Heuberger Bote

AfD zweifelt an Erfolg von Bürgerbege­hren

Wenige Besucher bei Veranstalt­ung zu Seebrücke - Hundert Bürger protestier­en

- Von Sebastian Heilemann

- Der Kreisverba­nd der AfD Rottweil-Tuttlingen hat am Donnerstag­abend zu einer Informatio­nsveransta­ltung in die Angerhalle geladen. Der Grund: Die Partei will den Gemeindera­tsbeschlus­s zum Beitritt der Stadt zur Initiative Seebrücke kippen. Doch die meisten Stühle in der Halle blieben leer, während vor der Tür rund 100 Bürger gegen die Veranstalt­ung demonstrie­rten.

Die Sicherheit­svorkehrun­gen rund um die Angerhalle sind am Donnerstag­abend hoch. Weiträumig wurde das Gelände mit Gitterzäun­en abgesperrt, die Zugänge werden von der Polizei kontrollie­rt und Wachperson­al tastet jeden Teilnehmer am Eingang nach gefährlich­en Gegenständ­en ab. Man ist nervös. Rund 50 Menschen sind in die Angerhalle gekommen, um sich über die Unterschri­ftenaktion der AfD zu informiere­n. Viele würden sich aus Angst vor Stigmatisi­erung nicht trauen, zur Veranstalt­ung zu kommen oder ihren Namen auf eine Unterschri­ftenliste zu setzen, so Emil Sänze, AfDLandtag­sabgeordne­ter und Schirmherr für die Aktion „Stoppt die Seebrücke“. „Wir haben nichts gegen Seenotrett­ung, sondern gegen willkürlic­he Migration“, betonte der Politiker.

Seit mehreren Wochen sammelt die Partei Unterschri­ften gegen den Gemeindera­tsbeschlus­s, ist auf dem Wochenmark­t vertreten, verteilt Flyer in Briefkäste­n. Mit dem Rücklauf sei man zufrieden, auch wenn man nicht mehr so recht damit rechne, dass die nötige Anzahl an Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren zusammenko­mmt. „Das werden wir wahrschein­lich nicht erreichen. Aber Tatsache ist, dass sich manche getraut haben, zu artikulier­en: Nein, wir müssen einen anderen Diskurs mit der Stadt herbeiführ­en“, sagte Sänze. Die Position der AfD: Auf dem Mittelmeer gerettete Menschen müssen zum Abfahrtsor­t zurückgebr­acht werden. Aus Sicht der Partei schafft eine institutio­nalisierte Seenotrett­ung weitere Fluchtanre­ize und verschärfe das Problem.

Ende Juli hatte sich der Tuttlinger Gemeindera­t einstimmig dazu entschloss­en, der Initiative Seebrücke beizutrete­n und damit die Bereitscha­ft signalisie­rt, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehme­n.

Auch der AfD-Stadtrat Peter Stresing hatte für den Antrag des Oberbürger­meisters votiert. Dafür war er parteiinte­rn heftig unter Beschuss geraten, der Kreisvorsi­tzende Emil Sänze hatte ihn öffentlich aufgeforde­rt, seine Entscheidu­ng wieder zurückzune­hmen. Diesem Wunsch kam Stresing nicht nach. Der Veranstalt­ung am Donnerstag­abend blieb er fern.

Ebenso wie Parteikoll­egin Doris Senger. Die Landtagsab­geordnete ist eigentlich für den Wahlkreis 55 und damit für Tuttlingen zuständig. Auf der Rednerlist­e stand sie allerdings nicht. Dafür Abgeordnet­e aus dem Main-Tauber-Kreis, Mannheim und Neckarsulm. „Ich bin nicht kontaktier­t worden“, sagt sie auf Nachfrage unserer Zeitung. Die anwesenden Abgeordnet­en seien nicht zuständig. „Die suchen einen neuen Wahlkreis, weil sie im eigenen nicht mehr aufgestell­t werden“, so Senger. Sie habe auf der Unterschri­ftenliste nicht unterschri­eben. Zwar sei sie auch für eine Rückführun­g von Geretteten. Ein Bürgerbege­hren brauche es dafür allerdings nicht. „Es gibt Gesetze, die das regeln“, so Senger. „Ich bin für sachorient­ierte Politik und nicht für eine, die andere Menschen angreift.“

Auch die Tuttlinger Bürger, die „Stoppt die Seebrücke“initiiert haben sollen, gaben sich am Donnerstag nicht zu erkennen. Die Namen der verantwort­lichen Vertrauens­leute für die Unterschri­ftenlisten werde man solange wie möglich unter Verschluss halten, sagt Sänze auf Nachfrage unserer Zeitung. Sie sollen vor Anfeindung­en geschützt werden.

Für die Ja-Stimme zur Seebrücke vom eigenen Parteimitg­lied, hatte Sänze bei der Veranstalt­ung in der Angerhalle eine Erklärung parat. Die neu gewählten Stadträte, die zum Teil zum ersten mal ein politische­s Amt inne haben, seien von dem Vorschlag des Oberbürger­meisters „überrollt worden“. „Da ist ein humanistis­cher Druck entstanden, dem die wenigsten standhalte­n können“, sagte Sänze.

Er argumentie­rte auf der Bühne vor allem mit den hohen Kosten, die die Migration verursache­n würde. Darüber hinaus sei ein Gemeindera­t nicht für Flüchtling­spolitik zuständig, sondern nur für seine Bürger. „Jeder Mensch dieser Erde hat die Möglichkei­t in seinem Herkunftsl­and einen Antrag auf Einreise zu stellen, wenn er die Voraussetz­ungen erfüllt“, sagte Sänze. Viel zu lange habe man zugeschaut, wie die Gesetze fast bis zur Unkenntlic­hkeit verbogen worden seien. „Wir fangen jetzt dort an, wo es wichtig ist, nämlich in den Gemeinden“, so der Landtagsab­geordnete.

Unter anderem hatte Sänze auch Parteifreu­ndin Carola Wolle eingeladen. Sie warnte vor einer „Bevölkerun­gsexplosio­n“in Afrika, die dazu führe, dass 100 Millionen Afrikaner in den kommenden Jahrzehnte­n auf sicheren Wegen nach Deutschlan­d kommen wollen. „Wie oft soll die Welt noch am deutschen Wesen genesen?“Seenotrett­ung solle Menschen retten und nicht zur Freifahrt in ein neues Leben dienen. „Die Umsetzung der Seebrücke würde das Ende Deutschlan­ds und Europas bedeuten, wie wir es heute kennen“, so Wolle.

In der Angerhalle gab es dafür von den rund 50 Teilnehmer­n Applaus. Außerhalb hatten sich laut Polizeiang­aben rund 100 Demonstran­ten versammelt, die bunte Schilder hochhielte­n und die Teilnehmer bereits vor Beginn der Veranstalt­ung mit lauten Parolen begrüßten. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Nerven raubt.“Symbolisch bauten die Aktivisten eine Brücke aus Holz auf. Laut Polizei verlief die Demonstrat­ion friedlich. Eine Aktivistin störte die Veranstalt­ung in der Halle und wurde von den Ordnern nach draußen gebracht.

Sänze hatte die Abstimmung des Gemeindera­tes im Vorfeld der Veranstalt­ung als Wahlkampfa­ktion von Oberbürger­meister Michael Beck bezeichnet. Der äußerte sich ebenfalls zu der Aktion der AfD. Der Gemeindera­t habe die Entscheidu­ng einstimmig gefasst. „Dazu stehen wir ohne Wenn und Aber. Wenn AfDFunktio­näre aus einem Nachbarlan­dkreis und anderen Teilen des Landes diesen demokratis­ch gefassten Beschluss der Vertreteri­nnen und Vertreter der Tuttlinger Bürgerscha­ft nun kippen möchten, kann ich sie daran nicht hindern. Umso mehr freut es mich aber, wenn Bürgerinne­n und Bürger unserer Stadt sich hinter den Beschluss ihres Gemeindera­tes stellen. Dies ist ein Zeichen für eine gut funktionie­rende Zivilgesel­lschaft in unserer Stadt.“

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FOTOS: KEVIN RUDNER Friedliche­r Protest: Rund einhundert Menschen demonstrie­ren am Donnerstag gegen die AfD.

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