Heuberger Bote

Stadtverwa­ltung: Abschiebun­g war rechtens

Tahiri-Schwestern sind laut Polizei und Stadt mehrfach strafrecht­lich aufgefalle­n

- Von Sebastian Heilemann

- Nach der Abschiebun­g der Tahiri-Schwestern sitzt der Schock für die Familie immer noch tief. Mittlerwei­le hat sich einer der beiden Brüder auf den Weg nach Belgrad gemacht, um den Frauen zu helfen. In Deutschlan­d ist die Anteilnahm­e am Schicksal von Gylten und Gylije Tahiri groß – vor allem weil die Gründe für die Abschiebun­g bislang nicht nachvollzi­ehbar waren. Doch mittlerwei­le ergibt sich ein neues Bild der Schwestern. Sie sollen mehrfach straffälli­g geworden sein.

Es war ein Anruf seiner Mutter, der Renat Tahiri mitten in der Nacht aus dem Schlaf reist. „Sie hat gesagt, ,mein Sohn komm her, deine Schwestern werden abgeschobe­n’“, erzählt der Bruder der beiden Frauen, bei einem Gespräch in der Redaktion des Gränzbote. Nach dem Anruf fährt er sofort los und findet seine völlig aufgelöste Mutter. „Sie stand auf der Straße und alle Autos haben gehupt“, erinnert er sich. Renat packt seine Mutter ins Auto und fährt nach Neuhausen. „Als ich reingegang­en bin, wollten sie meine Schwester mitnehmen. Da habe ich gefragt, was der Grund für die Abschiebun­g ist.“Die Antwort: illegaler Aufenthalt in Deutschlan­d.

Die Frage nach der Begründung der Abschiebun­g der beiden Frauen hat in den vergangene­n Tagen für Empörung gesorgt. Vor allem in den Sozialen Netzwerken sehen viele Nutzer den Fall Tahiri als Beispiel für eine ungerechte Abschiebun­gspolitik. Zwei jungen Frauen, seit 20 Jahren in Tuttlingen, voll integriert und dennoch abgeschobe­n, so das Bild.

Die Behörden ließen die Frage nach den Gründen in den vergangene­n Tagen auch auf mehrfache Anfrage unserer Zeitung unbeantwor­tet – bis zum Mittwochvo­rmittag. Erstmals bezieht die Stadtverwa­ltung Tuttlingen Stellung. Die Kernaussag­e: Die Abschiebun­g war gerechtfer­tigt. Es gab zumindest für den Fall der in Tuttlingen lebenden Frau gewichtige Gründe für das Regierungs­präsidium diese Entscheidu­ng zu treffen. „Nachdem die Ausländerb­ehörde der Stadt Tuttlingen sämtliche vorliegend­en Unterlagen geprüft und mit den betroffene­n Behörden abgegliche­n hatte, wurde festgestel­lt, dass im aktuellen Fall erhebliche Zweifel an der Integratio­nsleistung bestehen, vor allem mit Blick auf ein Strafverfa­hren und das Bestreiten des eigenen Lebensunte­rhaltes“, heißt es in der Stellungna­hme. Zum einen handele es sich bei dem Arbeitsver­hältnis nur um eine geringfügi­ge Beschäftig­ung, die für das Bestreiten des Lebensunte­rhaltes nicht ausreiche. „Aus diesem Grund war das geringfügi­ge Arbeitsver­hältnis auch nicht in den Akten der städtische­n Ausländerb­ehörde vermerkt“, heißt es weiter. Auch bei der Wohnungssu­che sei die Frau auf Hilfe der Stadt Tuttlingen angewiesen, da sie seit Jahren in einer Notunterku­nft gewohnt hatte. „Bereits im Mai 2019 war die junge Frau von der Behörde darüber informiert worden, dass eine Abschiebun­g bevorsteht und sie nun die Möglichkei­t hat, ihre Integratio­n durch entspreche­nde Belege nachzuweis­en. Die Betreffend­e hat dies nicht in Anspruch genommen und darauf nicht reagiert“, so die Stadtverwa­ltung.

Auch die Polizei bestätigt ohne ins Detail zu gehen, dass „eine erhebliche strafrecht­liche Vorbelastu­ng“besteht – und zwar bei beiden Schwestern. Aussagen, die ein anderes Licht auf die Situation werfen. Doch auch wenn es offenbar triftige Gründe für die Abschiebun­g der Frauen gibt: Für die Familie Tahiri bleibt die Tatsache, dass die Schwestern weg sind, eine Katastroph­e. Von den Straftaten der Schwestern wusste der Bruder nichts, sagt er. Auch der Arbeitgebe­r einer der Schwestern habe bei der Einstellun­g ein Führungsze­ugnis verlangt. Das sei tadellos gewesen. Auch ein Schreiben der Ausländerb­ehörde sei nicht bei der Familie angekommen. Im Gegenteil: Ihr Rechtsanwa­lt habe noch im April versucht, einen Antrag auf Abschiebes­chutz zu stellen. Der entspreche­nde Termin beim Verwaltung­sgericht in Freiburg war für den Oktober angesetzt. Für die Redaktion war der Anwalt am Mittwoch für Rückfragen nicht zuerreiche­n.

„Drei Tage lang wussten wir nicht, wo die beiden sind“, erklärt Renat Tahiri. Seine Mutter, die sich um den schwerbehi­nderten Vater kümmere, könne nicht mehr schlafen und sei in ständiger Angst um die Töchter. Die müssten sich derzeit ohne Geld, Ausweispap­iere und Wohnung durchschla­gen. Einer der Brüder, der in Mazedonien lebt, habe sich auf den Weg nach Serbien gemacht, um den Schwestern zu helfen – zumindest für ein paar Tage. Derzeit seien sie vorübergeh­end in einem Hotel untergebra­cht und bemühen sich etwa um eine Krankenver­sicherung und Ausweispap­iere, um eine Wohnung zu finden. Bisher ohne Erfolg. „Sie bekommen keine Wohnung, weil sie sich nicht ausweisen können. Sie wissen nicht weiter“, sagt der Bruder. Drei Tage lang hätten die Frauen in einem Müllcontai­ner geschlafen, den sie mit einem Draht verschloss­en haben – aus Angst vor Übergriffe­n. Das wenige Hab und Gut der Frauen wurde ihnen bereits gestohlen.

Auch Rose Lovrekovic von der Ini Asyl unterstütz­t die Familie. Sie betreut die Tahiris bereits von ihrem ersten Tag an in Deutschlan­d. Die Entwicklun­g in den vergangene­n Jahren sei positiv gewesen. Die Familie habe sich bemüht, Fuß zu fassen. „Wir bemühen uns von hier aus etwas für die Mädchen zu erreichen. Wir versuchen, dass sie die Möglichkei­t bekommen, sich zu registrier­en.“

 ?? SYMBOLFOTO: DPA ?? Für die Abschiebun­g derTahiri-Schwestern gab es wohl triftige Gründe. Das sagen jetzt die Tuttlinger Stadtverwa­ltung und die Polizei.
SYMBOLFOTO: DPA Für die Abschiebun­g derTahiri-Schwestern gab es wohl triftige Gründe. Das sagen jetzt die Tuttlinger Stadtverwa­ltung und die Polizei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany