Ein Hilferuf per Video
Nach Abschiebung melden sich Gylten und Gylije Tahiri – Große Unterstützung für Schwestern
- Im Hintergrund sind Autos zu hören. Gylten und Gylije Tahiri, die vor zwölf Tagen aus Tuttlingen und Neuhausen ob Eck nach Serbien abgeschoben worden sind, stehen scheinbar an einer Tankstelle. „Wir haben Angst“, sagt Gylten Tahiri (23 Jahre), die wie ihre 22-jährige Schwester vor 20 Jahren als Kleinkinder aus dem Kosovo nach Deutschland kamen. In einem Video im Internet bitten sie um Hilfe.
„Wir wurden abgeschoben aus Deutschland in ein fremdes Land“, sagt die ältere der beiden Frauen. In Serbien könnten sie sich nicht verständigen können. „Wir können diese Sprache nicht“, erklärt Gylten Tahiri. Die Frauen müssen momentan auf der Straße leben. „Wir waren eine Nacht in einem Hotel. Dort wurden wir rausgeschmissen, weil wir kein Geld haben.“Nachts schlafen sie – ihren Schilderungen im Videos zufolge – hinter Containern, werden von Hunden verfolgt und müssen sich vor Männern verstecken. „Sie sind hinter uns hergerannt und wollten uns mitnehmen.“
Obwohl das Mobiltelefon von Gylije, die ausgerechnet am Montag 22 Jahre alt geworden ist, gestohlen wurde, haben es die Frauen noch geschafft, ein Video ins Internet zu posten. Und der Hilferuf ist angekommen. Im Internet äußern viele Nutzer ihr Unverständnis für die Abschiebung und kündigen ihre Unterstützung an. Eine Petition ist bereits gestartet worden. Eine Demonstration ist geplant. „Wer hier arbeitet, wohnt und sich nichts zu schulden kommen lässt, soll bleiben dürfen“, meint Facebook-Nutzer Markus Breinlinger.
Auch die Arbeitgeber der Schwestern machen sich für eine Rückkehr der Frauen stark, haben jeweils eine feste Anstellung in Aussicht gestellt. „Gylije hatte bisher nur einen befristeten Vertrag bei uns. Wir haben nun einen unbefristeten Vertrag ausgestellt“, sagt Marc Schneckenburger, Geschäftsführer der gleichnamigen Tuttlinger Bäckerei. „Wir hoffen, dass dies die Wiedereinreise erleichtert.“Schließlich sei Gylije Tahiri eine gute Arbeitskraft gewesen. „Sie war von allen Kollegen und Kunden geschätzt – offen, freundlich und ehrlich“, erklärt er. Alle Mitarbeiter im Betrieb wären nach der Abschiebung geschockt gewesen. „Wir können die Abschiebung nicht nachvollziehen. Sie spricht perfektes Deutsch. Mehr Integration geht eigentlich nicht“, meint Schneckenburger.
Auch der Arbeitgeber von Gylten will sie unterstützen. Ein Bekannter von ihr, der zusammen mit ihr in einer Trossinger Casino arbeitet, sagt, dass man ein Arbeitsvisum für sie beantragen wolle. Ein Gespräch mit der Betreiberin der Spielhalle war der Redaktion nicht möglich. Eine schnelle Wiedereinreise ist aus Sicht des baden-württembergischen Innenministerium vorerst ausgeschlossen. „Es gibt keine Möglichkeit, dass eine rechtmäßige Abschiebung rückgängig gemacht werde“, sagt Ministeriumssprecher Carsten Dehner. Dies liege an der Wiedereinreisesperre, die auch im Fall der Tahiri-Schwestern greifen würde und mindestens ein Jahr gilt. Danach bestehe die Möglichkeit, ein Arbeitsvisum zu beantragen. Auch das Vorliegen eines Arbeitsvertrages werde an der Situation nichts ändern.
„Wenn Menschen abgeschoben werden, die seit 20 Jahren in Deutschland leben und hier auch aufgewachsen sind, wirft dies für mich immer Fragen auf“, sagt Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck auf Anfrage unserer Zeitung. Er hat sich mit dem Fall der beiden Schwestern noch einmal eingehend befasst hat. Weil aber nur Gylije Tahiri in Tuttlingen gemeldet ist, habe er nur zu ihrer Situation Informationen.
Beck meint, dass es über sie neue Erkenntnisse gebe, die „weder dem Regierungspräsidium noch unserer Ausländerbehörde vorlagen.“Aus den Unterlagen sei nicht hervorgegangen, dass Gylije Tahiri seit knapp einem Jahr berufstätig sei und ihr Arbeitgeber ihr mittlerweile einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorgelegt habe. „Leider hat die junge Frau uns dies nie mitgeteilt. Denn vor diesem Hintergrund ist die Abschiebung noch fragwürdiger“, sagt Beck. Er werde dies bei den entsprechenden Stellen vorbringen und hoffe, „so dazu beizutragen zu können, dass die beiden Schwestern schon bald nach Deutschland zurückkehren können.“
Hans-Jürgen Osswald, Bürgermeister von Neuhausen ob Eck, setzt sich ebenfalls für die Wiedereinreise der Schwestern ein. Er kennt eine der beiden Frauen „flüchtig“aus seiner Gemeinde. Zwar sagt er, dass bei der Abschiebung sicher „alles im Rahmen des geltenden Rechts“abgelaufen sei und möglicherweise Unterlagen von Seiten der Tahiris nicht eingereicht worden seien. Manchmal sei die Umsetzung des Rechts aber auch unvernünftig. Für Osswald ist es der Beweis, einer „unglücklichen Abschiebung. Für mich sieht das etwas nach Quotenerfüllung aus“, meint Neuhausens Bürgermeister. Oft, erläutert er, würde es die Falschen treffen. „Wer ist am leichtesten abzuschieben? Die, die in Lohn und Brot stehen und die man in der Wohnung antrifft.“
In ihrem Video bitten Gylten und Gylije Tahiri, dass es einem Bruder erlaubt werde, sie wieder nach Deutschland abzuholen. „Wir haben keine Kraft mehr, wir wissen nicht mehr wohin“, erklärt die ältere der Schwestern.