Heuberger Bote

Ein Mensch im Wachkoma ist kein Sterbender

Eugen Brysch von der Stiftung Patientens­chutz betont: Der Patientenw­ille entscheide­t, nicht die Angehörige­n

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Ihre Augen sind geöffnet, doch der Blick geht ins Leere: 10 000 Menschen liegen in Deutschlan­d im Wachkoma. Jahr für Jahr gibt es nach Angaben der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie 1000 neue Fälle von Menschen, deren Großhirn nicht mehr arbeitet – während die Funktionen von Zwischenhi­rn, Hirnstamm und Rückenmark erhalten bleiben.

Ein Wachkoma bedeutet nicht, dass der Patient am Ende seines Lebens angekommen ist, betont Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ein Patient im Wachkoma hat die gleichen Rechte, wie jeder andere auch. Er ist per se kein Sterbender und hat Anspruch auf medizinisc­he und pflegerisc­he Versorgung.“

Ärzte, Pfleger und Angehörige seien verpflicht­et, nach dem ausdrückli­chen Willen des Patienten zu handeln, erläutert Brysch. Wenn dieser nicht bekannt ist, gelte es, den mutmaßlich­en Willen zu ermitteln. „Deshalb hat eine Patientenv­erfügung eine außerorden­tliche Bedeutung.“

In einem solchen Dokument können Menschen festlegen, was im Falle einer schweren Erkrankung getan werden soll. In einer Vorsorgevo­llmacht können sie zusätzlich eine Person des Vertrauens bestimmen, die den Willen des Patienten umsetzen soll. Dabei spielt es für den rechtliche­n Wert einer Patientenv­erfügung keine Rolle, wie alt sie ist.

Ein Problem ist nach Angaben von Experten aber immer wieder, dass die Wünsche zu konkreten Behandlung­smaßnahmen, die in der Patientenv­erfügung beschriebe­n werden, nicht auf die spätere tatsächlic­he Situation passen. Dann wird es komplizier­t: „Sollte die Verfügung für die konkrete Situation nicht einschlägi­g sein, müssen Bevollmäch­tigte oder Betreuer im Sinne des Patientenw­illens entscheide­n“, erläutert Brysch.

Noch komplizier­ter wird es, wenn überhaupt keine Patientenv­erfügung vorliegt. Dann gilt es, den mutmaßlich­en Willen des Patienten zu ermitteln. Keine Rolle spielt hingegen die persönlich­e Auffassung der Angehörige­n. „Ein automatisc­hes Mitsprache­recht von Eltern oder Ehepartner­n gibt es nicht“, hält Brysch fest. Insofern gibt es auch keine Gewichtung, ob das Wort von Ehepartner oder Eltern schwerer wiegt, sie alle müssen sich am – vermuteten – Willen des Patienten orientiere­n.

Ist dieser nicht bekannt, sind Probleme wie im Fall Vincent Lambert auch in Deutschlan­d nicht ausgeschlo­ssen. Deswegen sei eine „praxistaug­liche Patientenv­erfügung“so wichtig, mahnt Brysch. „Andernfall­s kann es zu jahrelange­n Streitigke­iten kommen, die nicht selten von Gerichten entschiede­n werden müssen.

Und wenn am Ende nicht zweifelsfr­ei festgestel­lt werden kann, was der Wunsch eines Wachkomapa­tienten gewesen wäre? Dann, sagt Brysch, „muss bis zum Ende des Lebens weiterbeha­ndelt werden“.

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FOTO: OH Aus Sicht von Eugen Brysch ist eine Patientenv­erfügung von „außerorden­tlicher Bedeutung“.

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