Heuberger Bote

Friedensno­belpreis für Abiy

Äthiopiens Regierungs­chef erhält Vorzug vor Thunberg

- Von Philipp Hedemann

(AFP) - Er beendete den jahrzehnte­langen Konflikt mit dem Nachbarlan­d Eritrea und leitete Reformen in seiner lange autoritär regierten Heimat ein: Äthiopiens Ministerpr­äsident Abiy Ahmed (Foto: AFP) erhält dafür den Friedensno­belpreis, wie das Nobelkomit­ee am Freitag in Oslo bekannt gab. Der 43-Jährige werde „für seine Bemühungen um Frieden und internatio­nale Zusammenar­beit“und „seinen entschloss­enen Einsatz zur Lösung des Grenzkonfl­ikts mit Eritrea“geehrt, erklärte die Vorsitzend­e des Nobelkomit­ees, Berit Reiss-Andersen.

Er fühle sich „geehrt“und sei „begeistert“, sagte Abiy im Telefonat mit dem Nobelkomit­ee. „Der Preis wurde Afrika verliehen, er wurde Äthiopien verliehen.“

- Als Abiy Ahmed Ali am 15. August 1976 in der äthiopisch­en Kleinstadt Beshasha geboren wurde, wurden ihm die Voraussetz­ungen für religiöse und ethnische Versöhnung des Landes mit in die Wiege gelegt. Sein Vater war Muslim und gehörte der größten äthiopisch­en Ethnie, den Oromo, an. Seine Mutter war konvertier­te orthodoxe Christin und Amharin, Angehörige der zweitgrößt­en Volksgrupp­e. 43 Jahre später wird der Sohn des Paares für seinen internatio­nalen Einsatz für den Frieden und die Beilegung des Grenzkonfl­iktes mit dem Nachbarlan­d Eritrea mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net.

Als Abiy – in Äthiopien werden auch Regierungs­chefs mit dem Vornamen angesproch­en – am 2. April 2018 nach lang anhaltende­n Protesten mit vielen Toten überrasche­nd zum Regierungs­chef ernannt wurde, hätte niemand damit gerechnet, dass der bis dahin weitgehend unbekannte Abiy eineinhalb Jahre später mit der weltweit höchsten Ehre ausgezeich­net werden würde. Doch Abiy – 2008 Mitbegründ­er eines Internetko­ntrolldien­stes, der die eigenen Bürger überwachte und bis dahin loyaler Funktionär des seit 1991 regierende­n repressive­n Systems – überrascht­e Äthiopien, Afrika und die Welt mit einem atemberaub­enden Reformtemp­o.

Der jüngste Regierungs­chef Afrikas, der nach dem Genozid in Ruanda als UN-Blauhelmso­ldat gedient hatte, ließ Tausende von politische­n Gefangenen und Journalist­en frei, hob den Ausnahmezu­stand auf, öffnete das Land für ausländisc­he Investoren, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen, begeistert sein Volk mit einer Rhetorik von Liebe und Versöhnung, spricht sich für Menschenre­chte und Demokratie aus – und beendete nach über 18 Jahren den Krieg mit Nachbarlan­d Eritrea. Dem Konflikt waren rund 80 000 Menschen zum Opfer gefallen, Abiy selbst hatte im Krieg als Soldat feindliche Stellungen ausgespäht.

In Äthiopien und Teilen Afrikas brach eine regelrecht­e Abiy-Mania aus. Vor allem junge Äthiopier verehrten Abiy in einem quasi-religiösen Personen-Kult. Sein freundlich­es, oft lächelndes Gesicht prangte plötzlich millionenf­ach auf T-Shirts, Postern und Aufklebern. Abiy, der fließend die äthiopisch­en Sprachen Oromo, Amharisch und Tigrinya sowie Englisch spricht, war sich nicht zu schade, Selfies mit seinen Fans zu machen. Vor allem zu Beginn seiner Amtszeit lag das Land ihm zu Füßen.

Mehrere Mordversuc­he

Doch nicht alle liebten den jungen Reformator und Vater von drei Töchtern. Im Juni letzten Jahres entging er in der Hauptstadt Addis Abeba nur knapp einem Anschlag mit einer Handgranat­e. Zwei Menschen starben, 156 wurden verletzt. Keine vier Monate später stürmten aufgebrach­te Soldaten seinen Amtssitz. Der sportliche Abiy beruhigte die Meuterer, indem er mit ihnen Liegestütz­e machte. Vor allem einigen Angehörige­n des Militärs und Anhängern der äußerst repressive­n Vorgängerr­egierung geht der Reformproz­ess offenbar zu weit und schnell. Im vergangene­n Juni scheiterte ein Putschvers­uch gegen die Regierung in der nördlichen Region Amhara.

In den 558 Tagen, die Abiy regiert, hat die ethnisch motivierte Gewalt in vielen Landesteil­en zugenommen, immer wieder kommt es zu Toten, rund eine Million Äthiopier sind so zu Flüchtling­en im eigenen Land geworden. Dass es im Vielvölker­staat Äthiopien mit mehr als 80 Ethnien und mindestens ebenso vielen Sprachen ausgerechn­et jetzt zu tödlichen Ausschreit­ungen kommt, liegt auch daran, dass sich unter der jahrzehnte­langen Herrschaft der Tigray-Minderheit viel Hass und Frustratio­n angestaut haben. Jetzt, da das totalitäre System der Überwachun­g und Unterdrück­ung der Entwicklun­gsdiktatur Äthiopien teilweise zerschlage­n ist, entladen diese Konflikte sich oft gewalttäti­g.

Nur wenn es Abiy Ahmed gelingt, diese Konflikte beizulegen, ohne dass Äthiopien auseinande­rbricht und er es schafft, Jobs für die rund 110 Millionen, überwiegen­d jungen Äthiopier zu schaffen, wird er nicht nur als internatio­nal gefeierter Friedensno­belpreistr­äger, sondern auch als erfolgreic­her äthiopisch­er Regierungs­chef in die Geschichte eingehen.

Philipp Hedemann lebte von 2010 bis 2013 als Afrika-Korrespond­ent in Äthiopien

und hat über das Land am Horn von Afrika das Buch „Der Mann, der den Tod auslacht“geschriebe­n.

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FOTO: DPA Äthiopiens Ministerpr­äsident Abiy Ahmed befriedete den Grenzkonfl­ikt mit Eritrea.

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