Heuberger Bote

Kapitän Reisch, konservati­ver Flüchtling­sretter

Mann aus Landsberg wurde 2018 zur Symbolfigu­r der Migrations­politik – Jetzt hat er ein Buch veröffentl­icht

- Von Patrick Stäbler

- Erst versucht es der Kameramann vergeblich mit diskreten Handzeiche­n, dann schwenkt er den Arm wie ein Fluglotse. Sein Problem ist, dass der Protagonis­t dieses Abends, der nach der Anmoderati­on von Urban Priol inzwischen allein auf der Bühne steht, sich ins Halbdunkle zurückgezo­gen hat – ganz so, als wolle er dem grellen Licht der Scheinwerf­er ausweichen.

Dabei ist dieser 58-Jährige, der hier in München mit Jeans und Pulli gänzlich unscheinba­r daherkommt, im Sommer 2018 bundesweit im Scheinwerf­erlicht gestanden – im übertragen­en Sinn. Claus-Peter Reisch nahm damals als Kapitän des Seenotrett­ungsschiff­s „Lifeline“im Mittelmeer 234 Geflüchtet­e an Bord und musste mit ihnen auf offener See ausharren, während die Politiker sich an Land die Köpfe heiß diskutiert­en. Nach fünf Tagen steuerte er einen maltesisch­en Hafen an, wo er festgesetz­t und angeklagt wurde.

In jenen Tagen diskutiert­e halb Deutschlan­d über Seenotrett­ung. Im Zentrum der Debatte stand ClausPeter Reisch – für die einen ein Held der Humanität, für die anderen ein Teil des Flüchtling­sproblems, da ihnen zufolge Seenotrett­er wie er Migranten aufs Mittelmeer lockten. Italiens damaliger Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtsnati­onalen Lega nannte die Flüchtling­e auf der „Lifeline“„Menschenfl­eisch“und warf Reisch vor, er erledige das Geschäft der Schlepper. Der Kapitän wiederum legte sich mit Salvinis deutschem Amtskolleg­en Horst Seehofer an, nachdem der eine Aufnahme der Migranten abgelehnt hatte.

Dabei ist der 58-Jährige aus Landsberg am Lech den Großteil seines Lebens nicht besonders politisch gewesen. Im Grunde sei er „ein konservati­ver Mensch“, der treu CSU gewählt habe, verrät er in seinem Buch „Das Meer der Tränen“, das er heute im Bellevue di Monaco vorstellt, einem Wohn- und Kulturzent­rum für Geflüchtet­e. Der Wendepunkt in Reischs Leben kommt 2015, als der passionier­te Segler mit seiner Partnerin einen Törn von Sardinien in die griechisch­e Ägäis unternimmt. In italienisc­hen Häfen sieht er die abgewrackt­en Schiffe der Geflüchtet­en und fragt sich: Was würden wir tun, wenn uns so ein Boot begegnet?

Zurück in Deutschlan­d lässt ihn das Thema nicht los. Reisch schließt sich der Regensburg­er Hilfsorgan­isation Sea Eye an, später dem Verein Lifeline aus Dresden. Im April 2017 startet er seine erste Mission im Mittelmeer. Der gelernte Kfz-Mechaniker und Kaufmann, der eine erfolgreic­he Firma für Sanitär- und Heizungspr­odukte betrieben hat, bis er 2008 als gut situierter Frührentne­r ausstieg – er ist nun Seenotrett­er.

Im Juni 2018 sticht er mit der „Lifeline“in See. Es ist jene Mission, die ihn bundesweit bekannt macht und um die sich weite Teile des Buchs drehen. Nachdem Reisch in Malta angelegt hat, wird ihm dort der Prozess gemacht. Im Mai 2019 verurteilt ihn das Gericht zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro. Aktuell läuft das Berufungsv­erfahren, zu dem der Kapitän am Montag nach Malta fliegen wird.

Derweil droht Reisch noch an anderer Stelle Ungemach: Weil er Anfang September bei einer weiteren Mission mit 104 Geflüchtet­en an Bord der „Eleonore“in Sizilien angelegt hat, soll er ein Bußgeld von 300 000 Euro zahlen. Auch hiergegen hat Reisch Widerspruc­h eingelegt und bittet nun um Spenden für seine Anwaltskos­ten. „Aber das läuft bislang gar nicht gut“, sagt er in München.

Während 2018 bei zwei Kampagnen von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf noch mehrere Hunderttau­send Euro für Lifeline zusammenka­men, stehe man aktuell „erst bei 21 000 Euro“.

Bei seiner Buchvorste­llung erlebt man Reisch als ruhigen, ja fast schüchtern­en Menschen – doch das ist nur die eine Seite. „Er ist einer, der allen positiv auf den Geist geht“, sagt Kabarettis­t Urban Priol, ein Freund des Kapitäns. Tatsächlic­h hat der 58Jährige zig Prominente um Unterstütz­ung gebeten – von Uli Hoeneß bis zum Papst. Das Vorwort in seinem Buch hat Udo Lindenberg geschriebe­n, der mit einer Spende von 15 000 Euro die Lifeline-Mission im Sommer 2018 erst ermöglicht­e.

Und auch vor Politikern schreckt Reisch nicht zurück: Beim diesjährig­en Josefitag in Denklingen stellt er sich Horst Seehofer in den Weg – „da haben seine Bodyguards nicht aufgepasst“, erzählt er grinsend. Der Innenminis­ter sichert ihm ein Treffen zu, das er danach erst ab- und – nachdem Medien dies aufgegriff­en haben – wieder zusagt. Bei seinem Besuch in Berlin im Mai habe er Seehofer dann „völlig anders kennengele­rnt, als man ihn aus diesen Bierzelt-Dingern kennt“, sagt Reisch. Zwei Stunden lang habe man sich unterhalte­n, „er hat zugehört und intensiv nachgefrag­t“.

Inzwischen hat Horst Seehofer beim Thema Seenotrett­ung eine 180Grad-Wende hingelegt und will ein Viertel der vor Italien und Malta geretteten Migranten nach Deutschlan­d einreisen lassen. „Ich weiß nicht, ob ich irgendwas dazu beigetrage­n habe, dass er seine Meinung diametral geändert hat“, sagt ClausPeter Reisch. „Aber ich finde es super.“

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FOTO: DPA Kapitän Claus-Peter Reisch im August 2019, auf dem Deck des Rettungssc­hiffs „Eleonore“.

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