Mit diesem Joker ist nicht zu spaßen
Hass, Wut und Soziopathie: Todd Phillips preisgekrönter Film ist Zeitgeist-Kino
Eine Comic-Verfilmung, die aussieht wie Autorenkino. Als Todd Phillips Film „Joker“vor vier Wochen beim Filmfestival von Venedig den Hauptpreis, den Goldenen Löwen, gewann, hat das viele überrascht, und einige erzürnt. Kann man einen 55 Millionen Dollar teuren Hollywoodfilm überhaupt mit den knappen Budgets des internationalen Kunstfilms vergleichen? Auch in den USA ist er schon vor seinem Start umstritten: Manche werfen ihm vor, er legitimiere Gewalt oder animiere sogar zu ihr. Zugleich gilt er schon jetzt als einer der Favoriten auf die nächsten Oscars. Nun kommt „Joker“in die deutschen Kinos.
Die Zeiten sind nicht gut. Jedenfalls nicht, wenn man das Kino ernst nimmt als Zeugnis unserer Kultur und ihres Zeitgeists. Dieser Film beginnt mit Medien. In den Nachrichten geht es um den Zustand von Gotham City: Alles sei vermüllt, „selbst die reichsten Gegenden sehen aus wie Slums“. Das nächste Bild zeigt dann die Hauptfigur vor einem Spiegel. Die Finger greifen in seinen Mund, ziehen die Mundwinkel erst nach unten, danach nach oben. Joker, der im Leben Arthur heißt, ist in fast jedem Bild dieses Films zu sehen. Alles ist ganz und gar aus seiner Sicht erzählt, sogar im doppelten Sinn, denn dem, was wir hier sehen, ist nicht immer zu trauen. Sein Lachen ist ein Weinen und sein Weinen ist ein Lachen – ein Wesen am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Arthur möchte witzig sein und Comedian werden, das klappt aber nicht. Er ist voller Selbstmitleid. Er möchte seine Medikamentendosis heraufgesetzt bekommen, denn er ist krank. Arthur hat eine Visitenkarte bei sich, die er Passanten reicht, wenn es mal wieder nötig ist. Auf der steht etwas von einer Gehirnoperation und unkontrollierbarem Lachen, einer Krankheit – ob das eine Wahnvorstellung ist, bleibt offen. Er wohnt nach wie vor bei seiner Mutter in einem ziemlich heruntergekommenem Sozialbau. Abends schaut man zusammen fern. Sein eigenes Leben entgleitet Arthur immer mehr, und irgendwann beginnt sein Amoklauf. Er tötet drei Yuppies, weitere Morde folgen, das findet Sympathisanten und Nachahmer, eine Bürgerbewegung von Menschen mit Clownsmasken bildet sich.
Nun kommt ein anderer Erzählstrang hinzu: Auftritt Thomas Wayne, von dem Batman-Erfahrene wissen, dass er der Vater von Bruce Wayne/Batman ist. Hier ist er zunächst mal ein arroganter Reicher. Wayne nennt die Armen, die Erniedrigten und Beleidigten „Clowns“. Eigentlich ist Joker die schillerndste Figur des Batman-Universums, außer Batman selbst natürlich. Joker ist mehr als nur ein Gegenspieler des Helden. Er ist eine Institution für sich selbst. Ein Horror-Clown. Ein Unternehmer des Wahnsinns. Er ist aber auch ein Zeichen für die Bosheit des Humors. Diese Joker-Figur ist interessant, weil sie über das Private hinausgeht. In diesem Film aber regiert die Tyrannei der Intimität.
Insofern ist dies ein ZeitgeistFilm. Denn es ist der Zeitgeist, der behauptet, dass jeder ein Opfer sei, noch der nihilistischste Verbrecher. Krankheit und Trauma allerorten – das Böse aber gibt es nicht und persönliche Verantwortung verdampft vor der sozialen Katastrophe. Das passt zum Zeitgeist und mag manche kranke Seele beruhigen. Ein Erkenntnisgewinn ist es so wenig, wie einer für die Gesellschaft.
Die Säule, auf der dieser Film ruht, ist Hauptdarsteller Joaquin Phoenix. Man muss Phoenix’ exaltiertes Spiel nicht mögen, übersehen kann man es nicht. Was den Film moralisch wie ästhetisch aber problematisch macht, ist, dass hier ein gewalttätiger, psychopathischer Wutbürger zum Ventil der Erleichterung des Publikums wird. Joker ist ein Held für alle destruktiven Charaktere.