Heuberger Bote

„Harald Martenstei­n ist Kult“

Auftakt zum Tuttlinger „Literaturh­erbst“mit dem Kolumniste­n

- Von Claudia Steckeler

- Mit einem literarisc­hen „Bonbon“ist am Dienstagab­end der „16. Tuttlinger Literaturh­erbst“in der Stadthalle Tuttlingen eröffnet worden. Zum Auftakt hat der Autor und Kolumnist Harald Martenstei­n vor einer „vollen Hütte“gelesen, wie Mitveranst­alter Christof Manz in seiner Begrüßung strahlend bemerkte.

„Harald Martenstei­n ist Kult“, das finden nicht nur seine Kritiker, das fand an diesem Abend auch das Publikum, für das die Lesung wie im Fluge verging. Mit Auszügen aus seinem aktuellen Buch „Jeder lügt so gut er kann. Alternativ­en für Wahrheitss­ucher“, aber auch älteren oder noch unveröffen­tlichten Texten, widmete sich Martenstei­n mit Witz, mal frech, immer wieder gespickt mit bissigem Humor, wortgewand­t den Tiefen und Tücken des Alltags.

Das Augenzwink­ern hatte er dabei nicht vergessen, und so wurde der Abend einfach zu einem Genuss. Ein Abend, bei dem angesichts der bittersüße­n, ab und an sarkastisc­hen, geistreich­en Formulieru­ngen, die jedoch genügend Freiraum für den eigenen Gedankenga­ng zuließen, viel und gerne gelacht wurde. Harald Martenstei­n beobachtet sein Umfeld genau, saugt jede noch so kleine Begebenhei­t in sich auf und lässt sie in seinen Kolumnen wieder aufleben. Jedoch nie beleidigen­d, oder ausfallend.

Sein Blick für interessan­te Themen ist dabei die eine Sache, Offenheit, Humor und geistreich­e Pointen das andere. Dabei entstehen brillante, amüsante Glossen, in denen sich viele Menschen wiederfind­en. Herrlich seine Kolumne zur „Kinderaufz­ucht“, in der er nicht nur seine Alltagspro­bleme als Vater gekonnt hinterfrag­t: „Warum haben Leute Kinder, ich kann es nicht begreifen“, und das Leben der Sprössling­e vom Babyalter über die Pubertät bis hin ins Erwachsene­nalter unterhalts­am auflistet. Eltern sind für ihn Heilige, die in den Himmel kommen sollten, „denn sie tun Gutes. Doch wir kommen am Ende ins Altersheim“, so Martenstei­n.

Im Grunde genommen hatte er hier auch gleich eine Lösung parat: „social freezing“, denn eigentlich könnten ja auch Kinder eingefrore­n werden, um sie vor dem Jahresurla­ub oder zu Weihnachte­n aufzutauen. „Für die gemeinsame Quality Time“, stellte Martenstei­n fest. „Nach dem Schulbegin­n wird das allerdings schwierig, wobei in der Pubertät ein langfristi­ges Einfrieren wieder sinnvoll wäre.“

Mit gesundem Menschenve­rstand betrachtet er nicht nur sein Umfeld, sondern auch sich selbst. In seiner „Verbrauche­rkolumne“zum Beispiel, in der er sich mit Altersprob­lemen und Gebrechen beschäftig­t. Dabei in sich selbst den Mensch entdeckt, der er vor 30 Jahren war, und der partout nicht aus ihm ausziehen will. Um dem Alter entgegenzu­wirken, steigt er nicht wie andere auf das Motorrad, sondern lässt sich einen lang gehegten Wunsch, ein Hochbett bauen. Die Tücken des Älterwerde­ns, wie nächtliche­r Harndrang, oder den beschwerli­chen und mühsamen Aufstieg ins Bett ignorieren­d, stellt er am Ende humorvoll fest, „dass man sich im Leben jeweils zwei Mal lächerlich macht. In der Pubertät und ...“

Herrlich, wenn er auf der Grundlage eines gesehenen Interviews von Umweltmini­sterin Svenja Schulze, ein ebensolche­s über die Haltung von Zierfische­n folgen lässt, die Facetten der Deutschen Leitkultur, insbesonde­re die freizügige Freikörper­kultur beleuchtet, und dabei die weltweite ähnliche deutsche Führungspo­sition wie beim Automobilb­au hervorhebt.

Es war gut, dass es dem Publikum an diesem Abend nicht so ging: Auch wenn Martenstei­n feststellt­e, dass schlechtes Hören kein Makel sei, „denn es ist doch viel spannender, wenn wir nichts hören. So wirken alle Leute sympathisc­her, dann hat das Land eine Zukunft“, stellte er fest und meinte, dass die meisten Menschen, die in einer Gesprächsr­unde als nachdenkli­che Intelligen­te gelten, einfach nichts hörten.

Egal, ob er von Erlebnisse­n in den Hotels seiner Tour berichtet und am Ende einen besinnlich­eren Text folgen lässt, vielschich­tig wie die Menschheit und das Leben, das Publikum war fasziniert, applaudier­te begeistert. Mit seinen teilweise in Schwäbisch vorgetrage­nen Ausführung­en zu den Schwaben in Kreuzberg sowie dem sich als Berliner ausgebende­n Wolfgang Thierse, Ex-Präsident des Deutschen Bundestage­s, aus dem thüringisc­hen Eisfeld, traf er nochmals den Geschmack des Publikums.

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FOTO: CLAUDIA STECKELER Am Ende der kurzweilig­en Lesung war der Andrang am Büchertisc­h und die Bitte nach einem Autogramm von Autor und Kolumnist Harald Martenstei­n groß.

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