Totalverriss des Klinikgutachtens
Redner lassen bei Podiumsdiskussion kein gutes Haar am Oberender-Papier zur Zukunft des Krankenhauses
Redner üben bei Podiumsdiskussion in Spaichingen harsche Kritik.
- Mehrere hundert Interessierte sind am Mittwochabend zur Podiumsdiskussion über das Gutachten zur Zukunft des Klinikstandorts Spaichingen gekommen, die der Förderverein Krankenhaus Spaichingen organisiert hatte. „Einseitig“, „schlampig“oder „wissenschaftlich nicht haltbar“waren nur einige der Wendungen, mit denen verschiedene Redner das Werk des Gutachterbüros Oberender (wir berichteten) bedachten. Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher forderte eine Verschiebung der für den 24. Oktober angesetzten Kreistagsentscheidung zum Fortbestand des Krankenhauses – zuvor müsse man sich „an einen Tisch setzen und die Zahlen auseinandernehmen“.
Mit „Schicksalsstunde der Klinik Spaichingen“war die Veranstaltung überschrieben, deren Kern mehrere Vorträge ausmachten. Der Vorsitzende des Fördervereins, Gerd Forschner, begrüßte die zahlreichen Zuhörer: „Sollte sich der Kreistag für eine Schließung entscheiden, dann wäre dies dramatisch – dann sorgen wir uns um Ihr körperliches Wohl.“Unter die Überschrift „Klinik Spaichingen kann leben“hatte Albrecht Dapp, früherer Chefarzt der Klinik und zweiter Vorsitzender des Fördervereins, seinen Beitrag gestellt. „Der Kreis Tuttlingen braucht eine Klinik in Spaichingen“, sagte er – unter anderem, weil es hier „erbärmlicherweise nur halb so viele Klinikbetten gibt wie im Landesdurchschnitt, obwohl die Notfallversorgung miserabel aussieht“. Das Gutachten sei „einseitig und falsch“. Als ein Beispiel nannte er die Altersmedizin: „Die Weiterentwicklung zur Alterstraumatologie wäre an zwei Standorten besser möglich.“
„Der Standort Spaichingen wird in einer Weise abgewertet, wie es einem seriösen Gutachten nicht ansteht“, sagte Dapp. In ihm war, wie mehrfach berichtet, eine Klinik-Verlagerung nach Tuttlingen empfohlen worden. Es enthalte falsche Zahlen, so seien die Aufnahmezahlen der Inneren Medizin in den vergangenen Jahren „trotz Bettenabbaus fast stabil geblieben“, so Dapp. „Es werden falsche Informationen verbreitet – und niemand von denen, die es wissen müssten, ändert was daran.“Der Vorschlag des Gutachterbüros zur Einrichtung eines „intersektoralen Gesundheitszentrums“sei eine „Nullnummer: die Betten werden nachts und am Wochenende nicht ärztlich betreut und es gibt keine Notaufnahme – und wo sollen niederlassungswillige Ärzte hergezaubert werden, wo sich doch jetzt schon zu wenige hier ansiedeln.“Die Oberender-Lösung sei eine „Verschwendung von Steuergeldern in Millionenhöhe“schloss Dapp unter dem Applaus der Zuhörer.
Dr. Rainer Hoffmann, Internist und Gastroenterologe aus Rothenburg ob der Tauber, sprach über „Versorgung im ländlichen Raum – nur noch ambulant?“. Von 2000 bis 2017 seien in Deutschland 300 Krankenhäuser, gleich 13,4 Prozent aller Kliniken, geschlossen worden. Gleichzeitig habe jedoch die Anzahl der stationär aufgenommenen Patienten zugenommen. Unter Beifall betonte er, dass „Krankenhäuser ausdrücklich nicht zur Gewinnmaximierung“da seien. Allgemeiner Wunsch sei, mehr Patienten in Großkliniken zu versorgen. Bei kleineren, weniger spezialisierten Kliniken würden „Daumenschrauben“angezogen – etwa durch Unterfinanzierung oder eine Steigerung der Anforderungen an die Geräteausstattung.
Folge sei, dass „40 Prozent der Kliniken rote Zahlen schreiben und von der Schließung bedroht sind“. Eine „Steigerung des Drucks“erfolge durch „Experten“, die kleineren Kliniken „pauschal schlechte Qualität bescheinigen – ohne Nachweis“. Es gebe „nicht eine Studie“, dass kleinere Häuser nicht leistungsfähig seien. Die These, dass durch deren Schließung die Qualität erhöht werde, sei „durch nichts zu beweisen“.
„Viel weniger Reibungsverluste“
Elke Rees moderierte die erste von zwei Podiumsrunden. Ein Teilnehmer war Prof. Steffen Baumeister, der am Spaichinger Krankenhaus tätig ist. „In Spaichingen habe ich Bedingungen hinsichtlich der Kommunikation und Motivation der Mitarbeiter, wie ich sie noch an keiner anderen Klinik hatte“, berichtete er. Durch die kurzen Wege gebe es „viel weniger Reibungsverluste“. Dr. Mohammad Khaf, der Praxen in Trossingen und Tuttlingen hat, sagte, dass er seine „Patienten sehr gerne nach Spaichingen“überweise; in kleineren Krankenhäusern fühlten sich die Menschen „gut aufgehoben“, der Empathiefaktor sei in Spaichingen mehr ausgeprägt als in der Tuttlinger Klinik. Auch das medizinische Niveau sei in der Primstadt „hervorragend“.
FDP-Stadt- und Kreisrat Leo Grimm meinte, dass die „Zahlen im Gutachten sehr zum Wohle eines Standorts gerechnet“worden seien. Es sei als Reaktion auf die personelle Situation in Spaichingen beauftragt worden. Es sei versäumt worden, bei einer personellen Notlage „erst mal darüber nachzudenken, welche Strategie wir fahren“. Deutliche Worte zum Gutachten fand Professor Friedemann Maurer: Er wertete es als „im Grunde finanzstrategisches Papier“. Es sei „schlampig, tendenziös und wissenschaftlich nicht haltbar“und biete „keine Grundlage“für das weitere Procedere.
Hubert Steinmann vom Förderverein Krankenhaus Stockach berichtete im dritten Vortrag des Abends über „Klein und gesund – das Modell Stockach“. Auch die dortige Klinik sei „immer wieder totgesagt worden“. Die Stadt habe sich stets dagegen gewehrt, die Trägerschaft abzugeben. Seit zehn Jahren sei ein Förderverein aktiv, „mit 1400 Mitgliedern der größte in Deutschland“. Er wies darauf hin, dass der Spaichinger Förderverein in nur einem halben Jahr bereits 500 Mitglieder gewonnen habe. „Ein Förderverein allein kann ein Krankenhaus nicht retten, aber Rahmenbedingungen schaffen.“
Steinmann nannte Beispiele für die Stockacher Aktivitäten: Die fünf Gemeinden der dortigen Verwaltungsgemeinschaft seien überzeugt worden, Mitglied des Fördervereins zu werden, und zahlen für jeden Einwohner Beträge; so käme Geld zusammen, ebenso durch „die 40 größten Firmen der Umgebung, die wir als Sponsoren gewonnen haben“. Das Jahresbudget liege bei 100 000 Euro, bisher seien 750 000 Euro in das Krankenhaus investiert worden.
„Die Stadt Spaichingen muss sich stärker engagieren“, meinte Bürgermeister Hans Georg Schuhmacher bei der zweiten Podiumsrunde. Er wies darauf hin, dass schon 2014 damit „begonnen wurde, systematisch Abteilungen von Spaichingen weg nach Tuttlingen zu nehmen“. In den letzten Jahren habe das Klinikum Landkreis Tuttlingen keinen Abmangel verzeichnet – allein dadurch bestehe keine Notwendigkeit einer Schließung in Spaichingen. „Wir müssen uns mehrere Monate Zeit nehmen, um die Situation zu bereden“, appellierte Schuhmacher an die Kreisräte, am 24. Oktober „bitte keinen Beschluss zu fassen“. Auf die Frage eines Zuhörers, ob die Stadt Spaichingen die Trägerschaft übernehmen könnte, antwortete er: „Denkbar ist im Leben alles.“
Beatrix Köster, Vorsitzende des Vereins Pro Spital Bad Säckingen, berichtete über die dortige Situation. Auch dort war ein Gutachten erstellt worden. „Was drin stand, war das Papier nicht wert – die haben so getürkt.“Heute würden die Kreisräte im Landkreis Waldshut sagen, „hätten wir das vorher gewusst, wir hätten nie zugestimmt“.