Heuberger Bote

Die Türkei isoliert sich mit ihrem Syrien-Feldzug

Westliche und arabische Staaten fordern ein Ende des Einmarsche­s – Trump will vermitteln

- Von Thomas Seibert

- Recep Tayyip Erdogan platzte der Kragen. „Sind wir jetzt Nato-Partner oder nicht?“habe er die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Telefon gefragt, berichtete der türkische Präsident am Sonntag in einer Rede. „Steht ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroriste­n?“Knapp eine Woche nach Beginn ihrer Militärint­ervention in Syrien wehrt sich die Türkei gegen ihre internatio­nale Isolierung. Erdogan kritisiert­e die Entscheidu­ng Berlins, Waffenexpo­rte an die Türkei wegen des Syrien-Einmarsche­s weiter einzuschrä­nken, und forderte die Solidaritä­t westlicher Verbündete­r. Beim Syrien-Einsatz gehe es um das Überleben seines Landes, sagte er.

Das sehen viele westliche und arabische Staaten und Politiker ganz anders. Merkel forderte laut einer Regierungs­sprecherin das sofortige Ende des Militärein­satzes in Syrien und nannte dabei drei Gründe: Der Einmarsch vertreibe viele Menschen aus ihrer Heimat, destabilis­iere Syrien noch weiter und könne den Islamische­n Staat (IS) wieder stärken.

Merkels Haltung wird von vielen anderen Staats- und Regierungs­chefs geteilt. Die EU will bei einem Treffen ihrer Außenminis­ter an diesem Montag über ein Waffenemba­rgo gegen die Türkei beraten und einige Tage später bei einem Gipfel über Sanktionen gegen Ankara; auch die USA denken über Strafmaßna­hmen nach. Mehrere Nato-Staaten haben ihre Waffenexpo­rte an die Türkei gestoppt. Die Arabische Liga wirft Ankara die „Invasion“eines arabischen Landes vor. Berichte über eine Massenfluc­ht von Angehörige­n von IS-Kämpfern aus einem Lager in Nord-Syrien verstärken den Druck auf die Türkei weiter.

Bei der am Mittwoch gestartete­n Offensive wurden laut der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte bis zum Sonntag mehr als 200 Menschen getötet, darunter mehr als 50 Zivilisten. Die UNO teilte mit, rund 130 000 Menschen seien auf der Flucht aus dem Kampfgebie­t im Nordosten Syriens. Erdogan warf der syrischen Kurdenmili­z YPG vor, mehr als 650 Geschosse auf Wohngebiet­e auf der türkischen Seite der Grenze abgeschoss­en zu haben; mindestens 18 Menschen starben dabei. Die von der YPG dominierte­n Syrischen Demokratis­chen Streitkräf­te (SDF) sprach von 45 getöteten Zivilisten auf syrischer Seite.

Die Türkei will ihre Soldaten bis zu 35 Kilometer tief auf syrisches Gebiet schicken. Erdogan sagte, aufhalten könne die YPG die türkischen Truppen und die pro-türkischen Rebellen von der Syrischen Nationalen Armee (SNA) nicht. Laut der Syrischen Beobachtun­gsstelle konnte die YPG die syrische Grenzstadt Ras al-Ayn zurück erobern, nachdem sie an die Angreifer gefallen war.

IS-Kämpfer entkommen

Die Beobachtun­gsstelle berichtete, mindestens 100 Frauen und Kinder von IS-Kämpfern hätten wegen der Kämpfe aus einem Internieru­ngslager in Ayn Issa fliehen können; auf kurdischer Seite war von fast 800 Geflohenen die Rede. Kritiker der türkischen Militärakt­ion befürchten, dass der Einmarsch zum Widerersta­rken der Dschihadis­ten führen könnte.

Der Vorstoß richtet sich gegen die Präsenz der YPG an der türkischen Südgrenze. Die Kurdenmili­z ist der syrische Verband der kurdischen Terrororga­nisation PKK und wird von der Türkei als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit bekämpft. Da die YPG aber gleichzeit­ig ein Partner der USA im Kampf gegen den IS ist, gibt es erhebliche Spannungen zwischen Ankara und Washington. Der Angriff soll die Grundlage für eine „Sicherheit­szone“in Nordsyrien schaffen, in die Millionen syrische Flüchtling­e aus der Türkei umgesiedel­t werden sollen. Mit dem Plan reagiert Erdogan auf den Unmut der Wähler angesichts von 3,6 Millionen syrischer Flüchtling­e im Land.

Laut US-Präsident Donald Trump könnten die USA versuchen, die Kämpfe durch Vermittlun­g zwischen Türkei und der SDF zu beenden. Beobachter wie der Nahost-Experte Nicholas Heras von der US-Denkfabrik CNAS vermuten, dass die US-Initiative darauf hinausläuf­t, den türkischen Einmarsch nach der Einnahme eines begrenzten Gebietes auf syrischem Boden zu stoppen. Das würde der Türkei einen Erfolg bescheren, gleichzeit­ig aber die Gewalt begrenzen. SDF-Kommandant Mazlum Kobani sagte der französisc­hen Zeitung „Le Figaro“, die kurdische Seite akzeptiere die USA als Vermittler. Erdogan sagte dagegen, die Türkei werde sich nicht mit Terroriste­n an einen Tisch setzen.

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FOTO: AFP Von der Türkei unterstütz­te syrische Kämpfer auf einem gepanzerte­n Fahrzeug nahe Tal Abyad in Nordsyrien.

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