Ärger um Retouren
Auf einem Batteriekongress erhält Stanley Whittingham den Anruf aus Stockholm
Warum viele Händler zurückgesandte Waren vernichten
- Congress Centrum Ulm am Mittwochvormittag: Der Forscher Stanley Whittingham hält gerade vor Kollegen aus Wissenschaft und Forschung einen Vortrag über moderne Akkus, als sein Handy klingelt. Whittingham drückt das Gerät einer Organisatorin in die Hand. Später sagt er: „Ein wichtiger Anruf aus Stockholm, hieß es. Da habe ich mir gleich so etwas gedacht.“Am anderen Ende: tatsächlich das Nobelpreiskomitee.
Erst als der Brite nach seinem Vortrag den Raum verlässt, bekommt er den Apparat in die Hand gedrückt. Und er erfährt, dass er einer der drei diesjährigen Nobelpreisträger für Chemie ist. Er teilt sich den Preis mit dem US-Amerikaner John Goodenough und dem Japaner Akira Yoshino. In Ulm nimmt Whittingham am Mittwoch an einer internationalen Konferenz für die Entwicklung hochentwickelter Lithium-Batterien teil, die Fachwelt hat sich versammelt.
Ihn erreicht die Nachricht ausgerechnet in der Stadt, in der in mehreren Einrichtungen erfolgreich für leistungsstarke Batterien geforscht wird. Der Nobelpreisträger kommentiert: „Das ist doch angemessen, oder?“Dass die Donaustadt allerdings bei der Vergabe von Fördermillionen für eine Batterieforschungsfabrik vom Bundesforschungsministerium zugunsten von Münster übergangen wurde, entbehrt an diesem Tag nicht einer gewissen Ironie.
Der studierte Chemiker Whittingham, 1941 in Nottingham (Großbritannien) geboren, lebt seit 1968 in den USA. 1972 fing er beim Ölkonzern Exxon an, das Potenzial von Lithium-Batterien zu erforschen und entwickelte die ersten funktionsfähigen, aber auch noch explosionsanfälligen Stromspeicher auf Lithium-Basis. In seiner ersten offiziellen Rede als Nobelpreisträger, die er direkt und spontan auf dem Podium im Ulmer Congress Centrum hält, hebt er die Leistungen des Ölkonzerns hervor. Dieser habe hohe Summen für die Batterieforschung bereitgestellt.
Seit 1988 arbeitet Whittingham an der Binghamton University im USBundesstaat New York. Auf der Grundlage seiner Arbeiten forschten die beiden anderen Nobelpreisträger, Goodenough und Yoshino weiter. Goodenough entwickelte 1980 wesentlich leistungsstärkere Batterien durch die Verwendung von Lithiumcobaltoxid (LCO). Yoshino schuf 1985 das erste kommerziell verwertbare Produkt. 1991 kam die Batterie auf den Markt.
Für das Nobelpreis-Komitee war mitentscheidend, dass Lithium-Ionen-Batterien zur Eindämmung des Klimawandels beitragen könnten. Sie könnten Solar- und Windenergie speichern und so eine Welt frei von fossilen Kraftstoffen möglich machen. „Lithium-Ionen-Batterien haben unser Leben revolutioniert, seit sie 1991 auf den Markt kamen“, schreibt das Komitee. „Sie haben die Grundlage gelegt für eine drahtlose, von fossilen Brennstoffen freie Gesellschaft und sind für die Menschheit von größtem Nutzen.“
Vielfältige Anwendungen
Heute sind Lithium-Ionen-Akkus leicht, wiederaufladbar und stark. Sie werden in zahlreichen Alltagsprodukten eingesetzt, etwa in Handys, Laptops, Bohrmaschinen und Elektrofahrzeugen. Zwar sind andere Technologien in der Entwicklung, der klassische Lithium-Ionen-Akku dürfte aber noch längere Zeit tonangebend sein. Wie lange, das kann aber selbst Whittingham nicht sagen, wie er in Ulm verrät. Erst kürzlich hatte VW bekannt gegeben, in Salzgitter eine Fabrik für Lithium-IonenBatterien bauen zu wollen.
Zurück nach Ulm. „It means a lot!“, sagt Stanley Whittingham der „Schwäbischen Zeitung“nach der Bekanntgabe, „das bedeutet viel!“Er scheint die Auszeichnung immer noch nicht so ganz fassen zu können. Dass er nun unter den Nobelpreisträgern sein würde, habe er zwar nicht erwartet, jedoch geahnt. Immerhin sei er schon einmal nominiert gewesen. Als er 2015 in einem Interview gefragt wurde, wie der Preis sein Leben verändern würde, sagte er: „Keine
Ahnung. Meine Frau wäre grummelig. Ich würde vermutlich noch mehr reisen als ich es ohnehin schon tue.“Wie seine Ehefrau auf die Nachricht aus Stockholm reagiert, weiß Whittingham an diesem Mittwochmittag nicht: „Mit meiner Familie konnte ich noch nicht sprechen, die schlafen noch.“Auch mit seinen Kollegen kann er seine Freude noch nicht teilen, zu groß ist die Hektik nach der Bekanntgabe der Nobelpreisehrung.
Im Congress Centrum muss er viele Hände schütteln, seine Forscherkollegen kommen auf ihn zu, spenden stehend Applaus. Eigens werden ein paar Dutzend Flaschen Sekt aufgefahren. Es ist kurz vor 14 Uhr: Die Forscher erheben ihr Glas auf Whittingham. Wie es für ihn weitergeht, weiß der 77-Jährige noch nicht. „Alles was ich im Moment weiß, ist, dass ich gleich morgen früh zurück in die USA fliege.“