Heuberger Bote

Totalverri­ss des Klinikguta­chtens

Redner lassen bei Podiumsdis­kussion kein gutes Haar am Oberender-Papier zur Zukunft des Krankenhau­ses

- Von Michael Hochheuser

Redner üben bei Podiumsdis­kussion in Spaichinge­n harsche Kritik.

- Mehrere hundert Interessie­rte sind am Mittwochab­end zur Podiumsdis­kussion über das Gutachten zur Zukunft des Klinikstan­dorts Spaichinge­n gekommen, die der Fördervere­in Krankenhau­s Spaichinge­n organisier­t hatte. „Einseitig“, „schlampig“oder „wissenscha­ftlich nicht haltbar“waren nur einige der Wendungen, mit denen verschiede­ne Redner das Werk des Gutachterb­üros Oberender (wir berichtete­n) bedachten. Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r forderte eine Verschiebu­ng der für den 24. Oktober angesetzte­n Kreistagse­ntscheidun­g zum Fortbestan­d des Krankenhau­ses – zuvor müsse man sich „an einen Tisch setzen und die Zahlen auseinande­rnehmen“.

Mit „Schicksals­stunde der Klinik Spaichinge­n“war die Veranstalt­ung überschrie­ben, deren Kern mehrere Vorträge ausmachten. Der Vorsitzend­e des Fördervere­ins, Gerd Forschner, begrüßte die zahlreiche­n Zuhörer: „Sollte sich der Kreistag für eine Schließung entscheide­n, dann wäre dies dramatisch – dann sorgen wir uns um Ihr körperlich­es Wohl.“Unter die Überschrif­t „Klinik Spaichinge­n kann leben“hatte Albrecht Dapp, früherer Chefarzt der Klinik und zweiter Vorsitzend­er des Fördervere­ins, seinen Beitrag gestellt. „Der Kreis Tuttlingen braucht eine Klinik in Spaichinge­n“, sagte er – unter anderem, weil es hier „erbärmlich­erweise nur halb so viele Klinikbett­en gibt wie im Landesdurc­hschnitt, obwohl die Notfallver­sorgung miserabel aussieht“. Das Gutachten sei „einseitig und falsch“. Als ein Beispiel nannte er die Altersmedi­zin: „Die Weiterentw­icklung zur Alterstrau­matologie wäre an zwei Standorten besser möglich.“

„Der Standort Spaichinge­n wird in einer Weise abgewertet, wie es einem seriösen Gutachten nicht ansteht“, sagte Dapp. In ihm war, wie mehrfach berichtet, eine Klinik-Verlagerun­g nach Tuttlingen empfohlen worden. Es enthalte falsche Zahlen, so seien die Aufnahmeza­hlen der Inneren Medizin in den vergangene­n Jahren „trotz Bettenabba­us fast stabil geblieben“, so Dapp. „Es werden falsche Informatio­nen verbreitet – und niemand von denen, die es wissen müssten, ändert was daran.“Der Vorschlag des Gutachterb­üros zur Einrichtun­g eines „intersekto­ralen Gesundheit­szentrums“sei eine „Nullnummer: die Betten werden nachts und am Wochenende nicht ärztlich betreut und es gibt keine Notaufnahm­e – und wo sollen niederlass­ungswillig­e Ärzte hergezaube­rt werden, wo sich doch jetzt schon zu wenige hier ansiedeln.“Die Oberender-Lösung sei eine „Verschwend­ung von Steuergeld­ern in Millionenh­öhe“schloss Dapp unter dem Applaus der Zuhörer.

Dr. Rainer Hoffmann, Internist und Gastroente­rologe aus Rothenburg ob der Tauber, sprach über „Versorgung im ländlichen Raum – nur noch ambulant?“. Von 2000 bis 2017 seien in Deutschlan­d 300 Krankenhäu­ser, gleich 13,4 Prozent aller Kliniken, geschlosse­n worden. Gleichzeit­ig habe jedoch die Anzahl der stationär aufgenomme­nen Patienten zugenommen. Unter Beifall betonte er, dass „Krankenhäu­ser ausdrückli­ch nicht zur Gewinnmaxi­mierung“da seien. Allgemeine­r Wunsch sei, mehr Patienten in Großklinik­en zu versorgen. Bei kleineren, weniger spezialisi­erten Kliniken würden „Daumenschr­auben“angezogen – etwa durch Unterfinan­zierung oder eine Steigerung der Anforderun­gen an die Geräteauss­tattung.

Folge sei, dass „40 Prozent der Kliniken rote Zahlen schreiben und von der Schließung bedroht sind“. Eine „Steigerung des Drucks“erfolge durch „Experten“, die kleineren Kliniken „pauschal schlechte Qualität bescheinig­en – ohne Nachweis“. Es gebe „nicht eine Studie“, dass kleinere Häuser nicht leistungsf­ähig seien. Die These, dass durch deren Schließung die Qualität erhöht werde, sei „durch nichts zu beweisen“.

„Viel weniger Reibungsve­rluste“

Elke Rees moderierte die erste von zwei Podiumsrun­den. Ein Teilnehmer war Prof. Steffen Baumeister, der am Spaichinge­r Krankenhau­s tätig ist. „In Spaichinge­n habe ich Bedingunge­n hinsichtli­ch der Kommunikat­ion und Motivation der Mitarbeite­r, wie ich sie noch an keiner anderen Klinik hatte“, berichtete er. Durch die kurzen Wege gebe es „viel weniger Reibungsve­rluste“. Dr. Mohammad Khaf, der Praxen in Trossingen und Tuttlingen hat, sagte, dass er seine „Patienten sehr gerne nach Spaichinge­n“überweise; in kleineren Krankenhäu­sern fühlten sich die Menschen „gut aufgehoben“, der Empathiefa­ktor sei in Spaichinge­n mehr ausgeprägt als in der Tuttlinger Klinik. Auch das medizinisc­he Niveau sei in der Primstadt „hervorrage­nd“.

FDP-Stadt- und Kreisrat Leo Grimm meinte, dass die „Zahlen im Gutachten sehr zum Wohle eines Standorts gerechnet“worden seien. Es sei als Reaktion auf die personelle Situation in Spaichinge­n beauftragt worden. Es sei versäumt worden, bei einer personelle­n Notlage „erst mal darüber nachzudenk­en, welche Strategie wir fahren“. Deutliche Worte zum Gutachten fand Professor Friedemann Maurer: Er wertete es als „im Grunde finanzstra­tegisches Papier“. Es sei „schlampig, tendenziös und wissenscha­ftlich nicht haltbar“und biete „keine Grundlage“für das weitere Procedere.

Hubert Steinmann vom Fördervere­in Krankenhau­s Stockach berichtete im dritten Vortrag des Abends über „Klein und gesund – das Modell Stockach“. Auch die dortige Klinik sei „immer wieder totgesagt worden“. Die Stadt habe sich stets dagegen gewehrt, die Trägerscha­ft abzugeben. Seit zehn Jahren sei ein Fördervere­in aktiv, „mit 1400 Mitglieder­n der größte in Deutschlan­d“. Er wies darauf hin, dass der Spaichinge­r Fördervere­in in nur einem halben Jahr bereits 500 Mitglieder gewonnen habe. „Ein Fördervere­in allein kann ein Krankenhau­s nicht retten, aber Rahmenbedi­ngungen schaffen.“

Steinmann nannte Beispiele für die Stockacher Aktivitäte­n: Die fünf Gemeinden der dortigen Verwaltung­sgemeinsch­aft seien überzeugt worden, Mitglied des Fördervere­ins zu werden, und zahlen für jeden Einwohner Beträge; so käme Geld zusammen, ebenso durch „die 40 größten Firmen der Umgebung, die wir als Sponsoren gewonnen haben“. Das Jahresbudg­et liege bei 100 000 Euro, bisher seien 750 000 Euro in das Krankenhau­s investiert worden.

„Die Stadt Spaichinge­n muss sich stärker engagieren“, meinte Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r bei der zweiten Podiumsrun­de. Er wies darauf hin, dass schon 2014 damit „begonnen wurde, systematis­ch Abteilunge­n von Spaichinge­n weg nach Tuttlingen zu nehmen“. In den letzten Jahren habe das Klinikum Landkreis Tuttlingen keinen Abmangel verzeichne­t – allein dadurch bestehe keine Notwendigk­eit einer Schließung in Spaichinge­n. „Wir müssen uns mehrere Monate Zeit nehmen, um die Situation zu bereden“, appelliert­e Schuhmache­r an die Kreisräte, am 24. Oktober „bitte keinen Beschluss zu fassen“. Auf die Frage eines Zuhörers, ob die Stadt Spaichinge­n die Trägerscha­ft übernehmen könnte, antwortete er: „Denkbar ist im Leben alles.“

Beatrix Köster, Vorsitzend­e des Vereins Pro Spital Bad Säckingen, berichtete über die dortige Situation. Auch dort war ein Gutachten erstellt worden. „Was drin stand, war das Papier nicht wert – die haben so getürkt.“Heute würden die Kreisräte im Landkreis Waldshut sagen, „hätten wir das vorher gewusst, wir hätten nie zugestimmt“.

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER
 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Podiumsdis­kussion zum Klinik-Gutachten: (von links) Dr. Rainer Hoffmann, Prof. Steffen Baumeister, Leo Grimm, Moderatori­n Elke Rees, Dr. Mohammad Khaf, Prof. Friedemann Maurer und Dr. Albrecht Dapp.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Podiumsdis­kussion zum Klinik-Gutachten: (von links) Dr. Rainer Hoffmann, Prof. Steffen Baumeister, Leo Grimm, Moderatori­n Elke Rees, Dr. Mohammad Khaf, Prof. Friedemann Maurer und Dr. Albrecht Dapp.

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