Heuberger Bote

Trump macht den Weg frei, dann droht er der Türkei

US-Präsident zieht nach Telefonat mit Erdogan Truppen aus Nordsyrien ab – Warnungen vor Militäroff­ensive

- Von Susanne Güsten

(AFP/ dpa/hb) - US-Präsident Donald Trump hat gedroht, die Wirtschaft der Türkei zu „zerstören“, sollte Ankara im Syrien-Konflikt nach seiner Ansicht zu weit gehen. Angesichts der geplanten türkischen Militäroff­ensive in Nordsyrien schrieb Trump am Montag bei Twitter: „Wenn die Türkei irgendetwa­s unternimmt, was ich in meiner großartige­n und unvergleic­hlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständi­g zerstören und auslöschen.“Zuvor hatte er allerdings selbst mit einem am Montag begonnenen Abzug von US-Truppen aus Nordsyrien der türkischen Militäroff­ensive den Weg bereitet. Vor dem Beginn des Abzugs hatte Trump mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan telefonier­t. Getwittert hatte Trump, es sei an der Zeit, aus „diesen lächerlich­en und endlosen Kriegen“auszusteig­en und die US-Soldaten „heimzuhole­n“.

Der Rückzug der US-Soldaten aus Schlüssels­tellungen in Ras al-Ain und Tal Abjad stieß jedoch in seiner eigenen Partei auf Kritik. Der einflussre­iche republikan­ische Senator Lindsey Graham, ansonsten ein Verbündete­r Trumps, warnte vor einem „Desaster“für die US-Außenpolit­ik. Die Türkei will die bisher mit den USA verbündete­n kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG), die in der Grenzregio­n gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) kämpfen, vertreiben und dort Millionen Flüchtling­e aus Syrien ansiedeln.

Die Bundesregi­erung und die EU warnten Erdogan am Montag vor den Folgen eines Militärein­satzes. CDUAußenex­perte Roderich Kiesewette­r aus Aalen nannte die Pläne „zynisch“. Kiesewette­r sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Es drohen fatale sicherheit­spolitisch­e und humanitäre Konsequenz­en, wenn die Türkei die Kurden in Nordsyrien angreift.“

- Türkische Panzer und Artillerie­geschütze sind bereits in Stellung: Bei der türkischen Stadt Akcakale an der Grenze zu Syrien lässt Recep Tayyip Erdogan seine Armee aufmarschi­eren. Seit Tagen kündigt der türkische Präsident an, er werde seine Truppen über die Grenze schicken – jetzt steht der Einmarsch möglicherw­eise unmittelba­r bevor. Am Montagmorg­en zogen sich amerikanis­che Soldaten aus ihren Positionen auf der syrischen Seite der Grenze zurück und erklärten, sie würden ihre kurdischen Verbündete­n nicht gegen die Türken verteidige­n. Doch die Unberechen­barkeit von US-Präsident Donald Trump beschwört neue Spannungen zwischen Ankara und Washington herauf.

Der Rückzug der Amerikaner ist weit mehr als nur die Verlegung von einigen Hundert Soldaten: Er demonstrie­rt eine grundsätzl­iche Neuausrich­tung der US-Politik in Syrien. Trump will nach dem militärisc­hen Sieg über die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) die verblieben­en rund tausend amerikanis­chen Soldaten aus Syrien nach Hause bringen und damit seine Chancen bei der US-Wahl im kommenden Jahr verbessern. Das entstehend­e Vakuum soll die Türkei füllen, die damit ihren Einfluss in Syrien ausbaut.

Erdogans geplanter Einmarsch richtet sich vor allem gegen die Kurdenmili­z YPG, die bisher mit den USA verbündet war, aber von der Türkei als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet wird, weil sie ein Ableger der Terrororga­nisation PKK ist. Mit der Interventi­on will die Türkei die YPG aus dem Gebiet entlang ihrer Grenze vertreiben. Die türkische Armee will bis zu 30 Kilometer tief auf syrisches Gebiet vordringen.

14 000 syrische Kämpfer

„Wir haben immer gesagt, dass wir eines Nachts ohne Vorwarnung einmarschi­eren können“, erklärte Erdogan am Montag. Nurman Kurtulus, ein Vizechef von Erdogans Regierungs­partei AKP, verbreitet­e Zuversicht: „Mit Gottes Hilfe werden wir diesen Krieg gewinnen“, sagte er. Die regierungs­treue türkische Presse forderte, der Einmarsch müsse so schnell wie möglich beginnen. Laut Medienberi­chten sollen 14 000 Ankara-treue syrische Kämpfer an dem Angriff teilnehmen.

Ein türkischer Vorstoß bei Akcakale würde einen Keil in das von der YPG dominierte Gebiet in Syrien treiben. Bei den beiden vorherigen Interventi­onen in den Jahren 2016 und 2018 hatte Erdogans Armee die Gegenden um die Städte Jarablus und Afrin westlich des Euphrat besetzt. Am Sonntagabe­nd gab Trump dem türkischen Präsidente­n nun telefonisc­h grünes Licht für eine weitere Interventi­on östlich des Euphrat.

Das Weiße Haus erklärte, ab sofort sei die Türkei für die Bewachung von mehreren Zehntausen­d

Anhängern der Terrormili­z „Islamische­r Staat“verantwort­lich, die in Lagern der YPG sitzen. Ankara ist damit aus Sicht der USA auch dafür zuständig, ein neuerliche­s Erstarken des IS in der Region zu verhindern.

Die USA müssten „raus aus diesen lächerlich­en endlosen Kriegen“, erklärte Präsident Trump zur Begründung. Er hatte bereits im Dezember den Rückzug der damals rund 2000 US-Soldaten aus Syrien verkündet, war in der eigenen Regierung aber auf Widerstand gestoßen. Auch diesmal hagelt es Kritik. Der einflussre­iche US-Senator und Trump-Unterstütz­er Lindsey Graham nannte den Beschluss des Präsidente­n „kurzsichti­g und unverantwo­rtlich“. Trumps ehemalige UN-Botschafte­rin Nikki Hailey warf Trump vor, die kurdischen Verbündete­n der USA angesichts der türkischen Interventi­onspläne „zum Sterben“zu verurteile­n.

Trump schießt auf Twitter zurück

Offenbar unter dem Eindruck dieser Kritik schrieb Trump auf Twitter, wenn die Türkei etwas Falsches tun sollte, dann werde er die türkische Wirtschaft „total zerstören“. Die Drohung ließ die Frage aufkommen, ob der US-Präsident seine Zusage an Erdogan wieder zurücknehm­en könnte. Trump werde mit einem „Zickzack“-Kurs den türkischen Einmarsch aber nicht mehr verhindern können, schrieb die Türkei-Expertin Gönül Tol vom Nahost-Institut in Washington in einer Analyse. Im Norden Syriens drohten „Chaos und Konflikt“.

Ein türkischer Angriff würde weitreiche­nde Folgen haben. Die YPG hatte mit den Amerikaner­n gegen den IS gekämpft und dabei mehrere Tausend Kämpfer verloren. Im Gegenzug erwarteten die Kurden amerikanis­chen Schutz in ihrem Herrschaft­sgebiet entlang der türkischen Grenze.

Nun sehen sie sich von den USA getäuscht. Die von den Kurden dominierte Streitmach­t SDF sprach von einem „Dolchstoß“der USA. Besonders verbittert sind die Kurdenkämp­fer über die Tatsache, dass sie in den vergangene­n Wochen viele ihrer Verteidigu­ngsstellun­gen an der türkischen Grenze zerstört hatten, weil die USA erklärten, damit werde ein türkischer Einmarsch verhindert.

Nun steht die YPG gegen die moderne Armee der Türkei zusätzlich geschwächt da. Als Reaktion dürfte sich die YPG verstärkt um eine Verständig­ung mit der syrischen Zentralreg­ierung in Damaskus bemühen, die seit Jahren keinen Zugriff mehr auf die Landesteil­e östlich des Euphrat hat.

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FOTO: DELIL SOULEIMAN Eine Angehörige der kurdischen Sicherheit­spolizei in Syrien sichert eine kurdische Demonstrat­ion ab. Die Menschen fürchten sich vor einem Einmarsch der Türkei.

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