Ein Genosse für alle
Andreas Stoch hat Ruhe in den Laden gebracht – Ein Porträt des SPD-Landeschefs
- Über Jahre war die SPD in Baden-Württemberg vor allem mit einem beschäftigt: mit sich selbst. Seit Andreas Stoch vor fast einem Jahr die Parteiführung übernommen hat, ist eine erstaunliche Ruhe eingekehrt. Das ist auch sein Verdienst. Am Samstag beim Parteitag in Heidenheim hat er bewiesen: Er weiß, wie er die Seele der Südwest-Genossen streicheln muss.
Es ist ein Heimspiel für Andreas Stoch. In Heidenheim auf der Ostalb ist er geboren und lebt hier mit Frau und vier Kindern. Den Wahlkreis vertritt er seit 2009 als Landtagsabgeordneter, aus manchem Sportverein ist er nicht wegzudenken. Nur logisch also, dass er politische und private Weggefährten ins Congress Centrum zu seinem 50. Geburtstag eingeladen hat.
Aber vor dem Vergnügen kommt die Arbeit. Beim Parteitag am selben Ort bringt Stoch einen Antrag ein: für mehr Klimaschutz, als es seine Bundesgenossen wenige Tage zuvor im Klimapaket beschlossen haben. Für eine Wirtschaft im Land, die die Arbeitnehmer im Wandel mitnimmt (siehe Kasten). Zu Beginn seiner Rede blickt er auf den antisemitisch, rassistisch motivierten Terror in Halle. „Die, die das Klima vergiften, die müssen wir auch beim Namen nennen. Das ist die AfD“, sagt Stoch. Frenetischer Applaus der Delegierten. Er sagt das aus Überzeugung. Dem Schnellsprecher und noch schnelleren Denker ist aber auch bewusst, dass eine Front gegen andere die inneren Reihen schließt.
Ein Blick zurück: Als recht neuer Landtagsabgeordneter hatte er sich in Untersuchungsausschüssen profiliert. So sehr, dass ihm das Amt des Kultusministers 2013 angetragen wurde, als seine Vorgängerin Gabriele Warminski-Leitheußer sämtlichen Rückhalt verloren hatte. Bildungspolitisch eher unbefleckt, übernahm er das als schwierigstes Ressort geltende Ministerium – und bewegte vieles. Er setzte die Einführung der Gemeinschaftsschulen fort, die seine Vorgängerin gestartet hatte. Er baute die Kitas im Land massiv aus. Und er führte in einem langen und von Protesten begleiteten Prozess neue Bildungspläne ein.
Stoch ist kein typischer Politiker. In seine Ämter kam er nicht durch Unterstützung bestimmter Lager. Vielleicht kann er auch deshalb eine Integrationsfigur sein für eine Landespartei, die traditionell gespalten ist zwischen sogenannten Netzwerkern, die Politik pragmatisch angehen, und ideologisch Linken. Dass ausgerechnet der intern umstrittene Ex-Parteichef Sigmar Gabriel die Festrede zur Geburtstagsfeier hielt, ließ manchen Genossen zumindest staunen. Gabriel prophezeit Stoch dann auch Großes. „Das ist erst der Anfang deiner wirklichen politischen Karriere“, sagt Gabriel, „da bin ich mir sicher.“
Bei der Landtagswahl 2016 war die SPD auf historisch schlechte 12,6 Prozent abgesackt. Stoch übernahm den Fraktionsvorsitz im Landtag. Nach heftigen internen Querelen und einem Machtkampf um die Spitze gab Leni Breymaier den Parteivorsitz aus mangelndem Rückhalt freiwillig ab. Im Kampf darum setzte sich Stoch vergangenen November gegen Lars Castellucci durch. Seitdem ist er an der Spitze von Fraktion und Partei.
Wird er Spitzenkandidat?
Bisweilen wirkt Stoch etwas technokratisch. Mancher hält ihn bei Entscheidungen für zu zögerlich. Während CDU und Grüne bereits ihre Spitzenkandidaten zur Landtagswahl 2021 ins Schaufenster gestellt haben, liebäugelt Stoch bislang nur damit. Er scheut sich indes nicht, unbequem zu sein – und sich auch drastisch auszudrücken. Lieblingsziel seiner Attacken sind die Grünen, denen er Verrat an den progressiven gemeinsamen Regierungszeiten vorwirft. Vor allem Winfried Kretschmann bekommt seinen Spott ab, wenn Stoch dem Ministerpräsidenten vorwirft, noch im Amt zum Denkmal zu erstarren. Dennoch: Die Grünen sind der natürliche Regierungspartner. An diesen denkt Stoch sicher auch, als er am Samstag sagt: „Baden-Württemberg braucht eine handlungsfähige Regierung, da muss SPD drin sein.“Eine mutige Botschaft, nachdem die Genossen bei der jüngsten Umfrage von Infratest Dimap lediglich acht Prozent erzielen konnten. „Da geht es um die Existenz“, sagt ein Landtagsabgeordneter. „Die Fünf-Prozent-Hürde ist nicht mehr weit.“
Eine starke Verunsicherung ist an diesem Tag dennoch nicht zu spüren. Wohl auch deshalb, weil Stoch für die 266 Delegierten den Mutmacher mimt – und ihnen sagt, was Genossen gerne hören. Nur ein starker Staat helfe den Menschen bei der Transformation der Wirtschaft, könne den Klimawandel abfedern und kostenlose Bildung ab der Kita garantieren. Deshalb kämpft er weiter für das von der SPD angefachte Volksbegehren zu gebührenfreien Kitas im Land – nach Ablehnung durchs Innenministerium inzwischen vor Gericht. Das Thema hat der Partei Aufmerksamkeit gebracht und die grün-schwarze Koalition unter Druck gesetzt.
Wer Andreas Stoch sieht – graue Haare, hohe Stirn, Vorliebe für schwarze Rollkragenpullis –, denkt nicht an Punk-Rock. Die Musik mag der bieder wirkende Jurist, der grundsätzlich keinen Alkohol trinkt, dennoch – vor allem die Folk-PunkBand Dropkick Murphys. Vielleicht kann deren Song „Warrior’s Code“ihm Mut machen, wenn er mal wieder an Umfragewerten zu verzweifeln droht. Darin heißt es, frei übersetzt: „Der Kämpfer hört nie auf. Du machst das Beste aus den Karten, die Dir ausgeteilt wurden. Denn ein Drückeberger gewinnt nie.“