Heuberger Bote

Jenseits der Eigenkapit­alrendite

Beim Bodensee Business Forum diskutiere­n Wirtschaft und Politik über „Profite mit gutem Gewissen“

- Von Sebastian Heinrich

- Falls gute Laune und gutes Gewissen zusammenhä­ngen, dann sind sie bei Vetter in Ravensburg auf einem ganz guten Weg. Peter Sölkner, Geschäftsf­ührer des Pharmazie-Dienstleis­ters Vetter, sagt: „Sie wissen ja nicht, wie gut ich sonst aussehe“, blickt in Richtung Publikum, kassiert grinsend die Lacher. Moderator Uli Reitz hatte gelobt, dass man Sölkner keinen Jetlag ansehe – obwohl er kurz zuvor noch in San Francisco gewesen ist und wenig später auf dem Abschlussp­odium des Bodensee Business Forums in Friedrichs­hafen steht.

Danach wird es ernster. „Gewinn mit gutem Gewissen: Die Verantwort­ung der Unternehme­n in der Welt“, ist die Veranstalt­ung betitelt. Und dass von fünf Personen auf dem Podium zwei aus der Pharma-Industrie sind, ist kein Zufall. Nur wenige Branchen stehen bei einem großen Teil der Bevölkerun­g so stark unter Verdacht, unmoralisc­h zu handeln. Neben Sölkner ist Petra MoroniZent­graf da, Medizinisc­he Leiterin bei Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim in Biberach. Daneben Gerd Leipold, ehemaliger Chef von Greenpeace Internatio­nal und heute freiberufl­icher Umweltbera­ter – und Tanja Gönner, einst Landesmini­sterin in Baden-Württember­g und heute Vorstandss­precherin der Deutschen Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GiZ), der wichtigste­n staatliche­n Entwicklun­gshilfeorg­anisation Deutschlan­ds.

Eine Frage bestimmt die gesamte Diskussion: Wie ernst ist es gemeint, wenn Unternehme­n sich zu fairem Wirtschaft­en bekennen, zu Verantwort­ung statt bedingungs­losem Profit, oder – ins globale Business-Englisch übersetzt – zu Corporate Social Responsibi­lity und nicht nur zu Shareholde­r Value? Im vergangene­n Sommer haben die Chefs von 181 USamerikan­ischen Firmengiga­nten – unter ihnen Apple und Amazon – eine Absichtser­klärung veröffentl­icht, in der sie sich zu einem gerechtere­n Kapitalism­us bekennen. Leipold, der Umweltschu­tzveteran, erwähnt diese Erklärung – und sagt: „Die Unternehme­n spüren auch, dass sie nicht so großen Einfluss haben können, wenn sie nicht auch Antworten finden auf Probleme, die jenseits ihres Kerngeschä­fts liegen.“

Dafür, was diese Verantwort­ung jenseits von Ebitda und Eigenkapit­alrendite bedeutet, nennt Moroni-Zentgraf ein Beispiel aus dem Hause Boehringer Ingelheim: Fünf Jahre lang habe das Familienun­ternehmen den Anti-Aids-Wirkstoff Viramune nach dessen Entwicklun­g kostenlos in Entwicklun­gsländer geliefert, um zu verhindern, dass HIV-infizierte Mütter das Virus auf ihre Kinder übertragen. Rückfrage von Moderator Reitz: „Da kommt kein Aufsichtsr­at und fragt: Wo ist unser Cash?“Antwort Moroni-Zentgraf: „Ich glaube, dass man nicht in unserem Geschäft sein kann, wenn man nicht ein großes soziales Gewissen mit sich trägt.“

Ein Schlagwort, das oft genannt wird, wenn Unternehme­n ihre gesellscha­ftliche Verantwort­ung nach außen präsentier­en, ist „Greenwashi­ng“. Der Vorwurf dahinter: Manche Firmen würden sich eben nur geläutert geben – und in Wahrheit weiter schmutzig wirtschaft­en. „Ist Corporate Social Responsibi­lity ernst oder ist es Greenwashi­ng?“, fragt Reitz deshalb den seit Jahrzehnte­n umweltbewe­gten Leipold. Und der antwortet: „Wenn es Greenwashi­ng ist, funktionie­rt es meistens nicht. Das haben, glaube ich, die meisten Unternehme­n schon gemerkt.“

Aus der Hauptfrage der Diskussion leitet sich eine Nebenfrage ab – die besonders dringlich erscheint, da China auf dem Weg zur weltweit größten Volkswirts­chaft ist: Welche Chance hat Deutschlan­d im globalen Wettbewerb um neue Märkte überhaupt, so es denn auf sozial verantwort­liches Wirtschaft­en setzt? Moderator Reitz stellt sich den Dialog zwischen Entwicklun­gsländern und deutscher Entwicklun­gshilfe im Gespräch so vor: „Die sagen: Ihr seid die mit der Moral – und die Chinesen kommen mit dem Geld.“GIZ-Vorstandss­precherin Gönner entgegnet, dass inzwischen auch in manchen afrikanisc­hen Staaten wahrgenomm­en werde, wie problemati­sch die Entwicklun­gszusammen­arbeit mit China sein könne – während Deutschlan­d heute mehr als Partner auf Augenhöhe gesehen werde.

Gegen Ende der Diskussion passiert dann noch etwas, das eher selten vorkommt bei Diskussion­en unter Wirtschaft­svertreter­n. VetterGesc­häftsführe­r Sölkner lobt den deutschen Staat. Es gebe „tolle Rahmenbedi­ngungen“hierzuland­e, deswegen sei Vetter ja mit der Forschungs­abteilung weiterhin in Oberschwab­en. Was dann freilich oft fehle, sei Mut zur Innovation, da „geißeln wir uns auch selber“, meint der Manager. Aber Sölkner, der in Kalifornie­n lebt, sagt auch: Im Silicon Valley, dem viel gelobten Hotspot der globalen digitalen Innovation, gebe es „stark kapitalist­ische Tendenzen“, Obdachlose, „sozialen Bodensatz“. Und dafür brauche es sozialen Ausgleich.

Zu Ende geht die Diskussion mit einem Appell, den Ex-Greenpeace­Chef Leipold in Richtung Publikum ruft und mit dem er vor allem die vielen jungen Zuhörer anspricht: „Wir leben in einem guten Land. Und wenn wir positiver sind, können wir eine ganze Menge lösen.“

„Die Unternehme­n spüren auch, dass sie nicht so großen Einfluss haben können, wenn sie nicht auch Antworten finden auf Probleme, die jenseits ihres Kerngeschä­fts liegen.“Gerd Leipold, ehemaliger Chef von Greenpeace Internatio­nal

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Die Medizinisc­he Leiterin des Pharmakonz­erns Boehringer Ingelheim, Petra Moroni-Zentgraf, auf dem Bodensee Business Forum: „Ich glaube, dass man nicht in unserem Geschäft sein kann, wenn man nicht ein großes soziales Gewissen mit sich trägt.“
FOTO: FELIX KÄSTLE Die Medizinisc­he Leiterin des Pharmakonz­erns Boehringer Ingelheim, Petra Moroni-Zentgraf, auf dem Bodensee Business Forum: „Ich glaube, dass man nicht in unserem Geschäft sein kann, wenn man nicht ein großes soziales Gewissen mit sich trägt.“

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