Wochen der sozialdemokratischen Hoffnung
Die SPD beschließt ihre Kandidatentour für den Parteivorsitz – Die Urwahl verspricht, spannend zu werden
- An der Decke im Löwenbräukeller baumeln weiß-blaue Banderolen, Brezen, Lebkuchenherzen – womöglich ein Überbleibsel der Oktoberfestzeit. Die Dekoration wirkt doch etwas unpassend für diese 23. und letzte Regionalkonferenz der SPD in München – einerseits. Andererseits stehen auf einem der Lebkuchenherzen in Zuckergussschrift drei Worte geschrieben, die den Gemütszustand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auf den Punkt bringt: „Du fehlst uns.“
Die SPD sucht nach einer neuen Parteispitze. Und um diese zu finden, haben die Sozialdemokraten den anfangs noch acht BewerberDuos sowie den früh ausgeschiedenen Einzelkandidaten Karl-Heinz Brunner auf eine Mammuttournee geschickt. 23 Konferenzen im ganzen Bundesgebiet, in gerade mal 38 Tagen, stets nach dem gleichen Schema. Doch der Aufwand habe sich gelohnt, findet Saskia Esken. „Das zeigt allein der Zulauf bei den Veranstaltungen“, sagt sie. Die Bundestagsabgeordnete aus dem Schwarzwald geht mit dem früheren Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, ins Rennen.
Auch in München ist der Löwenbräukeller gerappelt voll: Fast 1000 Menschen drängen sich im Saal. Dieser Andrang ist es wohl auch, der Generalsekretär Lars Klingbeil bei seiner Begrüßung dazu verleitet, die Sozialdemokraten im Freistaat als „starke SPD“zu bezeichnen – eine Formulierung, die angesichts der 9,7 Prozent bei der jüngsten Landtagswahl mehr als wagemutig ist.
Bleibt die Frage, wer als Favorit ins Rennen geht, wenn die rund 425 000 SPD-Mitglieder bis 25. Oktober über ihr Spitzenduo abstimmen. So recht weiß das niemand. Sicher nicht neue SPD-Chefin wird die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die mit Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel als linkestes Bewerberteam angetreten war.
Mattheis ist aus dem Rennen
Mattheis/Hirschel ziehen sich in München aus dem Rennen zurück, „um die Chancen für eine linke Kandidatur zu erhöhen“, so Hirschel. Und Hilde Mattheis bittet zum Abschied: „Guckt nach einer Alternative und nicht nach einem Weiter so.“
Dieser Satz lässt sich als Spitze gegen Olaf Scholz verstehen, den Etabliertesten unter den Kandidaten. Der Bundesfinanzminister, der mit der Brandenburgerin Klara Geywitz antritt, wird im Löwenbräukeller verhalten begrüßt.
Felix Lang, SPD-Mitglied in einem Münchner Ortsverein, würde lieber ein Team wie Gesine Schwan und Ralf Stegner oder Nina Scheer und Karl Lauterbach an der Parteispitze sehen. Vor allem Lauterbach und Stegner ernten in München viel Beifall – Ersterer, wenn er mantraartig den Austritt aus der Großen Koalition fordert; Zweiterer, wenn er laute und schnelle Wortsalven durch den Saal schnoddert. „Die Leute müssen uns nicht alle mögen“, ruft Stegner. „Die Gegner schon gar nicht, die sollen uns fürchten.“
Lauterbach/Scheer und Stegner/ Schwan könnten sich jedoch gegenseitig Stimmen wegnehmen – was auch für das ebenfalls linke Duo Esken/Walter-Borjans gilt. Ungleich weniger angriffslustig geben sich der eher konservative niedersächsische Innenminister Boris Pistorius und Petra Köpping. Das jüngste Duo im Kandidatenfeld, Christina Kampmann (39) und Michael Roth (49), setzt auf gute Laune und freche Sprüche. „Ich war Standesbeamtin und habe Menschen für immer glücklich gemacht“, sagt Kampmann. „Ich weiß, wann es Zeit ist, Ja zu sagen.“
Zu welchem Bewerberteam die meisten Sozialdemokraten Ja sagen? Das weiß man erst am 26. Oktober, wenn die Ergebnisse der Mitgliederbefragung verkündet werden. Sollte dann – wie allseits erwartet – keines der sechs Duos eine absolute Mehrheit erreichen, gehen die zwei Erstplatzierten in eine Stichwahl.