Der Rechtsanwalt in der Tasse
Über den segensreichen Beitrag Italiens zu unserer Küchenkultur muss man eigentlich keine Worte mehr verlieren. Von
Antipasti bis Zucchini kulinarische Offenbarungen ohne Ende. Und die Deutschen haben sie sich mittlerweile im wahrsten Sinn des Wortes einverleibt – von gewissen sprachlichen Problemen einmal abgesehen. Dass jemand im Café eine Latte maggiore bestellt statt eines Latte macchiato, ist schon öfters vorgekommen. Bei anderen Gerichten sind es die originellen Namen, die einem hierzulande auch erst einmal erklärt
werden müssen. Etwa Tiramisu, was auf Deutsch Zieh mich hoch! heißt und auf die Gaumenfreuden beim Genuss dieses Desserts aus Löffelbiscuits und Mascarpone-Creme anspielt. Oder Saltimbocca, wörtlich
Spring in den Mund!, wie man in der römischen Küche jene unvergleichliche Kreation aus Kalbsschnitzel, Schinken und Salbeiblättern nennt. Um ein besonders apartes Exemplar solcher Sprachfantasie ging es vor ein paar Tagen bei einem Lokalbesuch mit Freunden. Nach dem Essen bekundete eine der Damen, es gelüste sie nach einem Espresso mit einer Kugel Vanilleeis. Avocado heiße das – oder so ähnlich, meinte sie und löste damit eine kurze Diskussion aus. Bescheid wusste allerdings niemand. Um es klarzustellen: Avocado ist in Italien wie auch bei uns der Name jener birnenförmigen Steinfrucht aus der Familie der Lorbeergewächse, die als wahre Energiebombe gilt. Heute in vielen südlichen Ländern angebaut, stammt sie ursprünglich aus Mittelamerika. Zunächst nannten die spanischen Eroberer die Pflanze Aguacate – nach dem aztekischen Wort ahuacatl. Später wurde daraus avocado, wohl in Anlehnung an das damalige spanische Wort für Rechtsanwalt. Heute sagen die Spanier aber abogado zu einem Advokaten, und um das Maß an Verwirrung vollzumachen, heißt
Anwalt auf Italienisch avvocato. Also nichts mit Obst oder Juristerei. Das fragliche Dessert schreibt sich mit vollem Namen affogato al caffè, vom italienischen affogare für ertrinken. Die deutsche Übersetzung lautet also ganz einfach ertrunken im Kaffee, und das ist doch ein hübsches Bild für die helle Eiskugel, die langsam im dunklen Espresso versinkt und dann für einen Hochgenuss auf der Zunge sorgt. Unwillkürlich denkt man da kurz an eine beliebte Süßspeise aus unseren Breiten. Versoffene Jungfern heißen in Teilen Süddeutschlands und Österreichs jene Klößchen aus Eischnee, Zucker und Mehl, die im Fett ausgebacken und dann mit einer Rotweinsoße übergossen werden. Allerdings
versäuft da niemand. Mancherorts spricht man von besoffenen oder – nicht gar so derb – von beschwipsten
Jungfern, und damit wird auch der Hintergrund klar: Durch das Bad im Rotwein erinnerten die kleinen Kugeln an die geröteten Bäckchen junger Mädchen bei ihren ersten Erfahrungen mit Alkohol, heißt es. Vielleicht gehe es aber auch um das zarte Rouge auf den Wangen von Nonnen, die sich heimlich ein kleines Gläschen gegönnt haben, meinen wiederum andere. Apropos derb: In Oberschwaben gibt es jene köstlichen Brandteigkrapfen namens Nonnenfürzle. Aber darauf geht man nicht näher ein, sondern lässt sie sich lieber schmecken.
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