Hoffnung im Kopf
Andreas Kruse nimmt im Montagsforum des Ravensburger Humpis-Quartiers dem Alter etwas von seinen Schrecken
- Was könnte einem Vortrag über die Verletzlichkeit im Alter mehr Relevanz verleihen als ein Zuhörer, der ebendiese Verletzlichkeit zeigt? Während Altersforscher Andreas Kruse im Museum Humpis-Quartier im Rahmen des Montagsforums vor 140 teils faszinierten, teils ergriffenen Menschen seine Weltsicht – vor allem aber seine hoffnungsfrohe Perspektive auf das Altern – vermittelt, passiert es plötzlich: Ein Herr erleidet eine kurze Ohnmacht. Und vermutlich wird von Kruses Vortrag dieses Bild am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben: Menschen bemühen sich um einen Mitmenschen, helfen, beruhigen, sind da. Nicht ahnend oder fragend, was zum Schwächeanfall geführt haben mag – und dessen Ursache sich später rasch aufklärt.
Zuvor hat es nicht viel Zeit gebraucht, bis Andreas Kruse – hochangesehener Forscher mit Schwerpunkt Alter und Alterspsychologie der Universität Heidelberg – die Erwartungshaltung seines hellhörigen Publikums schon Minuten nach Beginn seines Vortrags auf den Kopf gestellt hat. Denn wer darauf gefasst war, unter dem Titel „Alter zwischen Verletzlichkeit und Reife“einen larmoyanten Abgesang auf das, was mit fortschreitenden Jahren alles verloren geht, zu hören, sah sich maximal getäuscht: Der mit 64 Jahren selbst auch nicht mehr als junger Kerl durchgehende Kruse übte sich in der Kunst des Mutmachens. Nicht etwa, weil sein durchaus an Jahren und Geist reifes Publikum so etwas gern hört – sondern aus tiefer Überzeugung, dass sich jenseits der 60 keineswegs nur düstere Wolken am endlicher werdenden Horizont des Lebens auftürmen. Aus wissenschaftlicher Erfahrung heraus, sprich mit dem Optimismus der Faktenlage.
Zum Fundament seiner Überlegungen machte Andreas Kruse ein Gedicht von Joseph von Eichendorff: „Mein Gott, dir sag ich Dank / Daß du die Jugend mir bis über alle Wipfel / In Morgenrot getaucht und Klang / Und auf des Lebens Gipfel / Bevor der Tag geendet / Vom Herzen unbewacht / Den falschen Glanz gewendet / Dass ich nicht taumle ruhmgeblendet / Da nun herein die Nacht / Dunkelt in ernster Pracht.“ Immer wieder auf die Zeilen rückbeziehend, berichtete Kruse von seiner Forschungsarbeit, von deren Ergebnissen er selbst oft am meisten überrascht sei. „Zum Beispiel diese Untersuchung: Wir haben eigentlich geglaubt, dass Menschen im Alter, die mit starken Einschränkungen, teils sehr starken Schmerzen, leben müssen, anfälliger sind für Depressionen. Aber das geben die Ergebnisse unserer Forschung nicht her.“Vielmehr existierten Faktoren, die trotz solcher Hürden die Lebenszufriedenheit und den Lebensmut aufrechterhalten könnten.
Glück und Zufriedenheit trotz solcher Zustände? Teils ungläubige Gesichter im Publikum. Und wieder von Eichendorff: „Den falschen Glanz gewendet.“Des Rätsels Lösung, die auch in der Gedichtzeile steckt, sich gerade in späteren Lebensphasen – ganz egal ob gebrechlich oder mopsfidel – den wichtigen Dingen zuzuwenden und jene Quellen der Lebenszufriedenheit anzuzapfen, die mit Materiellem nichts zu tun haben. „Dazu zählt, dass Menschen ihre Aufgabe im Leben kennen.“Egal ob sie sich diese Aufgabe selbst schafften oder sie etwa im Kreise von Familie oder Ehrenamt wahrnähmen. „Diese Leute haben höhere Wohlbefindenswerte“, stellte Kruse klar. „Ein Ergebnis, das uns besonders nachgegangen ist.“Damit ist für den Gerontologen klar: Die Widrigkeiten des Alters mögen mitunter groß, ja sogar erdrückend sein – Haltung und Selbstwahrnehmung als Teil eines lebendigen Ganzen können aber in jeder Lebensphase stärker sein als jede Einschränkung. „Es liegt an uns selbst.“
Angst vor Demenz
Wichtige Elemente der Lebenswirklichkeit im Alter seien außerdem Hang und Fähigkeit zur Selbstreflexion. „Sich klar zu werden über das eigene Leben.“Was habe ich erreicht, woran bin ich gescheitert? Was kann ich tun, um mich auch jetzt noch weiterzuentwickeln? „Oft wird für das Alter das Bild der Nacht benutzt.“Aber wann, wenn nicht nachts, könne man die Sterne klarer und heller funkeln sehen?
In der Fragerunde, die Moderatorin Ulrike Felder-Rhein leitete, zeigten sich trotz der heiteren Leichtigkeit von Kruses Vortrag, die realen Ängste, die mit dem Alter verbunden sind – insbesondere vor Demenz. Und die Furcht, seiner kognitiven Fähigkeiten beraubt zu sein. „Die Vorstellung, dass ich meine eigenen Kinder nicht mehr erkenne“, sagte eine Zuhörerin und brach ihren Satz ab. Aber auch bei diesem höchst angstbesetzten Thema zeigte Kruse auf die Dinge, die in dem Zusammenhang die Befürchtungen abmildern: „Es gibt wirkungsvolle Trainings und gute Medikamente, um die symptomfreie Phase deutlich zu verlängern.“Auch hier gelte es, Dinge anzunehmen und frühzeitig zu gestalten. „Wie möchte ich mein Leben führen, wenn ich demenziell erkrankt bin?“Keine leichten Fragen, die man mit sich selbst und dem Umfeld klären müsse. „Auch hier bleibt unerlässlich, nicht zu vergessen, dass auch diese Krankheit gestaltbar ist.“Den richtigen Moment dafür zu finden, ermögliche es – auch das zeigten Kruses Forschungen – Lebensqualität trotz Demenz zu bewahren.
Übrigens: Der Schwächeanfall des Zuhörers hatte keine lebensbedrohliche Ursache und ist kein Grund, die Verletzlichkeit des Alters überzubewerten – zumal er auch einen 25-Jährigen hätte ereilen können.