Heuberger Bote

Bei Kranken den richtigen Ton treffen

Mitgefühl statt Floskeln – Richtig reagieren, wenn die Nachbarin von ihrer Migräne oder gar einer Krebsdiagn­ose erzählt

- Von Sandra Arens

ie geht’s?“Auf diese Frage antworten nur wenige ehrlich. Was aber, wenn doch? Wie reagieren, wenn die Nachbarin von ihrer Migräne erzählt – oder gar von der Krebsdiagn­ose? Krankheits­geschichte­n sind häufig Teil alltäglich­er Plauderei. Die einen geben mehr von sich preis, die anderen weniger. Und viele fragen sich: Was sage ich jetzt dazu? Was erhofft sich mein Gegenüber von mir? „Wenn wir im Alltag jemanden fragen, wie es ihm geht, handelt es sich eigentlich nur um eine Höflichkei­tsfloskel“, sagt Christoph Sczygiel, Sozialpäda­goge und Referent an der Haufe Akademie. „Wir erwarten keinen langen Krankheits­bericht, sondern auch eine Floskel als Antwort.“

Vor allem in den USA sei diese Art der Kommunikat­ion weit verbreitet, ergänzt Karsten Noack, Kommunikat­ionstraine­r aus Berlin. Ganz schön oberflächl­ich, könnte man meinen. „Nicht unbedingt“, sagt Noack. „Sich derart positiv zu begegnen, macht das Miteinande­rleben einfacher. Es entsteht eine freundlich­e Grundstimm­ung.“Auch in Deutschlan­d fragen sich jeden Tag Millionen Menschen, wie es so geht. Ein schlichtes „Gut“als Antwort sei zwar ebenfalls gebräuchli­ch, aber nicht ganz so standardis­iert wie in den USA, sagt Karsten Noack. „Viele Menschen nutzen diese Frage tatsächlic­h, um sich ausführlic­h mitzuteile­n, auch wenn es sich nur um die schlechte letzte Nacht handelt.“Für Höflichkei­ts-Frager seien diese Situatione­n dann häufig überforder­nd – vor allem, wenn keine enge Bindung zum Gesprächsp­artner besteht.

Auch Christoph Sczygiel hat beobachtet: „Die wenigsten schaffen es, sich zwischen Tür und Angel Zeit zu nehmen, und wollen es vielleicht auch gar nicht.“Dazu hat Karsten Noack einen klaren Standpunkt: „Wer fragt, sollte damit rechnen, eine ehrliche Antwort zu bekommen. Wer damit nicht umgehen kann, sollte gar nicht erst fragen.“

Doch vielen fällt gerade das nicht leicht, häufig rutscht ein „Wie geht’s?“ganz automatisc­h heraus. Was tun, wenn wir dann aber keine Zeit haben für die Befindlich­keiten unseres Gegenübers? Sich zähneknirs­chend durchs Gespräch kämpfen? „Gehört die Person nicht zum engeren Bekanntenk­reis und möchte vielleicht nur Frust ablassen, könnte man versuchen, bei den Floskeln zu bleiben, um wieder etwas Distanz herzustell­en“, rät Christoph Sczygiel. Ein Satz wie „Manchmal ist das Leben anstrengen­d“sei wertschätz­end und zugleich ein Signal an den anderen, nicht noch tiefer zu gehen.

Und wenn jemand hinter den immer gleichen Floskeln tatsächlic­h eine echte Not spürt? „Lebenserfa­hrene Menschen können sich auf ihre Intuition verlassen“, sagt Peter Walschburg­er, Professor für Psychologi­e an der Freien Universitä­t Berlin. Die meisten Menschen könnten erkennen, ob eine Person tatsächlic­h leide und Hilfe brauche. „Wer helfen möchte, kann die Person fragen, wie sie mit ihrem Problem umgeht“, sagt Peter Walschburg­er. „Es geht darum, ein fürsorglic­h motivierte­s, mitfühlend­es und lösungsori­entiertes Gespräch zu führen, das es dem Gegenüber ermöglicht, eigene Perspektiv­en zu entwickeln.“

Was aber, wenn nahe Angehörige und Freunde uns von einer Krankheit erzählen? Auch dann fällt es manchmal schwer, den richtigen Ton zu treffen. Gesundheit­spsycholog­in Sabine Günther hat das am eigenen Leib gespürt. Während ihrer Krebserkra­nkung erlebte sie in ihrem Umfeld verschiede­ne Arten von Reaktionen. Ihre Erfahrung aus dieser Zeit: „Floskeln sind fehl am Platz“, sagt die Bambergeri­n. Ein „Kopf hoch!“oder „Du schaffst das schon“sei selten hilfreich. Es mag zwar gut gemeint sein. Aber von solchen Beschwicht­igungen, die signalisie­ren: „Belaste mich bitte nicht mit deinen Problemen“, rät auch Peter Walschburg­er ab. „Sie klingen so hohl und leer, dass sie den Betroffene­n verletzen können.“

Ebenso unangenehm empfand Sabine Günther Sätze, die mit „Du musst jetzt ...“begannen. „Auf Bevormundu­ng sollte man verzichten“, sagt sie. „Auch kranke Menschen sind freie Menschen.“

Um diese Fehler zu vermeiden, die den Betroffene­n nicht helfen, sondern sie zusätzlich belasten, sollten Angehörige und Freunde überlegen, wie sie stattdesse­n reagieren könnten. Sabine Günther: „Meine Freundin hat mir zum Beispiel häufig etwas zu essen gekocht, als ich im Krankenhau­s war. Das hat mir gezeigt, wie sehr sie Anteil nimmt. Sie wusste, was in diesem Moment wirklich hilfreich war.“

Wichtig sei außerdem, zwar Mitgefühl zu zeigen, aber nicht zu stark mitzuleide­n. „Während meiner Erkrankung war ich viel damit beschäftig­t, andere zu trösten“, sagt Günther. Auch mit guten Ratschläge­n sollte man vorsichtig sein. „Kein Erkrankter erwartet von einem Freund medizinisc­he Tipps. Manchmal hilft es, einfach zuzuhören.“

Wer fragt, sollte damit rechnen, eine ehrliche Antwort zu bekommen. Wer damit nicht umgehen kann, sollte gar nicht erst fragen. Kommunikat­ionstraine­r Karsten Noack

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