AfD zweifelt an Erfolg von Bürgerbegehren
Wenige Besucher bei Veranstaltung zu Seebrücke - Hundert Bürger protestieren
- Der Kreisverband der AfD Rottweil-Tuttlingen hat am Donnerstagabend zu einer Informationsveranstaltung in die Angerhalle geladen. Der Grund: Die Partei will den Gemeinderatsbeschluss zum Beitritt der Stadt zur Initiative Seebrücke kippen. Doch die meisten Stühle in der Halle blieben leer, während vor der Tür rund 100 Bürger gegen die Veranstaltung demonstrierten.
Die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Angerhalle sind am Donnerstagabend hoch. Weiträumig wurde das Gelände mit Gitterzäunen abgesperrt, die Zugänge werden von der Polizei kontrolliert und Wachpersonal tastet jeden Teilnehmer am Eingang nach gefährlichen Gegenständen ab. Man ist nervös. Rund 50 Menschen sind in die Angerhalle gekommen, um sich über die Unterschriftenaktion der AfD zu informieren. Viele würden sich aus Angst vor Stigmatisierung nicht trauen, zur Veranstaltung zu kommen oder ihren Namen auf eine Unterschriftenliste zu setzen, so Emil Sänze, AfDLandtagsabgeordneter und Schirmherr für die Aktion „Stoppt die Seebrücke“. „Wir haben nichts gegen Seenotrettung, sondern gegen willkürliche Migration“, betonte der Politiker.
Seit mehreren Wochen sammelt die Partei Unterschriften gegen den Gemeinderatsbeschluss, ist auf dem Wochenmarkt vertreten, verteilt Flyer in Briefkästen. Mit dem Rücklauf sei man zufrieden, auch wenn man nicht mehr so recht damit rechne, dass die nötige Anzahl an Unterschriften für ein Bürgerbegehren zusammenkommt. „Das werden wir wahrscheinlich nicht erreichen. Aber Tatsache ist, dass sich manche getraut haben, zu artikulieren: Nein, wir müssen einen anderen Diskurs mit der Stadt herbeiführen“, sagte Sänze. Die Position der AfD: Auf dem Mittelmeer gerettete Menschen müssen zum Abfahrtsort zurückgebracht werden. Aus Sicht der Partei schafft eine institutionalisierte Seenotrettung weitere Fluchtanreize und verschärfe das Problem.
Ende Juli hatte sich der Tuttlinger Gemeinderat einstimmig dazu entschlossen, der Initiative Seebrücke beizutreten und damit die Bereitschaft signalisiert, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen.
Auch der AfD-Stadtrat Peter Stresing hatte für den Antrag des Oberbürgermeisters votiert. Dafür war er parteiintern heftig unter Beschuss geraten, der Kreisvorsitzende Emil Sänze hatte ihn öffentlich aufgefordert, seine Entscheidung wieder zurückzunehmen. Diesem Wunsch kam Stresing nicht nach. Der Veranstaltung am Donnerstagabend blieb er fern.
Ebenso wie Parteikollegin Doris Senger. Die Landtagsabgeordnete ist eigentlich für den Wahlkreis 55 und damit für Tuttlingen zuständig. Auf der Rednerliste stand sie allerdings nicht. Dafür Abgeordnete aus dem Main-Tauber-Kreis, Mannheim und Neckarsulm. „Ich bin nicht kontaktiert worden“, sagt sie auf Nachfrage unserer Zeitung. Die anwesenden Abgeordneten seien nicht zuständig. „Die suchen einen neuen Wahlkreis, weil sie im eigenen nicht mehr aufgestellt werden“, so Senger. Sie habe auf der Unterschriftenliste nicht unterschrieben. Zwar sei sie auch für eine Rückführung von Geretteten. Ein Bürgerbegehren brauche es dafür allerdings nicht. „Es gibt Gesetze, die das regeln“, so Senger. „Ich bin für sachorientierte Politik und nicht für eine, die andere Menschen angreift.“
Auch die Tuttlinger Bürger, die „Stoppt die Seebrücke“initiiert haben sollen, gaben sich am Donnerstag nicht zu erkennen. Die Namen der verantwortlichen Vertrauensleute für die Unterschriftenlisten werde man solange wie möglich unter Verschluss halten, sagt Sänze auf Nachfrage unserer Zeitung. Sie sollen vor Anfeindungen geschützt werden.
Für die Ja-Stimme zur Seebrücke vom eigenen Parteimitglied, hatte Sänze bei der Veranstaltung in der Angerhalle eine Erklärung parat. Die neu gewählten Stadträte, die zum Teil zum ersten mal ein politisches Amt inne haben, seien von dem Vorschlag des Oberbürgermeisters „überrollt worden“. „Da ist ein humanistischer Druck entstanden, dem die wenigsten standhalten können“, sagte Sänze.
Er argumentierte auf der Bühne vor allem mit den hohen Kosten, die die Migration verursachen würde. Darüber hinaus sei ein Gemeinderat nicht für Flüchtlingspolitik zuständig, sondern nur für seine Bürger. „Jeder Mensch dieser Erde hat die Möglichkeit in seinem Herkunftsland einen Antrag auf Einreise zu stellen, wenn er die Voraussetzungen erfüllt“, sagte Sänze. Viel zu lange habe man zugeschaut, wie die Gesetze fast bis zur Unkenntlichkeit verbogen worden seien. „Wir fangen jetzt dort an, wo es wichtig ist, nämlich in den Gemeinden“, so der Landtagsabgeordnete.
Unter anderem hatte Sänze auch Parteifreundin Carola Wolle eingeladen. Sie warnte vor einer „Bevölkerungsexplosion“in Afrika, die dazu führe, dass 100 Millionen Afrikaner in den kommenden Jahrzehnten auf sicheren Wegen nach Deutschland kommen wollen. „Wie oft soll die Welt noch am deutschen Wesen genesen?“Seenotrettung solle Menschen retten und nicht zur Freifahrt in ein neues Leben dienen. „Die Umsetzung der Seebrücke würde das Ende Deutschlands und Europas bedeuten, wie wir es heute kennen“, so Wolle.
In der Angerhalle gab es dafür von den rund 50 Teilnehmern Applaus. Außerhalb hatten sich laut Polizeiangaben rund 100 Demonstranten versammelt, die bunte Schilder hochhielten und die Teilnehmer bereits vor Beginn der Veranstaltung mit lauten Parolen begrüßten. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Nerven raubt.“Symbolisch bauten die Aktivisten eine Brücke aus Holz auf. Laut Polizei verlief die Demonstration friedlich. Eine Aktivistin störte die Veranstaltung in der Halle und wurde von den Ordnern nach draußen gebracht.
Sänze hatte die Abstimmung des Gemeinderates im Vorfeld der Veranstaltung als Wahlkampfaktion von Oberbürgermeister Michael Beck bezeichnet. Der äußerte sich ebenfalls zu der Aktion der AfD. Der Gemeinderat habe die Entscheidung einstimmig gefasst. „Dazu stehen wir ohne Wenn und Aber. Wenn AfDFunktionäre aus einem Nachbarlandkreis und anderen Teilen des Landes diesen demokratisch gefassten Beschluss der Vertreterinnen und Vertreter der Tuttlinger Bürgerschaft nun kippen möchten, kann ich sie daran nicht hindern. Umso mehr freut es mich aber, wenn Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt sich hinter den Beschluss ihres Gemeinderates stellen. Dies ist ein Zeichen für eine gut funktionierende Zivilgesellschaft in unserer Stadt.“