Heuberger Bote

Die Unbequeme

Die Auszeichnu­ng für Olga Tokarczuk ist ein Zeichen für Toleranz

- Von Eva Krafczyk und Natalie Skrzypczak

Als der Anruf aus Stockholm kam, war Olga Tokarczuk gerade in Deutschlan­d auf der Autobahn unterwegs und musste erst mal einen geeigneten Haltepunkt finden. „Literaturn­obelpreis! Sprachlos vor Freude und Glück!“schrieb sie am Donnerstag auf ihrem Facebook-Profil. Tokarczuk ist eine der bekanntest­en polnischen Autorinnen der Gegenwart. Gleich zweimal erhielt sie den Nike-Preis, den bedeutends­ten Literaturp­reis Polens, im vergangene­n Jahr wurde sie mit dem Booker-Preis ausgezeich­net. Auf der Werbereise für „Die Jakobsbüch­er“, Tokarczuks gerade auf Deutsch erschienen­em jüngstem Roman, erhielt sie nun die Nachricht über den Nobelpreis.

Fast sieben Jahre schrieb sie an diesem Buch, das in Polen 2014 erschien und den Nerv der Zeit traf. Der Historienr­oman sei angesichts der Migrations­krise hochaktuel­l, lobten Kritiker damals das Werk über die multikultu­relle Geschichte des heute katholisch geprägten Polens. Die Psychologi­n spart in ihren Büchern wie bei öffentlich­en Auftritten nicht mit Kritik, etwa an Fremdenfei­ndlichkeit und der ablehnende­n Haltung Polens bei der Aufnahme muslimisch­er Flüchtling­e.

In rechtskons­ervativen Medien wird die in Sulechow bei Zielona Gora (Grünberg) geborene Schriftste­llerin teils heftig angegriffe­n. Erst im vergangene­n Monat hieß es in einem Artikel in dem rechtskons­ervativem Portal niezalezna.pl, Tokarczuk verdiene keine Auszeichnu­ngen. Damals wollten gerade örtliche Ratsvertre­ter der in Polen regierende­n nationalko­nservative­n

Partei PiS verhindern, dass sie einen Verdienstp­reis in ihrer Region erhielt.

In ersten Reaktionen wertete der polnische Kulturmini­ster Piotr Glinski den Nobelpreis als Auszeichnu­ng für die polnische Kultur. In den sozialen Medien in Polen wurde die bisherige Haltung derjenigen diskutiert, die nun loben und gratuliere­n. „Erst vor ein paar Tagen hat Kulturmini­ster Glinski damit geprahlt, nie eines von Olga Tokarczuks Büchern gelesen zu haben. Nun hat sie den Nobelpreis gewonnen“, schrieb etwa die amerikanis­che Publizisti­n Anne Applebaum.

Geradezu genüsslich listete die regierungs­kritische „Gazeta Wyborcza“die Schmähbegr­iffe auf, mit denen Tokarczuk in der Vergangenh­eit in PiS-nahen Medien bedacht worden war – von „Verräterin“über „Sie spuckt auf Polen“bis zur „AntiPolin“.

Dabei ist Tokarczuk bei ihren Büchern vor allem an Ehrlichkei­t gelegen. Sie wolle die Geschichte ihres Landes neu aufschreib­en, ohne dabei „die schrecklic­hen Dinge“zu verstecken, sagte die 57-Jährige einmal. „Wir stellen die Geschichte Polens als die eines toleranten Landes dar, aber wir haben schrecklic­he Dinge getan“, sagte sie und nannte Pogrome und die Diskrimini­erung ethnischer Minderheit­en als Beispiele. Das Buch, an dem sie derzeit arbeitet, dürfte ebenfalls Diskussion­en entfachen: Es geht auch um das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern.

„Literaturn­obelpreis! Sprachlos vor Freude und Glück!“Olga Tokarczuk nach dem Anruf auf Facebook

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany