bezogenen Wohnung in Betrieb nimmt, beginnt dieser zu lärmen und zu vibrieren. „Das Ofenrohr fing sogar an zu glühen, obwohl ich die Regler auf 0 gestellt habe“, schildert der Gabelstaplerfahrer die dramatischen Augenblicke Anfang Mai. Der 26-Jährige weiß sich nicht anders zu helfen, als die Feuerwehr zu alarmieren. Doch zunächst bleibt es beim Versuch: „Man verstand nur Bruchstücke“, erinnert sich Kusch an den Anruf über das Smartphone. Schließlich gelingt es ihm, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Der Ofen ist aus. Zwischenzeitlich hat die Rettungsleitstelle versucht, mit Kusch Kontakt aufzunehmen. Aber es klingelte nicht, stattdessen ist nur der Hinweis auf einen verpassten Anruf auf dem Display zu sehen.
Damit nicht doch noch die Feuerwehr anrückt und das junge Paar vielleicht eine stattliche Rechnung präsentiert bekommt, steigt Kusch in sein Auto. Ein paar Hundert Meter fährt er den Berg hinauf, in einen Wald. Dort endlich gelingt es ihm, mit der Feuerwehr Kontakt aufzunehmen.
„Gerade mit einer schwangeren Frau macht man sich natürlich schon Sorgen, wenn die Erreichbarkeit so schlecht ist“, sagt Kusch. Mittlerweile hat das Paar ein Festnetztelefon angeschafft, doch Zweifel bleiben.
Das schlechte Mobilfunknetz treibt im Dorf viele um. Manch einer macht unverhohlen seinem Ärger Luft: „Es wäre besser, wenn man die Telekom wieder verstaatlichen würde“, meint ein Landwirt im Gespräch. Doch die Kritik richtet sich nicht allein an den einstigen Staatskonzern. „Es ist doch egal, welchen Anbieter man nutzt, die Verbindungen sind immer schlecht“, sagt Bernd Kusch.
Die schlechte Erreichbarkeit im Ort ist auch für Schreinermeister Horst Kiem eine Last. Seit 55 Jahren besteht das Familienunternehmen, hat sich vom Ein-Mann-Betrieb zu einer regionalen Größe entwickelt. Drei Meister, zwei Gesellen und drei Azubis sind hier beschäftigt.
Die Auftragsbücher sind voll, Kunden kommen aus einem Umkreis von rund 60 Kilometern – und dennoch drückt der Schuh. „Wenn ich mit dem Handy telefonieren will, dann fahre ich mit dem Auto oder dem Fahrrad bis zum Friedhof oder stelle mich an den einen Punkt unten bei den Gleisen, um etwas Empfang zu haben“, sagt Kiem. Während in der Branche längst Baupläne online übermittelt werden, kann er froh sein, wenn er für Kunden, Kollegen und Familie überhaupt auf dem Handy erreichbar ist.
Kiem macht deshalb Druck, wendet sich an die örtlichen Politiker. Der CDU-Landtagsabgeordnete Manuel Hagel lädt ihn zu einer Veranstaltung ein, setzt sich für einen mobilen Funkmast als kurzfristige Lösung ein. „Wir erwarten den Funkmast jeden Tag“, sagt Kiem. Doch drei Monate nach der Informationsveranstaltung hat sich an der Situation in dem 400-Einwohner-Ort noch nichts geändert. Die Telekom verspricht, bis Ende des Jahres einen bereits bestehenden, aber inaktiven Funkmasten mit neuer Technik auszustatten.
So wie Bernd Kusch und Horst Kiem geht es auf dem Land vielen. Mehr als 150 Menschen haben auf einen Aufruf von „Schwäbische.de“reagiert und ihre Netzprobleme gemeldet. Einige von ihnen haben auch geschildert, welche Folgen die lückenhafte Mobilfunkversorgung hat. So berichtet etwa Sonja O. davon, dass ihr Mann nach einem schweren Autounfall zwischen Füramoos und Eberhardzell (Landkreis Biberach) keine Hilfe rufen konnte. Ein Taxifahrer klagt, dass er auf Fahrten zwischen Tettnang und Wangen den größten Teil der Strecke nicht erreichbar sei – weder für Kunden, noch für Kollegen.
Achselzucken bei der Telekom
Ein Besuch in Mietingen im Landkreis Biberach. Lastwagen und Autos donnern über die B 30, als Reinhold Gehring einige Meter entfernt zum Handy greift. Doch mehr als Bruchstücke kann er nicht verstehen, dann ist die Leitung tot. „Das sind doch Vorkriegszustände“, macht Gehring seinem Ärger Luft. Der 56-jährige Geschäftsmann betreibt an der B 30 eine Tankstelle mit Autowerkstatt.
Erreichbar ist er dort meist nur auf dem Festnetztelefon. „Wenn ich mit dem Handy telefonieren will, muss ich immer bis runter zur Straße laufen“, sagt Gehring und deutet auf einen Abschnitt der Ortszufahrt, etwa 50 Meter entfernt. Mehr als 50 Euro bezahlt Gehring, der in Burgrieden noch eine Im- und Exportfirma besitzt, jeden Monat für seinen Geschäftskunden-Vertrag. Damit er jederzeit erreichbar ist. „Die Telekom reagiert aber nur mit Achselzucken“, ärgert sich Gehring. Man könne nichts für ihn tun, habe es nur entschuldigend geheißen.
Im Frühjahr 2017 wurde in Gehrings Tankstelle eingebrochen. Die Täter hatten es auf Zigaretten abgesehen. „Als meine Mitarbeiterin am nächsten Morgen hereinkam, hat sie gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sich Gehring, „Und dann musste sie erst mal runter zur Straße laufen, damit sie die Polizei rufen konnte.“
Zurück nach Schelklingen. Dort hat der parteilose Bürgermeister Ulrich Ruckh durchaus Verständnis für die Netzbetreiber, die auf dem Land solch einen lückenhaften Service bieten. „Das sind Wirtschaftsunternehmen, der Ausbau muss sich für sie auch lohnen“, sagt Ruckh. Außerdem sei es nicht immer einfach, geeignete Standorte für Mobilfunkmasten zu finden: „Da kommt es auch auf die Bereitschaft von Grundstücksbesitzern an, dort eine Antenne aufstellen zu lassen.“
Doch der Bürgermeister sagt auch: „Es darf nicht sein, dass ein Bürger Nachteile hat, weil er im ländlichen Raum lebt. Eine flächendeckende Mobilfunkversorgung gehört heute zur Grundversorgung.“
Der Netzausbau sei zu sehr aus Sicht der Industrie und der Ballungsräume gedacht, kritisiert Ruckh. Dass jede Gemeinde für sich die Planung, den Ausbau und das Betriebsrisiko für die Mobilfunkversorgung vor Ort trage, nennt er einen „Geburtsfehler“.
Eine Karte mit den Funklöchern im Südwesten finden Sie unter www.schwaebische.de/funkloch