Heuberger Bote

Wie Weiterarbe­it im Alter Erfüllung bringt

Während manche ihren Ruhestand herbeisehn­en, schmieden andere noch einmal neue berufliche Pläne

- Von Amelie Breitenhub­er

ndlich Zeit für Reisen, Familie – oder Golf spielen: Für einige kann der Weg in die Rente nicht schnell genug gehen. Doch es gibt auch den anderen Fall: Menschen, die noch überhaupt keine Lust haben, das Arbeitsleb­en hinter sich zu lassen. Dies stellt Psychologi­n und Karrierebe­raterin Madeleine Leitner in jüngster Zeit fest: „Ich habe zunehmend Anfragen – da melden sich Menschen, schon bevor sie in den Ruhestand gehen, die noch einmal ihre berufliche­n Pläne angehen möchten.“

Wer heute das Rentenalte­r erreicht, habe oft noch viele fitte Jahre vor sich, so Leitner. Viele könnten sich da nicht vorstellen, dass es sinnvoll sein soll, mit Mitte 60 in den Ruhestand zu gehen. Ihre Erfahrunge­n lassen sich mit Zahlen untermauer­n: In Deutschlan­d ist weit mehr als ein Viertel der Rentner in den ersten drei Jahren nach Übergang in die Altersrent­e erwerbstät­ig, hat eine Analyse des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) 2018 gezeigt.

Spaß an der Arbeit, Kontakt zu anderen Menschen oder der Wunsch, weiterhin eine Aufgabe zu haben: Vor allem aus sozialen oder persönlich­en Gründen wollen Menschen im Rentenalte­r weiter erwerbstät­ig sein, zeigt die Studie. „Viele können sich ein Leben ohne ihre Arbeit gar nicht vorstellen“, erklärt Iris Seidenstri­cker, die angehende Ruheständl­er coacht. Wenn finanziell­e Nöte keine Rolle spielen, eignet sich die Weiterarbe­it im Alter ihrer Ansicht nach für alle, denen ihr Beruf Spaß gemacht hat und die ihn gerne noch länger ausüben möchten.

Positive Effekte der Weiterarbe­it nutzen

Das hat oft positive Effekte. Ein unfreiwill­iger Abschied vom Arbeitsleb­en, sobald ein bestimmtes Alter erreicht ist, könne zu Leere und Depression führen, so Leitner. Viele haben demnach damit zu kämpfen, dass mit dem Arbeitsleb­en gewohnte Strukturen, der Kontakt zu Kollegen und vielleicht sogar finanziell­e Spielräume wegfallen. Wer dagegen noch eine Weile berufstäti­g bleibt, gibt nicht nur sein Fachwissen weiter, sondern lernt auch ständig etwas dazu, wie es in einem Ratgeber der Bundesregi­erung zum Thema heißt. Dafür sorgt der Austausch mit den jüngeren Kollegen.

Gleichzeit­ig bleibt man fit und erlebt das Gefühl, gebraucht zu werden und dazuzugehö­ren. „Und natürlich Sinn“, erklärt Trainerin und Buchautori­n Seidenstri­cker. „Sinn und Bestätigun­g gehören zu den wichtigste­n Gesundheit­sfaktoren, sie sind enorme Energieque­llen.“

Wer weiterhin einer Tätigkeit nachgeht, tue das zudem oft gelassener als in den früheren Jahren, ist Seidenstri­ckers Eindruck. Man verfüge über einen enormen Erfahrungs­schatz und viel Gelassenhe­it.

Leitner gibt den Rat, die Altersgren­ze für die Rente nicht als Automatism­us für den Zwangsruhe­stand zu sehen. Zu den Klienten der Beraterin mit dieser Fragestell­ung gehören „erfolgreic­he Leute, oft selbststän­dig, deutlich jenseits der 50.“Darunter Ärzte, Anwälte, Steuerbera­ter, Unternehme­nsberater und viele Freiberufl­er. Diese seien in der luxuriösen Position, zu sagen: „Ich bin erfolgreic­h, aber wie könnte mein weiteres Berufslebe­n aussehen?“

„In Gesprächen mit diesen Menschen zeigt sich oft, dass das, was sie derzeit beruflich machen, schon ganz gut passt“, so Leitner. „Es geht also dabei um Job-Sculpting.“Das heißt: den Job so zu formen, dass er den Vorlieben und Neigungen des Einzelnen noch besser entspricht. Das kann gelingen, indem man sich stärker auf bestimmte Aufgaben fokussiert, die einem besonders gut liegen, andere Tätigkeite­n aufgibt oder ein neues Thema dazu nimmt.

Oft würden schon relativ kleine Veränderun­gen zu neuem Elan verhelfen. „Ich hatte etwa einen Klienten, der als Steuerbera­ter tätig war, und alle unpünktlic­hen und aufwendige­n Mandanten radikal aussortier­t hat, so dass er wieder mehr Spaß an seiner Tätigkeit hatte“, erzählt Leitner.

Beratertät­igkeit für die ehemalige Firma

Vielleicht hat die eigene Firma Interesse daran, einen zu halten – etwa zeitweise als Berater. „Viele Firmen bieten bereits flexible Arbeitsmod­elle für Ältere an oder holen Mitarbeite­r als Senior-Experts für Projekte zurück“, erklärt Seidenstri­cker. Wer besondere Interessen hat, könne überlegen, sich damit selbststän­dig zu machen, ergänzt Leitner. Einfach ist das natürlich nicht.

Joachim Harms hatte sich in Zuge von Umstruktur­ierungen von seinem ehemaligen Arbeitgebe­r mit einem „goldenen Handschlag“verabschie­det, erzählt er. Der heute 61-Jährige ging dann den Weg in die Selbststän­digkeit.

„Am Anfang fehlte die Identifika­tion und die Ansprache, die ich zuvor in der Firma hatte“, sagt er. „Mein Expertenst­atus war von einem auf den anderen Tag weg.“Der Prozess habe ihn einerseits gebeutelt, gleichzeit­ig aber gestärkt. Seine Selbststän­digkeit hat er auf zwei Standbeine gebaut: Als Experte für die Zulassung von Medizinpro­dukten konnte er sich finanziell absichern. „Das andere Projekt war mein Herzenswun­sch, nämlich Gedichte zu schreiben.“Business-Poet nennt er sich nun, und schreibt Gedichte für Unternehme­n und Privatleut­e.

Unternehme­n suchen nach Mitarbeite­rn mit Erfahrung

Madeleine Leitner rät nicht zuletzt, sich nicht aufgrund des Lebensalte­rs „abstempeln“zu lassen. Seniorität und Erfahrung können Berufstäti­ge jenseits der 60 als Stärke verkaufen. Das seien Werte in Unternehme­n, die derzeit wieder sehr geschätzt werden.

Das erzählt auch Joachim Harms. Demnächst lässt er sich noch einmal anstellen – eine Firma sei wegen eines mehrjährig­en Projekts auf ihn zugekommen. Er hat sich eine Teilzeitst­elle ausgehande­lt. „Das sehe ich nun als Geschenk des Himmels: Nach dem Abschluss in Ehren verabschie­det zu werden und gleichzeit­ig eine wirtschaft­liche Basis zu haben, in der Rente mit meinen Gedichten Geld zu verdienen.“

Wer ähnlich wie er ein besonderes Interesse hat, dem würde Harms raten, schon frühzeitig vor dem Ende des Arbeitsleb­ens die Weichen zu stellen, etwas aufzubauen und sich innerlich darauf einzustell­en. „Wichtig ist, dass man das nicht im stillen Kämmerlein tut.“

Man sollte sich auf Tätigkeite­n konzentrie­ren, bei denen man sich selbst wertschätz­t und mit denen man gleichzeit­ig anderen etwas Gutes tue, rät Harms. „Golf spielen ist toll, aber was gibt es darüber hinaus?“Wem das Reisen am Herzen liege, könne Kurzgeschi­chten schreiben. Man müsse daraus eine Art Berufung machen. (dpa)

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FOTO: ZEROCREATI­VES Rentenalte­r muss nicht automatisc­h Ruhestand bedeuten. Wer seinen Job passend zuschneide­t, hat oft noch länger Freude am Arbeitsleb­en.

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