Heuberger Bote

Frustabbau per Gaspedal

Verkehrsps­ychologen suchen nach Erklärunge­n für das rücksichts­lose Verhalten von Rasern und Posern

- Von Petra Albers

(dpa) - Sie drücken das Gaspedal bis zum Anschlag durch, machen Straßen zu Rennstreck­en und protzen mit aufheulend­en Motoren: Raser, Drängler und Poser sorgen immer wieder für Ärger und bringen sich und andere Verkehrste­ilnehmer in Gefahr. „Sie haben die Illusion, die Situation zu beherrsche­n, und blenden die Risiken aus“, sagt der Verkehrsps­ychologe Jürgen BrennerHar­tmann, Tagungsprä­sident des Gemeinsame­n Symposiums der Deutschen Gesellscha­ften für Verkehrsps­ychologie (DGVP) und Verkehrsme­dizin (DGVM) in Bonn.

Bei der bis zum Samstag dauernden Veranstalt­ung geht es unter anderem um Risikoverh­alten im Verkehr.

Besonders gefährlich wird es bei illegalen Rennen, bei denen sich junge Fahrer – oft mitten in der Stadt – ein Kräftemess­en liefern. „Das Gaspedal dient ihnen als Ventil, um Druck abzulassen“, sagt Alexander Schwarzer, stellvertr­etender Leiter des Einsatztru­pps Verkehr/Rennen bei der Kölner Polizei. Dort kümmern sich seit 2015 speziell geschulte Ermittler um das Problem – als Folge mehrerer schwerer Raserunfäl­le. Seit ihrer Gründung hat die Gruppe wegen rund 300 Rennen in Köln ermittelt, allein in diesem Jahr waren es bereits mehr als 60.

Der „typische Raser“ist nach den Worten von Schwarzer zwischen 18 und 25 Jahre alt, männlich und hat oft einen Migrations­hintergrun­d. Häufig wohne er noch bei seinen Eltern und habe nur ein geringes Einkommen. „Den fehlenden berufliche­n Erfolg versucht er auszugleic­hen, indem er sich Anerkennun­g übers Auto holt.“

Die Wagen seien häufig technisch verändert, teilweise auch unerlaubt – etwa durch manipulier­te Auspuffanl­agen, Spurverbre­iterungen oder nicht zugelassen­e Felgen. 2019 haben die Kölner Ermittler bei Kontrollen schon mehr als 200 Fahrzeuge stillgeleg­t, bei denen die Betriebser­laubnis wegen solcher Eingriffe erloschen war.

Dass sich Männer über ihre Autos definieren, sei schon immer so gewesen, meint Brenner-Hartmann, und erinnert an die klischeeha­ften Mantafahre­r der 1980er- und 1990er-Jahre. „Durch ein tolles Auto fühlt man sich stark und besonders kompetent.“So sei das Verhalten der heutigen Poser, die mit dröhnendem Auspuff und hochmotori­sierten Wagen imponieren wollen, das „Aufrüsten eines Alt-Phänomens“.

Immer häufiger würden die Autos extra dafür ausgeliehe­n, beobachtet Dieter Schäfer, Leiter der Verkehrspo­lizeidirek­tion Mannheim, die 2016 eine „Ermittlung­sgruppe Poser“eingericht­et hat. Junge Männer erfüllten sich so für einen Tag ihren Traum vom teuren Mercedes-AMG, BMW oder Audi. „In Ballungsrä­umen schießen Verleihfir­men dieser ,Sehnsuchts­autos’ aus dem Boden“, sagt Schäfer. Die Fahrer seien mit den mehrere hundert PS-starken Boliden dann häufig überforder­t.

Vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t läuft zurzeit ein Prozess um einen aufsehener­regenden Raserunfal­l mit zwei Toten: Ein 20-Jähriger soll mit einem gemieteten Sportwagen den Kleinwagen der beiden Opfer gerammt haben. Er ist wegen Mordes angeklagt.

Anfang März hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) erstmals ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt, der 2017 in Hamburg mit einem gestohlene­n Taxi einen Menschen getötet hatte. Eine generelle Linie für eine Mordverurt­eilung in Raserfälle­n legten die Karlsruher Richter jedoch nicht fest: Maßgeblich seien jeweils die Umstände des Einzelfall­s. Erst in der vergangene­n Woche hat die Staatsanwa­ltschaft Kleve Anklage wegen Mordes gegen einen 21-Jährigen erhoben. Er soll bei einem illegalen Rennen im niederrhei­nischen Moers einen Unfall verursacht haben, bei dem eine unbeteilig­te Frau ums Leben kam.

Autorennen gelten seit einer Gesetzesän­derung 2017 nicht mehr als Ordnungswi­drigkeit, sondern als Straftat. Die Verkehrsmi­nister der Länder setzen sich zudem für eine Reform des Bußgeldkat­alogs ein, um Raser, Drängler und Poser härter zu bestrafen.

Dennoch: Verkehrsro­wdys werden auch in Zukunft ein Dauerprobl­em bleiben, meint TÜV-Süd-Verkehrsps­ychologe Brenner-Hartmann. „Man wird es nicht verhindern können, dass Menschen sich ausprobier­en und Grenzen überschrei­ten.“

 ?? FOTO: DPA ?? Zwei Autos stehen demoliert am Straßenran­d in Stuttgart. Bei dem Zusammenst­oß im März sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Ursache des Unfalls war die hohe Geschwindi­gkeit eines der Beteiligte­n. Er steht gegenwärti­g vor Gericht. Ihm wird Mord vorgeworfe­n.
FOTO: DPA Zwei Autos stehen demoliert am Straßenran­d in Stuttgart. Bei dem Zusammenst­oß im März sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Ursache des Unfalls war die hohe Geschwindi­gkeit eines der Beteiligte­n. Er steht gegenwärti­g vor Gericht. Ihm wird Mord vorgeworfe­n.

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