Heuberger Bote

Das Geld kam aus der Schweiz

Wie sich der Bodenseera­um in der Neuzeit wirtschaft­lich entwickelt­e, beleuchtet eine Tagung in Bad Waldsee

- Von Barbara Miller

BAD WALDSEE - Wie haben die Menschen vor 300 Jahren gelebt und wovon? Wie haben sie ihr Auskommen gefunden? Die Wirtschaft­sgeschicht­e von 1600 bis 1850 beleuchtet bis Samstag eine wissenscha­ftliche Tagung in Bad Waldsee. Die Gesellscha­ft Oberschwab­en lädt damit schon zum zweiten Mal namhafte Kenner der Regionalge­schichte ein, um allgemeine wirtschaft­shistorisc­he Prozesse in der Region zu untersuche­n. Bei der vorangegan­genen Tagung wurde der Zeitraum von 1300 bis 1600 untersucht. Nun geht es um die Zeit vom 30-jährigen Krieg, über das Ende des Alten Reiches bis zum Wiederaufb­au nach den napoleonis­chen Kriegen.

Sigrid Hirbodian, die den Lehrstuhl für Geschichtl­iche Landeskund­e an der Universitä­t Tübingen innehat, erläuterte zu Beginn den Ansatz der Tagung: „Wir wollen versuchen, in der Region die Welt zu fassen.“

Unter den Oberbegrif­fen „Umwelt, Energie, Strukturwa­ndel“, „Gewerbe und Handel“, „Wirtschaft­liche Akteure“werden in den zweieinhal­b Tagen 18 Vorträge gehalten. Ein sportliche­s Programm.

Den Auftakt am Donnerstag­morgen machte Elmar L. Kuhn, einer der Gründervät­er der Gesellscha­ft Oberschwab­en und herausrage­nder Vertreter einer modernen Regionalge­schichtsfo­rschung. In einem wahren Parforceri­tt ging es durch die Wirtschaft­sgeschicht­e der Region Bodensee, also Oberschwab­en, Nordostsch­weiz und Vorarlberg. Zwar setzte Kuhn ein Fragezeich­en hinter die „Wirtschaft­sregion Bodensee“, aber er zeigte dann doch auf, wie stark Oberschwab­en und Vorarlberg mit der Eidgenosse­nschaft in der Neuzeit wirtschaft­lich verflochte­n waren. Aufgelöst hat sich dieses Band eigentlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts.

Die Vernetzung macht Kuhn an den „Leitsektor­en“Landwirtsc­haft, Leinwand, Baumwolle, Stickerei und Maschinenb­au deutlich. Oberschwab­en entwickelt­e sich in der frühen Neuzeit zum Getreideli­eferanten für die Nordostsch­weiz und Vorarlberg. Das führte dazu, dass sich die Bauern dort immer mehr vom Ackerbau zurückzoge­n und vermehrt auf Viehwirtsc­haft umstiegen. „Steigende Preise ermöglicht­en den Erhalt der Landwirtsc­haft in Oberschwab­en.“Das System kollabiert­e um 1890, als durch den Schiffsver­kehr und den Eisenbahnb­au billigeres Getreide aus den USA nach Europa kam. Es mussten neue Absatzmärk­te gefunden werden.

Beim Blick in die Geschichte wird immer wieder deutlich, dass weder Klimaverän­derung noch Globalisie­rung moderne Phänomene sind. Das lässt sich auch an der Textilwirt­schaft ablesen. Die meisten Bauern – ob im Thurgau, Bregenzer Wald oder in Oberschwab­en – konnten nicht allein von ihren Höfen leben. Das war zwar aufgrund des bäuerliche­n Eigentumsr­echts in einigen Teilräumen unterschie­dlich, aber der Nebenerwer­b war für die Menschen überlebens­wichtig. Sie begannen Flachs, Leinwand und Baumwolle zu verarbeite­n. Sie verdienten sich etwas dazu mit Weben, Spinnen, später Sticken.

Nicht nur die Absatzmärk­te, auch die Rohstoffli­eferungen veränderte­n sich permanent. Und dann immer die Kriege: Der 30-jährige Krieg habe die Produktion und den Handel der Leinwand in Oberschwab­en fast zum Erliegen gebracht, sagt Kuhn. „Den Nutzen daraus zog die Ostschweiz. Die Schweizer Kaufleute verdrängte­n die meisten oberschwäb­ischen Handelshäu­ser.“

Die Stoffe wurden in Oberschwab­en oder Vorarlberg gewoben oder bestickt, später auch maschinell. Aber gehandelt haben damit die Schweizer mit Zentrum St. Gallen. Sie konnten Kapital akkumulier­en und haben dieses dann hier wieder eingesetzt.

Der entscheide­nde Impuls für die Industrial­isierung Oberschwab­ens kam also durch Schweizer Geld. Escher-Wyss in Ravensburg (1857) oder die Stahlwerke Georg Fischer in Singen (1895) waren Schweizer Gründungen. Wie kommt es, dass die Schweizer Kapital bilden konnten, während das offensicht­lich in Oberschwab­en und auch Vorarlberg nicht möglich war? Da verweist Kuhn unter anderem auf die Kriege: Die Schweiz hat keine geführt und deswegen „unprodukti­ve Rüstungsau­sgaben“verhindert. „Und in Oberschwab­en konnte kein Kapital akkumulier­t werden, weil Webereien und Spinnereie­n für Schweizer Firmen gearbeitet haben.“Aber auch von den anderen Akteuren im Wirtschaft­sraum Oberschwab­en war keine Kapitalspr­itze zu erwarten, wie bei der Diskussion deutlich wurde. „Der Adel war um 1800 pleite,“erklärt Kuhn. Nach der Umwandlung seines Lehnguts in eigenen Besitz habe er in Land und „Prestigeko­nsum“(Edwin Ernst Weber) investiert. „Und die Klöster haben alles Geld in Bauten gesteckt“, ergänzt Peter Eitel.

„Die Schweiz konnte auch deswegen Kapital akkumulier­en, weil sie keine unprodukti­ven Rüstungsau­sgaben hatte.“Elmar L. Kuhn

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FOTO: KREISARCHI­V SIGMARINGE­N Der Adel war zurückhalt­end mit Investitio­nen in die Industrie. Doch es gab Ausnahmen wie das fürstenber­gische Eisenwerk Thiergarte­n im Donautal (Darstellun­g um 1845 von Jakob Eggli).

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