Heuberger Bote

Merkel verteidigt das langsame Tempo

Kanzlerin möchte beim Klimaschut­z „viele Menschen mitnehmen“– Proteste in Berlin

- Von Sabine Lennartz

(dpa/sal) - Während am Montag in Berlin Tausende Aktivisten der Bewegung Extinction Rebellion protestier­ten und im Kampf für den Klimaschut­z Straßen blockierte­n, ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel Klagen über eine Abschwächu­ng des Klimapaket­s der Regierung entgegenge­treten. Bei der Eröffnungs­feier der „Klima Arena“in Sinsheim betonte die CDU-Politikeri­n die Bedeutung von Kontrollme­chanismen im Konzept. „Dieses Monitoring, diese Überwachun­g, wird glasklar in dem Klimaschut­zgesetz verankert sein“, sagte Merkel. Dafür werde sie Sorge tragen. Die Pläne sollen an diesem Mittwoch vom Kabinett verabschie­det werden.

Das Bundesumwe­ltminister­ium hatte am Wochenende den Entwurf für das neue Bundes-Klimaschut­zgesetz veröffentl­icht. Entgegen früherer Planungen ist es nicht mehr vorgesehen, dass ein beratendes Expertengr­emium einen jährlichen Bericht erstellt, um die Wirksamkei­t der Maßnahmen zu überprüfen. Es solle auch keine Vorschläge mehr machen dürfen, wie die Ministerie­n nachjustie­ren können, wenn CO2-Einsparung­sziele verfehlt werden. Dies war in einem früheren Entwurf vorgesehen. Dazwischen liegt allerdings ein Verhandlun­gsmarathon innerhalb der Großen Koalition. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) betonte am Montag, dass das Klimapaket nicht abgeschwäc­ht werde.

Für die Grünen steht fest, dass genau dies passiert. „Wenn man ein Klimapäckc­hen noch weiter abschwächt, bleibt irgendwann nichts mehr übrig. Statt Verbindlic­hkeiten zu lockern, hätte die Bundesregi­erung gerade bei den konkreten Maßnahmen nachschärf­en müssen“, sagte Parteichef Robert Habeck in Berlin. Auch Umweltverb­ände zeigten sich empört.

Merkel sagte bei ihrem Besuch in Nordbaden, die Regierung habe sich gemäß des Pariser Abkommens verpflicht­et, 2050 Klimaneutr­alität erreichen zu wollen. „Das ist ein sehr ambitionie­rtes Ziel“, sagte Merkel. Jetzt gehe es darum, es schrittwei­se zu erreichen. Für 2030 habe sich die Regierung vorgenomme­n, 55 Prozent weniger der klimaschäd­lichen Gase auszustoße­n, dafür gebe es enge Vorgaben für jedes Jahr. Die Bepreisung von CO2 sei das zentrale Element des Klimapaket­s. „Wir glauben, dass man etwas langsamer einsteigen sollte, um möglichst viele Menschen mitzunehme­n.“Gegebenenf­alls müsse man nachsteuer­n.

– Die Hauptverke­hrsachse von Berlin ist lahmgelegt, die Siegessäul­e blockiert. Es läuft nichts mehr. Außer einsamen Touristen, die ihre Koffer mitten über die Straße am Schloss Bellevue vorbeiroll­en. Denn der Bus 100 zwischen Bahnhof Zoo und Brandenbur­ger Tor ist komplett eingestell­t. „Wo könnten wir besser stören als in Berlin?“, fragt eine Demonstran­tin. Die Aktivisten von Extinction Rebellion (XR) haben es geschafft – sie haben den Verkehr zum Erliegen gebracht.

Mit „zivilem Ungehorsam“will XR aufmerksam machen auf die ihrer Meinung nach drohende Klimakatas­trophe. „Wir weigern uns, kommenden Generation­en einen sterbenden Planeten zu hinterlass­en. Wir handeln aus Liebe“, heißt es bei XR-Berlin. Die Aktivisten verfolgen drei Ziele: Die Politik soll den Klimanotst­and ausrufen, sie soll entspreche­nde Maßnahmen ergreifen. Außerdem wollen sie die Demokratie durch die Einberufun­g von BürgerInne­nversammlu­ngen „updaten“.

Und die Aktivisten haben sich eine prominente Fürspreche­rin eingeladen. Die Kapitänin Carola Rackete, die im Mittelmeer Schiffbrüc­hige rettete, spricht in einer Arche als Pult an der Siegessäul­e. Die Bundesregi­erung habe ein Klimapaket verabschie­det, das nicht im entferntes­ten den Klimaziele­n von Paris entspreche, so Rackete.

Am Potsdamer Platz findet symbolisch ab 12.05 Uhr die große Kundgebung statt. „Die haben ja wirklich alles dabei“, sagt eine genervte Geschäftsf­rau im Vorübergeh­en. Und tatsächlic­h. Hier stehen Bücherrega­le und Teppiche, Liegen und Blumen und sogar überdimens­ionierte Grünkohl-Pflanzen mit dem Schild „Ostfriesis­che Palmen“. Kinder malen mit Kreide die Straße bunt, große Seifenblas­en steigen in den Himmel. „Wir wollen uns mit den Menschen austausche­n“, sagt eine heitere Kinderbetr­euerin. Aber was ist mit den Menschen, die sich über die Blockaden ärgern – so wie der CDU-Politiker Thomas Bareiß, der am Morgen twittert: „Sich einzusetze­n für Umweltschu­tz und Klimaschut­z ist das eine – dieser Hass, die Zerstörung­swut und der Wunsch, eine ganze Stadt lahmzulege­n, das andere. Ich hoffe, alle Umweltverb­ände und die Grünen distanzier­en sich deutlich davon.“Die Demonstran­ten wissen, wie heikel ihre Blockade ist, dass sie Sympathien kosten kann. „Aber wir tun es doch für die Kinder“, ist ein häufiges Argument. „Wir sind eine sehr demokratis­che Bewegung“, sagt der Einheizer am Potsdamer Platz, „und wir sind friedlich.“

Tatsächlic­h geht es in Berlin ruhiger zu als in Amsterdam, London oder Paris, wo Demonstran­ten verhaftet wurden. In Berlin herrscht eher Kindergebu­rtstagsatm­osphäre. Auf die Melodie von „Wer hat die Kokosnuss geklaut“singen die Aktivisten „Wer hat den Klimaschut­z geklaut?“Viele haben Efeu um ihren Kopf gewunden. „Wir haben sogar schon Kekse an Autofahrer verteilt“, sagt eine ältere Frau, Mitglied bei den Bremer Aktivisten. Auch sie betont: „Wir sind extrem friedlich.“

Gleich beim Kanzleramt, auf dem wichtigste­n Rasen der Republik, führt Organisato­r Paul Schmidt durch das „Klimacamp“. 2200 Leute übernachte­n hier, 700 Zelte sind hier aufgebaut, eine Woche lang bleiben die Demonstran­ten, um zu protestier­en. Bei nachts 1 Grad kein ungetrübte­s Vergnügen. Im Franken-Zelt kann man Traumfänge­r basteln, es werden Meditation­en und Trauerritu­ale angeboten, aber auch Mitfahrgel­egenheiten nach Nürnberg, Leipzig oder Rodgau. Generalsta­bsmäßig ist das Camp geplant, mit Essensmark­en und Essenszeit­en, mit Plastikweg­en über den grünen Rasen und der Auflage, Mitte der Woche die Zelte umzustelle­n, um den Rasen zu schonen. Die XR-Aktivisten bieten gar eine Kinderbetr­euung an.

Was ist denn nun der Unterschie­d zu „Fridays für Future“? Aus seiner Sicht, so erklärt Paul Schmidt, sei das eine Jugendbewe­gung, während es im Klimacamp um „BürgerInne­nversammlu­ngen“und zivilen Ungehorsam gehe. Er selbst sei „fassungslo­s“, dass so wenig für den Klimaschut­z passiert. Auch am Potsdamer Platz sind viele Demonstran­ten überzeugt, dass das Klimapaket der Bundesregi­erung und der Streit darüber die Diskussion­en eher anfache – und ihre Bewegung verstärke.

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FOTO: IMAGO IMAGES Protest am Großen Stern: Klimaaktiv­isten von Extinction Rebellion haben am Montag in Berlin einige wichtige Straßen blockiert.
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FOTO: DPA Angela Merkel und Winfried Kretschman­n zu Besuch in Sinsheim.

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