Stadtverwaltung: Abschiebung war rechtens
Tahiri-Schwestern sind laut Polizei und Stadt mehrfach strafrechtlich aufgefallen
- Nach der Abschiebung der Tahiri-Schwestern sitzt der Schock für die Familie immer noch tief. Mittlerweile hat sich einer der beiden Brüder auf den Weg nach Belgrad gemacht, um den Frauen zu helfen. In Deutschland ist die Anteilnahme am Schicksal von Gylten und Gylije Tahiri groß – vor allem weil die Gründe für die Abschiebung bislang nicht nachvollziehbar waren. Doch mittlerweile ergibt sich ein neues Bild der Schwestern. Sie sollen mehrfach straffällig geworden sein.
Es war ein Anruf seiner Mutter, der Renat Tahiri mitten in der Nacht aus dem Schlaf reist. „Sie hat gesagt, ,mein Sohn komm her, deine Schwestern werden abgeschoben’“, erzählt der Bruder der beiden Frauen, bei einem Gespräch in der Redaktion des Gränzbote. Nach dem Anruf fährt er sofort los und findet seine völlig aufgelöste Mutter. „Sie stand auf der Straße und alle Autos haben gehupt“, erinnert er sich. Renat packt seine Mutter ins Auto und fährt nach Neuhausen. „Als ich reingegangen bin, wollten sie meine Schwester mitnehmen. Da habe ich gefragt, was der Grund für die Abschiebung ist.“Die Antwort: illegaler Aufenthalt in Deutschland.
Die Frage nach der Begründung der Abschiebung der beiden Frauen hat in den vergangenen Tagen für Empörung gesorgt. Vor allem in den Sozialen Netzwerken sehen viele Nutzer den Fall Tahiri als Beispiel für eine ungerechte Abschiebungspolitik. Zwei jungen Frauen, seit 20 Jahren in Tuttlingen, voll integriert und dennoch abgeschoben, so das Bild.
Die Behörden ließen die Frage nach den Gründen in den vergangenen Tagen auch auf mehrfache Anfrage unserer Zeitung unbeantwortet – bis zum Mittwochvormittag. Erstmals bezieht die Stadtverwaltung Tuttlingen Stellung. Die Kernaussage: Die Abschiebung war gerechtfertigt. Es gab zumindest für den Fall der in Tuttlingen lebenden Frau gewichtige Gründe für das Regierungspräsidium diese Entscheidung zu treffen. „Nachdem die Ausländerbehörde der Stadt Tuttlingen sämtliche vorliegenden Unterlagen geprüft und mit den betroffenen Behörden abgeglichen hatte, wurde festgestellt, dass im aktuellen Fall erhebliche Zweifel an der Integrationsleistung bestehen, vor allem mit Blick auf ein Strafverfahren und das Bestreiten des eigenen Lebensunterhaltes“, heißt es in der Stellungnahme. Zum einen handele es sich bei dem Arbeitsverhältnis nur um eine geringfügige Beschäftigung, die für das Bestreiten des Lebensunterhaltes nicht ausreiche. „Aus diesem Grund war das geringfügige Arbeitsverhältnis auch nicht in den Akten der städtischen Ausländerbehörde vermerkt“, heißt es weiter. Auch bei der Wohnungssuche sei die Frau auf Hilfe der Stadt Tuttlingen angewiesen, da sie seit Jahren in einer Notunterkunft gewohnt hatte. „Bereits im Mai 2019 war die junge Frau von der Behörde darüber informiert worden, dass eine Abschiebung bevorsteht und sie nun die Möglichkeit hat, ihre Integration durch entsprechende Belege nachzuweisen. Die Betreffende hat dies nicht in Anspruch genommen und darauf nicht reagiert“, so die Stadtverwaltung.
Auch die Polizei bestätigt ohne ins Detail zu gehen, dass „eine erhebliche strafrechtliche Vorbelastung“besteht – und zwar bei beiden Schwestern. Aussagen, die ein anderes Licht auf die Situation werfen. Doch auch wenn es offenbar triftige Gründe für die Abschiebung der Frauen gibt: Für die Familie Tahiri bleibt die Tatsache, dass die Schwestern weg sind, eine Katastrophe. Von den Straftaten der Schwestern wusste der Bruder nichts, sagt er. Auch der Arbeitgeber einer der Schwestern habe bei der Einstellung ein Führungszeugnis verlangt. Das sei tadellos gewesen. Auch ein Schreiben der Ausländerbehörde sei nicht bei der Familie angekommen. Im Gegenteil: Ihr Rechtsanwalt habe noch im April versucht, einen Antrag auf Abschiebeschutz zu stellen. Der entsprechende Termin beim Verwaltungsgericht in Freiburg war für den Oktober angesetzt. Für die Redaktion war der Anwalt am Mittwoch für Rückfragen nicht zuerreichen.
„Drei Tage lang wussten wir nicht, wo die beiden sind“, erklärt Renat Tahiri. Seine Mutter, die sich um den schwerbehinderten Vater kümmere, könne nicht mehr schlafen und sei in ständiger Angst um die Töchter. Die müssten sich derzeit ohne Geld, Ausweispapiere und Wohnung durchschlagen. Einer der Brüder, der in Mazedonien lebt, habe sich auf den Weg nach Serbien gemacht, um den Schwestern zu helfen – zumindest für ein paar Tage. Derzeit seien sie vorübergehend in einem Hotel untergebracht und bemühen sich etwa um eine Krankenversicherung und Ausweispapiere, um eine Wohnung zu finden. Bisher ohne Erfolg. „Sie bekommen keine Wohnung, weil sie sich nicht ausweisen können. Sie wissen nicht weiter“, sagt der Bruder. Drei Tage lang hätten die Frauen in einem Müllcontainer geschlafen, den sie mit einem Draht verschlossen haben – aus Angst vor Übergriffen. Das wenige Hab und Gut der Frauen wurde ihnen bereits gestohlen.
Auch Rose Lovrekovic von der Ini Asyl unterstützt die Familie. Sie betreut die Tahiris bereits von ihrem ersten Tag an in Deutschland. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren sei positiv gewesen. Die Familie habe sich bemüht, Fuß zu fassen. „Wir bemühen uns von hier aus etwas für die Mädchen zu erreichen. Wir versuchen, dass sie die Möglichkeit bekommen, sich zu registrieren.“